"Spiel mit den Ängsten" Betriebsrat attackiert VW-Chef Diess
04.11.2021, 12:11 Uhr
Glaubt, dass sein Konzern weniger effizient ist als Tesla: Herbert Diess.
(Foto: REUTERS)
VW-Chef Diess will den Konzern auf Elektromobilität umstellen und Vorbild Tesla nacheifern. Mit Äußerungen zu einem damit verbundenen Stellenabbau verunsichert er die eigene Belegschaft. Vom Betriebsrat hagelt es Kritik.
Betriebsratschefin und Aufsichtsrätin Daniela Cavallo geht weiter auf Distanz zu VW-Konzernchef Herbert Diess und hat den Manager scharf angegriffen. Bei einer Betriebsversammlung am Wolfsburger Stammsitz warf sie ihm laut Redemanuskript ein Spiel mit den Ängsten der Belegschaft vor neuem Jobabbau sowie Konzeptlosigkeit in der Bekämpfung der Chipkrise vor. Cavallo nannte Mutmaßungen über die Streichung Zehntausender Stellen bei der Volkswagen-Kernmarke, die Diess in den vergangenen Wochen angeheizt hatte, "inhaltlichen Unfug".
Wenn der Vorstandsvorsitzende dennoch öffentlich das Thema immer wieder befeuere, sei das "ziemlich traurig", kritisierte sie. "Hier ist nicht ein Mensch zu viel an Bord. Nicht eine Stelle können Sie zusätzlich mit uns verhandeln!" Jeder bei VW wisse, dass das Unternehmen im Zuge der Transformation der Autobranche grundlegend umgebaut werden müsse. Aber es gebe schon zahlreiche Begleitprogramme dafür - und die Beschäftigungsgarantie bis 2029 habe grundsätzlich Bestand. "Das einzige, was unsere Beschäftigten die letzten Wochen von Ihnen hören konnten, waren leichtfertige Spekulationen über Arbeitsplatzabbau", so Cavallo.
Diess sei offensichtlich nicht klar, was das mit der Motivation der Kolleginnen und Kollegen mache: "Mit einem Federstrich, als wäre es nichts, stellen Sie einfach eine Zahl von 30.000 in den Raum. Und brauchen fast 48 Stunden, um sich endlich mal dazu zu äußern - und dann zu sagen: Ach, war alles nicht so gemeint!" Das verunsichere die Beschäftigten - viele seit Beginn der Corona-Krise ständig in Kurzarbeit - zusätzlich. Die Menschen hätten "Angst um ihre Arbeit, ihre Familien, ihre Existenz."
Während sich Diess mit PR-Aktionen beschäftige oder ausgerechnet mit Tesla-Chef Elon Musk als großem Konkurrenten öffentlichkeitswirksam posiere, lasse auch das Management der Versorgungsengpässe im eigenen Haus zu wünschen übrig, schimpfte Cavallo: "Das, was wir bei den Halbleitern sehen, ist ein Armutszeugnis. (...) Sie versorgen uns zwar regelmäßig mit netten Fotos von Ihren Ausflügen, nur mit Halbleitern leider immer noch nicht." Es stimme zudem nicht, wenn suggeriert werde, VW sei in Wolfsburg verglichen mit Tesla weniger produktiv - pro Kopf würden im Hauptwerk noch "sehr viel mehr Fahrzeuge" gebaut. "Die Wahrheit ist: Nicht das Werk oder die Beschäftigten sind ineffizient", so Cavallo. "Uns fehlen schlicht die Teile, mit denen wir unsere Autos bauen können."
Tesla bleibt weiter das Vorbild
Diess selbst versucht in seiner Rede die Wogen zu glätten. "Wir müssen miteinander reden", sagte der Konzernchef laut Redemanuskript: "Nur gemeinsam machen wir Volkswagen zukunftssicher." Darin seien er und Betriebsratschefin Cavallo sich einig. Diess betonte vor Tausenden Mitarbeitern zugleich, dass Volkswagen seine Produktivität massiv steigern müsse, um mit Tesla mitzuhalten.
Der US-Elektroautobauer, den Diess zum Vorbild genommen hat, bringt an der Börse ein Vielfaches des Wolfsburger Traditionskonzerns auf die Waage. Er wolle das Stammwerk wieder zum Aushängeschild für Auto-Produktion machen, betonte Diess. Er verwies darauf, dass Tesla nur ein Drittel der Zeit für die Produktion eines E-Autos benötige wie VW in seinem Werk in Zwickau.
Der 63-Jährige ehemalige BMW-Manager hatte die Belegschaft zuletzt mit Äußerungen über drohenden Personalabbau gegen sich aufgebracht. Daraufhin soll der in den vergangenen Monaten immer wieder aufgeflammte Konflikt mit der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat eskaliert sein. Reuters hatte am Mittwoch aus Konzernkreisen erfahren, dass der Vermittlungsausschuss des Aufsichtsrats sich demnächst mit der Zukunft des Konzernchefs befassen soll. In dem Gremium sitzen Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, Betriebsratschef und Aufsichtsrätin Daniela Cavallo und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Die Vertreter der Eignerfamilien Wolfgang Porsche und Hans Michel Piech sollen in die Beratungen eingebunden werden.
Quelle: ntv.de, mba/rts/dpa