Aus Sorge um Millioneninvestition Französischer Konzern soll IS bezahlt haben
26.01.2017, 09:19 Uhr Artikel anhören
Als der IS sich in großen Teilen Syriens und des Iraks ausbreitet, bleibt Unternehmen die Wahl zwischen Flucht oder Kooperation. Die meisten ausländischen Konzerne entscheiden sich für die Flucht. Lafarge nicht.
(Foto: imago/ZUMA Press)
Als sich im Norden Syriens der Islamische Staat ausbreitet, ergreifen die meisten ausländischen Unternehmen die Flucht. Der Baustoffkonzern Lafarge nicht. Der möchte sein nagelneues Zementwerk retten. Das geht in jeder Hinsicht schief.
"Die Mudschahedin-Brüder werden gebeten, diesen Wagen mit Zement der Fabrik Lafarge durch die Kontrollpunkte passieren zu lassen, nachdem ein Übereinkommen mit der Fabrik über Handel mit dieser Fracht getroffen wurde", steht auf dem Zettel. Darunter die Fahrzeugnummer, der Name des Fahrers - und der Stempel des "Islamischen Staates, Provinz Aleppo". Der vom IS ausgestellte Passierschein gehört zu einer Reihe von Dokumenten und E-Mails, mit denen sich derzeit die französische Justiz beschäftigt. Der schwere Vorwurf an den - inzwischen im weltgrößten Zementhersteller LafargeHolcim aufgegangenen - französischen Konzern Lafarge: Terrorfinanzierung und Mittäterschaft bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Um seine Zementfabrik in Jabalia im Norden Syriens in den Jahren 2012 bis 2014 am Laufen zu halten, soll Lafarge laut einer Klage zweier Menschenrechtsorganisationen unter anderem für Passierscheine Geld an den IS gezahlt und den Terroristen Öl abgekauft haben. Lafarge selbst hat mehrere Rechtsanwaltskanzleien beauftragt, zu untersuchen, was sich in dieser Zeit in seinem syrischen Zementwerk zugetragen hat. Sollten die Vorwürfe zutreffen, seien sie ein Verstoß gegen den Ethik-Code des Unternehmens, heißt es in einer Stellungnahme.
Als Lafarge sein mehr als 600 Millionen Euro teures Werk in Syrien in Betrieb nahm, schien die Geschäftswelt dort noch in Ordnung: Es war die zweite Jahreshälfte 2010. Syrien erlebte eine Phase der vorsichtigen wirtschaftlichen Öffnung, die viele ausländische Investoren anzog. Doch nur ein halbes Jahr später änderte sich die Lage dramatisch. Der Arabische Frühling griff auch auf Syrien über, aus friedlichen Demonstrationen wurde bald ein blutiger Bürgerkrieg.
Die Regierung zog ihre Truppen bald aus vielen Teilen des Landes zurück, Lafarges Zementwerk geriet zunächst in den Einflussbereich kurdischer Milizen. In dieser Situation, in der andere ausländische Firmen in der Region ihre Geschäfte einstellten, trafen die Franzosen eine folgenschwere Entscheidung: "Wir sagten, wenn Menschenleben in Gefahr geraten sollten, schließen wir. Aber so lange es nur darum ging, hart zu arbeiten und sich an schwierige Umstände anzupassen, würden wir alles tun, um das Geschäft in einer Art und Weise weiterzuführen, die uns verantwortungsvoll erschien", sagte der damalige Risikomanager der Werkes, Jacob Waerness, in einem Interview mit Bloomberg. Es sei nicht darum gegangen, "am Krieg zu verdienen", betonte Waerness, sondern die Investition des Konzerns zu retten. "Wir wollten die Fabrik am Laufen halten, um zu verhindern, dass sie zerstört wird."
Zementwerk wird zur Militärbasis
Im Laufe der Jahre 2013 und 2014 rückte jedoch der IS immer näher an die Fabrik heran. Bei der Abwägung zwischen dem Wert seiner nagelneuen Fabrik und der Verantwortung des Unternehmens im Kampf gegen den Terror und gegenüber seinen 240 Mitarbeitern verloren die Verantwortlichen zunehmend den Maßstab, sagte Waerness im Rückblick. "Wir konnten in der Region nicht arbeiten, ohne dass diese Gruppen direkt oder indirekt von unseren Geschäften profitierten."
Außer der Finanzierung des IS werfen die französische Organisation Sherpa und das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte in ihrer Klage Lafarge fahrlässige Gefährdung seiner syrischen Mitarbeiter vor. Mehrere von ihnen sollen zeitweise vom IS entführt worden sein. Während die ausländischen Angestellten bereits 2012 nach Hause geschickt wurden, arbeiteten die einheimischen Mitarbeiter bis September 2014 weiter.
Für seine Mitarbeiter soll Lafarge gegen Geld Passierscheine vom IS besorgt haben. Dass das Unternehmen begann, seine Fahrzeuge zu panzern, zeigt, unter welch gefährlichen Umständen die Menschen arbeiteten, und dass die selbst gezogene rote Linie - aufzuhören, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen - längst überschritten war. Am 19. September 2014 gab der Konzern seine Fabrik schließlich auf. Tage später besetzten IS-Kämpfer das Werksgelände.
Obwohl sich die Terrormiliz schon im folgenden Jahr aus dem Gebiet wieder zurückziehen musste, hat Lafarge seine Syrieninvestition inzwischen abgeschrieben. Nach Informationen des Konzerns dient die Anlage derzeit als Basis für ausländische Spezialkräfte der Anti-IS-Koalition.
Quelle: ntv.de