Tarifabschlüsse als Treiber Reallöhne steigen zum sechsten Mal in Folge
29.11.2024, 13:33 Uhr Artikel anhören
Zur steigenden Kaufkraft beigetragen haben im dritten Quartal erneut Inflationsausgleichsprämien sowie Lohnsteigerungen durch Tarifabschlüsse.
(Foto: picture alliance/dpa)
Gute Nachrichten für Arbeitnehmer: Ihre Kaufkraft hat im Sommerquartal weiter zugenommen. Die Inflationsfolgen werden damit wieder etwas gedämpft. Gleichzeitig liegen die Reallöhne aber immer noch auf dem Niveau von 2019. Schnelle Besserung ist laut Dominik Groll vom IfW nicht in Sicht.
Lohnzuwächse bei gleichzeitig sinkender Inflation haben die Kaufkraft der deutschen Beschäftigten im Sommer das sechste Quartal in Folge steigen lassen - allerdings langsamer als zuvor. Die Reallöhne wuchsen von Juli bis September binnen Jahresfrist um durchschnittlich 2,9 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Demnach legten die nominalen Löhne mit 4,9 Prozent stärker zu als die Verbraucherpreise mit 2,5 Prozent. Die Inflation zehrte damit nur einen Teil des Verdienstzuwachses wieder auf.
"Mit diesem sechsten Anstieg in Folge setzte sich der positive Trend der Reallohnentwicklung fort", so die Statistiker. "In den Quartalen von Ende 2021 bis Anfang 2023 hatten die Beschäftigten noch durchschnittlich Reallohnverluste zu verzeichnen." In den ersten drei Monaten 2024 hatte es mit 3,8 Prozent sogar das stärkste Reallohnwachstum seit Beginn der Zeitreihe 2008 gegeben, dem ein Plus von 3,1 Prozent im Frühjahr folgte.
Keine Rückkehr zum Vorkrisentrend
"Dieser Aufholprozess geht jedoch allmählich zu Ende", sagte der Arbeitsmarktexperte Dominik Groll vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Künftig dürften sich die Reallöhne auch wieder stärker an der Arbeitsproduktivität orientieren. "Diese ist angesichts der wirtschaftlichen Stagnation seit Jahren nicht gestiegen", ergänzte der Experte. "Solange dies so bleibt, sind größere Reallohnzuwächse trotz Arbeitskräftemangel nicht möglich, ohne die Beschäftigung zu gefährden."
Eine vollständige Erholung zum Vorkrisentrend - also dem Reallohnniveau, das ohne Pandemie und Inflationsschub realistisch wäre - zeichne sich daher nicht ab. Der jüngste Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie sei in dieser Hinsicht ein erstes Indiz. Dort werden die Löhne und Gehälter zum 1. April 2025 um 2,0 Prozent angehoben, ein Jahr später dann um weitere 3,1 Prozent. "Die dort vereinbarten Gehaltssteigerungen fallen real deutlich schwächer aus als beim Abschluss vor zwei Jahren", sagte Groll.
Unterm Strich hätten die Reallöhne damit insgesamt "gerade erst mal das Niveau von 2019 erreicht", ergänzte Groll im ntv-Interview. "Wir haben also fünf Jahre, in denen es keine Reallohnsteigerungen gab. Das ist außergewöhnlich."
Inflationsprämie und Tarifabschlüsse
Maßgeblich zur steigenden Kaufkraft beigetragen hat im dritten Quartal erneut die Inflationsausgleichsprämie. Diese steuer- und abgabenfreie Prämie kann bis zu 3000 Euro betragen. Diese freiwillige Leistung der Arbeitgeber kann noch bis Jahresende ausgezahlt werden. Auch die in Tarifverträgen beschlossenen Lohnsteigerungen und Einmalzahlungen stützten die Reallöhne.
Überdurchschnittliche Verdienststeigerungen gab es in den Bereichen Handel sowie Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (plus 6,9 Prozent), Verkehr und Lagerei (plus 6,4 Prozent) sowie Information und Kommunikation (plus 6,2 Prozent). Vergleichsweise geringe Steigerungen wurden hingegen in der Energieversorgung (plus 2,3 Prozent) sowie im Bereich Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung (plus 2,7 Prozent) gemeldet.
Das Fünftel der Vollzeitbeschäftigten mit den geringsten Verdiensten erhielt im Schnitt ein Lohnplus von 7,3 Prozent. "Damit setzte sich der Trend fort, dass die Nominallöhne von Geringverdienenden prozentual am stärksten steigen", so das Statistikamt. Die Verdienste der Vollzeitkräfte insgesamt stiegen um 5,0 Prozent. Für das oberste Fünftel lag der Zuwachs mit 4,3 Prozent darunter.
Verbraucher halten das Geld zusammen
Steigende Konsumausgaben der Verbraucher haben die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal knapp vor einer Rezession bewahrt. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs um 0,1 Prozent. Dazu trug maßgeblich das Plus bei den privaten Konsumausgaben von 0,3 Prozent bei. Allerdings ist die Kauflaune der Deutschen zuletzt wieder gesunken, wie die GfK-Marktforscher und das Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM) herausfanden.
Die Arbeitslosigkeit steige seit zwei Jahren, die Verbraucher sorgten sich wieder mehr um ihren Arbeitsplatz, so Groll im Interview mit ntv. Vor dem Hintergrund der Arbeitsplatzunsicherheit und der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung sei es nachvollziehbar, "dass sie das Lohnplus zur Seite legen und nicht vollständig in den Konsum geben". Anzeichen, dass sich das in naher Zukunft ändere, sieht der Arbeitsmarktexperte nicht. "Alle Stimmungsindikatoren sind schlecht. Deswegen gehen wir davon aus, dass die konjunkturelle Schwächephase mit ansteigender Arbeitslosigkeit noch bis weit ins kommende Jahr anhält. "
Quelle: ntv.de, ddi/rts