"Für Rentner besorgniserregend" Moskauer ächzen unter schwachem Rubel
11.08.2023, 08:28 Uhr Artikel anhören
Wegen der westlichen Sanktionen sind russische Firmen auf sogenannte Parallel-Importe angewiesen.
(Foto: picture alliance/dpa/TASS)
Die westlichen Sanktionen, sinkende Öleinnahmen und steigende Inflation hinterlassen Spuren. Während Kreml-Chef Putin die Bevölkerung zur Geduld aufruft, spüren die Menschen die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs. Für ein Abendessen muss ein Familienvater nun doppelt so viel bezahlen wie zuvor.
Igor Inkin, 63 Jahre alt und mittlerweile pensioniert, verzichtet auf Desserts und andere kleine Freuden des Lebens. "Die Preise in den Geschäften gehen nach oben und wir müssen unsere Ausgaben anpassen", sagt der frühere Unternehmer. Er steht im Zentrum von Moskau und findet diese Entwicklung allmählich "beunruhigend". Anderthalb Jahre westliche Sanktionen und sinkende Öleinnahmen haben Spuren hinterlassen.
Der Rubel schwächelt seit Monaten und hat durch den Aufstand der Söldnertruppe Wagner Ende Juni noch einmal an Wert verloren. Am Donnerstag wurden 107 Rubel für einen Euro gehandelt und 97 Rubel für einen Dollar - der niedrigste Wert für die russische Währung seit Frühjahr 2022. Das verteuert die Importe. Die Inflation steigt, was die Zentralbank des Landes jüngst zu einer kräftigen Leitzinserhöhung veranlasste.
Inkin hat schon einige Hochs und Tiefs der Wirtschaft seines Landes erlebt: die Knappheit zu Sowjetzeiten, das Chaos der Wende 1990, die Wirtschaftskrise von 1998, die die Ersparnisse der Russinnen und Russen auffraß. Nun hat er erneut Sorgen, über die Runden zu kommen. "Für uns Rentner ist es besonders besorgniserregend". Viele arbeiten ohnehin nebenbei, um sich ihre Renten aufzubessern.
"Das kann nicht ewig so weitergehen"
Bei den Jüngeren klingt das allerdings nicht anders. Dmitri Bobrow, 19 Jahre alt und selbstständig im IT-Bereich tätig, hat Mühe, die nötigen Teile für seine Arbeit zu beschaffen. "Grafikkarten, Prozessoren ... die Preise sind deutlich gestiegen." Wegen der westlichen Sanktionen aufgrund des russischen Angriffskriegs können örtliche Firmen die nötigen Produkte nicht mehr so leicht beschaffen und sind auf sogenannte Parallel-Importe angewiesen - also Einfuhren über ein anderes Land.
Fjodor Tichonow, 37 Jahre alt und in der Filmindustrie tätig, merkt das auch beim Einkauf ganz alltäglicher Dinge. Früher konnte er für 1000 Rubel ein Abendessen für seine Familie einkaufen. "Heute kostet das 2000 Rubel", sagt er, während er ein Lebensmittelgeschäft verlässt. Moskau müsse dringend über die Sanktionen "verhandeln", sagt er. "Das kann nicht ewig so weitergehen."
Anzeichen für die Sorgen der Russinnen und Russen war auch ein Ansturm auf ihre Ersparnisse: Wegen der Wagner-Unruhen zogen sie zwischen dem 23. und dem 25. Juni eine Milliarde Rubel (fast 9,4 Millionen Euro) ab, das war rund fünfmal so viel wie der normale Durchschnitt von drei Tagen. "Der Fall des Rubel war erwartet worden", sagt der Analyst Arnaud Dubien, "er spiegelt den Außenhandel wider". Ungewöhnlich sei hingegen, dass der Rubel trotz wieder steigender Ölpreise weiter schwächeln würde.
Kreml-Chef Wladimir Putin gibt die Botschaft aus, dass das Land diese Flaute überstehen wird. Die russische Führung sieht in den Sanktionen und der Abwanderung westlicher Firmen eine historische Chance für eine Stärkung der inländischen Unternehmen, für Produkte "Made in Russia" und die Schaffung neuer Jobs im Land. "Die Menschen sollten sparen, Geduld haben und warten, dass das vorübergeht", sagte die 18-jährige Studentin Xenia Suschkowa. Es gehe darum, "unabhängig" zu sein, nicht auf andere Länder angewiesen.
Quelle: ntv.de, ysc/AFP