
Gazprom beschäftigt knapp 500.000 Menschen.
(Foto: AP)
Wagner ist nicht die einzige paramilitärische russische Gruppe, die in der Ukraine kämpft. Auch vom Konzern Gazprom aufgestellte Einheiten sind dort offenbar im Einsatz.
Seit vielen Jahren wird Gazprom vom Kreml als politische Waffe eingesetzt. Doch mit der russischen Invasion in der Ukraine wird der staatliche kontrollierte Gas-Riese zur Waffe im wörtlichen Sinne: Gazprom hat eine eigene paramilitärische Truppe aufgebaut - und offenbar kämpfen einige von diesen Männern in der Ukraine.
Gazprom war nie ein normales Unternehmen. Der Konzern ist mit dem Öl-Giganten Rosneft das Herz der russischen Wirtschaft. Der weltweit größte Gas-Lieferant ist nicht nur eine sprudelnde Einnahmequelle für den Staatshaushalt und ein Selbstbedienungsladen für die Kreml-Elite und ihre Günstlinge. Gazprom ist auch ein Instrument, mit dem der Kreml versucht, anderen Regierungen seinen Willen aufzuzwingen. Nach den erfolgreichen Maidan-Protesten in Kiew erhöhte Gazprom für die Ukraine etwa den Gaspreis und drehte zeitweise den Hahn ganz zu. Nach dem Überfall auf die Ukraine sorgte der Kreml für eine Energiekrise in der Europäischen Union.
Fast eine halbe Million Menschen arbeiten für den Konzern, der 2021 - dem Jahr vor dem Überfall - einen Rekordgewinn von umgerechnet rund 28 Milliarden Euro auswies. Mit dem Angriff brachen die Einnahmen allerdings ein.
Geführt wird Gazprom seit 2001 von Putin-Buddy Alexej Miller. Dmitri Medwedew - einst Hoffnungsträger der russischen Liberalen, dann Interimspräsident, mittlerweile Scharfmacher und der heißeste Kandidat auf die vakante Stelle des Hofnarren im Kreml - sitzt seit 2000 im Aufsichtsrat und war ein paar Jahre dessen Vorsitzender.
Wagner-Chef wütet
In Russland gibt es zahlreiche paramilitärische Gruppen. Die meisten von ihnen sind formal Abteilungen der russischen Geheimdienste und der Streitkräfte, einige werden von Oligarchen oder von Unternehmen finanziert. Den Sponsoren der Milizen geht es dabei vor allem um die Sicherung ihres Vermögens und Einflusses.
Die sowohl bekannteste als auch berüchtigtste Gruppe ist die vom Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin geführte Wagner-Truppe, die unter schweren Verlusten mit aus Gefängnissen rekrutierten Männern die ukrainische Stadt Bachmut eroberte. Prigoschin ist auch derjenige, der im Frühjahr auf die Miliz von Gazprom aufmerksam machte. In einem gut halbstündigen Video ätzte er gegen Konkurrenz-Truppen und warf ihnen vor, ihm die Schau stehlen zu wollen - und seine Finanzierungsquellen.
Der Wagner-Chef erwähnte in diesem Zusammenhang drei Einheiten mit den Namen " Potok" (deutsch: "Fluss") "Fakel" ("Fackel") und Plamya ("Flamme"). Er habe mit "Potok"-Männern gesprochen, die in der Ukraine kämpften, so Prigoschin. Sie seien schmutzig, erschöpft und verängstigt gewesen und hätten sich über schlechte Ausrüstung beklagt. Einige hätten gesagt, sie seien über ihren Einsatzort belogen worden. Ihnen sei gesagt worden, sie würden eine Fabrik im russisch besetzten Luhansk bewachen - und nicht an der Front kämpfen müssen.
Die Aussagen von Prigoschin lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Doch im Februar hatte die russische Regierung ein Dekret veröffentlicht, das der Gazprom-Öl-Tochter Gazprom-Neft erlaubte, eine eigene private Sicherheits-Truppe aufzustellen. Der offizielle Zweck: Der Schutz ihrer Ölquellen und zugehöriger Infrastruktur wie Öl-Lager, Pipelines und Raffinerien - nicht nur in Russland, sondern etwa auch in der Ukraine und Syrien. Das Unternehmen gründete daraufhin im sibirischen Omsk eine Firma mit dem Namen "Gazpromneft Sicherheit". Was diese Firma genau macht, ist nicht bekannt. Auf Fragen von ntv.de antwortete Gazprom nicht.
Rekrutierung statt Mobilisierung
Recherchen der "Financial Times" und der "BBC" legen aber nahe, dass Gazprom eine eigene Truppe aufgebaut hat, und dass Mitglieder in der Ukraine eingesetzt werden. Der "FT" zufolge rekrutiert Gazprom offenbar nur beim eigenen Sicherheitspersonal in ganz Russland und lockt vor allem mit hoher Bezahlung.
Für den Kreml sind die Schattenarmeen von Nutzen. Ihre Bataillone sind Teile eines undurchsichtigen Geflechts paramilitärischer Einheiten, die nach dem Scheitern des Großangriffs des regulären Militärs zu Beginn des Krieges wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Dass die irregulären Truppen zu militärischen Erfolgen maßgeblich beitragen können, hat Wagner bei der Eroberung von Bachmut gezeigt.
Ein weiterer Vorteil für den Kreml ist, dass durch die Rekrutierung von Söldnern möglicherweise neue Einberufungen vermieden werden können. Seit dem Beginn der Invasion wurden westlichen Schätzungen zufolge 200.000 russische Kämpfer in der Ukraine verletzt oder getötet. Angesichts der Teil-Mobilisierung im vergangenen September hatte Zehntausende Russen ihr Land verlassen.
Oligarchen und Unternehmen können durch die Aufstellung paramilitärischer Einheiten ihre Loyalität zu Putin und ihre Unterstützung für den Krieg demonstrieren. Gazprom mag auch das zynische Kalkül haben, lieber eigens rekrutiertes, gering qualifiziertes Sicherheitspersonal an der Front zu sehen als vom staatlichen Militär eingezogene Ingenieure.
All das muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Putin irgendwann nicht mehr Präsident Russlands sein wird - vielleicht wird er gestürzt, vielleicht stirbt er eines natürlichen Todes. Prigoschin sagte, die Gründung von paramilitärischen Einheiten sei in Russland auch deshalb in Mode gekommen, "weil einige der einflussreichsten Männer glauben, dass sich Söldner bei einem zukünftigen Machtkampf als wertvoll erweisen können."
Quelle: ntv.de