Endspiel in der Autoindustrie? Fusionskarussell nimmt Fahrt auf
01.03.2020, 13:09 UhrWer hat noch nicht, wer will noch mal? Das ist das Motto in der Automobilindustrie. Der Zusammenschluss von Fiat Chrysler mit PSA erhöht den Fusionsdruck in der Autoindustrie deutlich, der Kostendruck wächst. Aber das ist längst nicht alles.
Das Jahr 2019 endete in der Autoindustrie mit einem Paukenschlag: Mitte Dezember gaben der französische Auto-Konzern PSA und der italienisch-amerikanische Autobauer Fiat Chrysler (FCA) ihre Fusion bekannt. Kostensynergien von jährlich 3,7 Milliarden Euro sollen dadurch "geschürft" werden. Von "Hochzeit im Himmel", wie einst Daimler-Chef Jürgen Schrempp bei der Ehe zwischen Nobelhersteller und der reputationslosen Firma Chrysler frohlockte, war diesmal keine Rede.
Mit diesem Zusammenschluss zwischen PSA und FCA entsteht ein weiterer globaler Auto-Riese mit den Marken Peugeot, Citroën, Opel, Fiat, Alfa Romeo, Lancia, Maserati, Ferrari (90-Prozent-Anteil), Chrysler, Ram Trucks, Dodge, Mopar und Jeep sowie künftig rund 8,7 Millionen Fahrzeugen pro Jahr. Nummer vier auf der Skala der Autokonzerne weltweit - nach Volkswagen, Toyota und der Renault-Nissan-Mitsubishi-Allianz. Dagegen wirken BMW mit knapp 2,4 Millionen und Daimler mit 2,3 Millionen verkauften Autos nahezu klein. Ganz zu schweigen von dem indischen Autobauer JLR Jaguar/Land Rover und den rund 350 chinesischen Produzenten, von denen die größten wie Geely, SAIC oder Changan trotz des riesigen Heiratsmarktes jeweils kaum mehr als 1,5 Millionen Jahresabsatz hinbekommen.
"Game Changer"
Damit steht fest: Das Fusionskarussell auf dem globalen Automarkt hat nach längerer Pause wieder Fahrt aufgenommen. Während sich in früheren Jahrzehnten die Anzahl selbständiger Autohersteller von Dekade zu Dekade ungefähr halbierte - 1960: 64 selbständig Unternehmen, 1970: 32 -, wurden mit zunehmender Größe und Stabilität der schrumpfenden Anzahl der verbleibenden Mitspieler die Umdrehungen des Karussells immer langsamer. Bis es durch spektakuläre Einzelaktionen durch Carlos Ghosn bei Renault und Sergio Marchionne bei Fiat einen neuerlichen Schub bekam.
Die Fusion von PSA mit FCA ist jedoch mehr als eine normale Fusion unter Wettbewerbern. Sie ist ein "Game Changer": Die Spielregeln auf dem Weltautomobilmarkt werden durch diesen Zusammenschluss neu geschrieben. So schrumpft die Anzahl selbständiger Autokonzerne - ohne China gerechnet - auf nur noch zwölf. Damit wird die bisherige stabile Weltmarktstruktur über Nacht aufgebrochen. Die Kluft zwischen den Riesen an der Spitze und den kleineren Anbietern in der zweiten Hälfte der Rangliste spreizt sich weiter auf. Die Überlebenschancen kleinerer, eigenständiger Autobauer sinken.
"Big is beautiful" - aber ökologisch
Fakt ist: Wer künftig in der Autoindustrie am Weltmarkt überleben will, muss wachsen und eine Größenordnung wie die heutigen "Big Player" haben. Der Zustand nach der Fusion von PSA-FCA ist instabil und zieht weitere Anpassungen nach sich. Der heute schon scharfe Wettbewerb zwischen den Konzernen wird sich weiter verschärfen. Zu den bisherigen Fusionstreibern kommen neue, mächtige hinzu. Waren es bisher ökonomische Faktoren wie Kosten und Kundenpräferenzen, die über die Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit eines Herstellers entschieden, so überschattet nun der Primat der Ökologie alle ökonomischen Parameter. Er wird über Kosten- und Ertragsdruck zum Auslese- und Überlebenskriterium Nummer eins für jeden Automobilhersteller.

Helmut Becker schreibt für ntv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.
Emissionsbeschränkungen, Tempolimits, Elektromobilität und Roboterautos führen geradewegs zu Verödung und Uniformität des Auto-Angebotes. Wettbewerb wird nicht länger über Leistung der Verbrennermotoren und individualistische Produkt-Merkmale ausgetragen. Vielmehr stehen Reichweite der Batterie, elektronische Gimmicks im Cockpit und Vernetzung im Vordergrund des Wettbewerbs. Kunden kaufen Autos immer weniger nach "Money for Value"-, sondern mehr nach "Value for Money"-Kriterien. Umwelt- und Kostenführerschaft dominieren Kaufentscheidungen, nicht mehr Technologie- und Produktführerschaft. All das mündet in gewaltigem Kostendruck, der über natürliches Wachstum des Weltmarktes nicht mehr kompensiert werden kann.
Flucht nach vorn
Weder auf das Primat der Ökologie, die schwächelnde Konjunktur, noch auf neue Elektroantriebs-Technologien sind die Unternehmen vorbereitet. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern weltweit, am meisten für China. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass unter dem Druck drastisch steigender Kosten, verbunden mit einer deutlichen Ertragsverschlechterung, die Konzerne, getrieben von ihren Eigentümern, die Flucht nach vorn antreten werden. Der Sparzwang beziehungsweise der Zwang zur Kostendegression via größerer Absatzvolumen wird die Autobauer noch enger zusammenrücken lassen.
Das Zeitalter der Kosten-Dominanz erzwingt größere Stückzahlen und damit größere Unternehmenseinheiten. Das Fusionskarussell dreht sich dank PSA-FCA wieder und wird das künftig noch schneller tun. Die Fahrt hat gerade erst begonnen.
Quelle: ntv.de