Wirtschaft

Angst vor Industriewüste "Deutschland muss ohne Subventionen attraktiv werden"

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Gerade energieintensive Branchen wie Baustoffe, Metalle, Chemie und Papier haben momentan besonders zu kämpfen.

(Foto: picture alliance / Panama Pictures)

Die deutsche Industrie hat es zuletzt schwer. Immer mehr Stimmen warnen vor einer Abwanderung der Unternehmen. Gleichzeitig investiert Apple eine weitere Milliarde in ein Münchner Chip-Zentrum. Im Interview erklärt Ökonom Dohse, wie das zusammenpasst und welche Gefahren Subventionen bergen.

ntv.de: Deutschland verliert als Wirtschaftsstandort immer mehr an Attraktivität, so die einhellige Warnung zuletzt. Diese Woche hat Apple angekündigt, zusätzlich eine Milliarde Euro in sein Chip-Design-Zentrum in München zu investieren. Wie passt das zusammen?

Dirk Dohse: Im Grunde sind das gegenläufige Entwicklungen. Die schlechten Prognosen der vergangenen Woche haben sich immer auf die Energiekrise und den Ukraine-Krieg bezogen. Bei Apple ist der Fall anders gelagert. Den Standortvorteilen von München konnten auch hohe Energiepreise und der russische Angriffskrieg nichts anhaben.

München ist Apples größter Entwicklungsstandort in Europa. Chef Cook begründet das Engagement in der bayerischen Landeshauptstadt mit der Qualität der Mitarbeiter. Muss sich Deutschland also doch nicht hinter dem Silicon Valley verstecken?

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Dirk Christian Dohse ist Leiter des Forschungszentrums Innovation und Internationaler Wettbewerb am IfW Kiel.

München mit seinen vielen top-ausgebildeten Fachkräften ist in gewisser Weise das europäische Pendant zum Silicon Valley. Mit Google, Amazon, Microsoft und eben Apple haben sich viele großen Player der IT-Branche dort niedergelassen. Aber auch Autobauer wie Audi und BMW haben ihre Forschungslabore zur künstlichen Intelligenz in München. Auch wenn die bayerische Landeshauptstadt im bundesweiten Vergleich sicherlich teurer ist: Die Kosten spielen in diesen Bereichen für Unternehmen wegen ihrer sehr hohen Wertschöpfung keine so wahnsinnig große Rolle. Und verglichen mit dem Silicon Valley sind auch die Arbeitskräfte in München noch relativ billig.

Könnte die Investition von Apple ein positives Signal sein, dem andere folgen?

Ja, ich denke schon. Gerade die Chip-Produktion in Deutschland ist für viele Unternehmen attraktiv. Ich kann mir gut vorstellen, dass andere Unternehmen dem Beispiel von Apple schon bald folgen werden.

Besonders die Energiekrise macht es der deutschen Industrie zuletzt schwer. In welchem Ausmaß ist der drastische Energiepreissprung eine Bedrohung für den Standort Deutschland?

Das ist von Branche zu Branche sehr unterschiedlich. Energieintensive Branchen wie Baustoffe, Metalle, Chemie und Papier beispielsweise sind natürlich stark betroffen. Da gibt es große Probleme. In anderen Bereichen spielen die hohen Energiepreise eine weniger große Rolle. Generell sind kleine und mittlere Unternehmen stärker betroffen als große Unternehmen, weil sie weniger strategische Anpassungsmöglichkeiten haben. Große Unternehmen können sehr energieintensive Arbeiten zum Beispiel ins Ausland verlagern. Das können viele kleine und mittlere Unternehmen nicht.

Neben der Energiekrise macht dem Wirtschaftsstandort der Fachkräftemangel und hohe Bürokratie zu schaffen. Was spricht denn eigentlich noch für den Standort Deutschland?

Die Fachkräfte, die wir haben, sind gut ausgebildet. Das spricht auf jeden Fall immer noch für Deutschland. Außerdem ist das Lohnniveau hierzulande im internationalen Vergleich nicht besonders hoch. Hinzu kommt die zentrale Lage in Europa und eine Infrastruktur, die zwar auf dem absteigenden Ast ist, aber für die meisten Unternehmen immer noch gut genug.

Immer mehr Stimmen warnen vor einer Abwanderung der Unternehmen. Ist eine mögliche Deindustrialisierung eine realistische Sorge?

Was wir schon beobachten: Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Wertschöpfung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Wir kommen allerdings auch von einem hohen Niveau. Eine flächendeckende Deindustrialisierung sehe ich nicht. Vorsicht ist aber trotzdem geboten.

Die USA gehen ihren eigenen Weg: Mit dem "Inflation Reduction Act" sollen Investitionen in grüne Technologien in den USA gefördert werden. Könnte das Hunderte Milliarden Dollar schwere US-Subventionspaket nicht auch ein Vorbild für Deutschland sein?

Ich denke nicht, dass wir in das Rennen um Subventionen einsteigen sollten. Letztendlich geht es um das Geld der Steuerzahler. Man muss sich gut überlegen, ob sich das längerfristig für die Gesellschaft auszahlt. Ärgerlich ist es aber allemal, wenn Firmen abwandern, die zuvor in Deutschland stark gefördert wurden. Wir haben hierzulande im Bereich der grünen Technologien oder Biotechnologie auch viele ziemlich gute Startups, die durch Steuermittel gefördert worden sind. Die haben beispielsweise Mittel des BMBF in Anspruch genommen, gerade die Marktreife erreicht und werden anschließend sofort mit Subventionen weggelockt. Das ist eine unschöne Geschichte.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat Steuer-Vergünstigungen für Investitionen als geeignete Antwort ins Spiel gebracht.

Steuererleichterungen für ausgewählte Unternehmen sind nichts anderes als Subventionen. Das muss man einfach so sehen. In einem begrenzten Maß ist das vielleicht noch sinnvoll. Viel wichtiger erscheint mir aber, dass der Standort Deutschland für Unternehmen auch ohne Subventionen attraktiv wird.

Was muss passieren, damit der Wirtschaftsstandort gestärkt aus der Krise hervorgeht?

Gerade Investitionen in Bildung und Forschung sind superwichtig, um auch den EU-Binnenmarkt weiter zu stärken. Unser Binnenmarkt ist im Grunde nicht kleiner als der amerikanische, aber er ist sehr stark fragmentiert. In den einzelnen Ländern gibt es die unterschiedlichsten Regulierungen. Deswegen können wir die Marktgröße gar nicht richtig ausspielen. Es gibt viele Dinge, die sinnvoller sind, als Unternehmen Steuergelder hinterherzuwerfen.

Was passiert, wenn der Staat nichts unternimmt?

Dann werden in der Tat noch weitere Unternehmen abwandern. Welche Auswirkungen das letztendlich haben wird, lässt sich nur sehr schwer voraussagen. Auf lange Sicht würde es aber einen deutlichen Rückgang von Produktivität und Wachstum nach sich ziehen.

Mit Dirk Dohse sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

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