LAP-Gründer im Interview"Wir kriegen die Wut ab, weil wir um die Ecke sind"

Wütende Proteste und beschmierte Schaufenster: Um die Kaffeekette LAP ist ein heftiger Streit entbrannt. "Es ist schon komisch, dass ein Libanese mit Kaffeeläden jetzt das Gesicht der Gentrifizierung in Deutschland sein soll", sagt Gründer Ralph Hage.
Ende Oktober wurden mehr als ein Dutzend Ihrer LAP-Coffeeshops mit roter Farbe beschmiert. Wie haben Sie davon erfahren?
Ralph Hage: Ich stehe normalerweise sehr früh auf. Gegen fünf Uhr morgens kamen die ersten Nachrichten im Mitarbeiter-Chat. Wir sind ein kleines Team im Büro, keine 20 Leute, und haben uns aufgeteilt, um in die verschiedenen Filialen zu gehen und den Baristas dort beim Putzen zu helfen.
Was ging in diesem Moment in Ihnen vor?
Da blieb erst mal nicht viel Zeit für Gefühle. Wir mussten reagieren, das Team schützen und die Situation im Griff haben. Wir beschäftigen viele sehr junge Menschen, darunter viele Migranten und Menschen, die noch studieren und versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das ist es, was mir als Erstes in den Sinn kam: Wie können wir sie schützen? Von der Polizei hieß es, da niemand verletzt wurde, könne sie nicht für unseren Schutz sorgen.
Die Wut einiger Menschen auf LAP Coffee hat sich in den letzten Wochen hochgeschaukelt. Es begann mit wütenden Stimmen im Internet - und steigerte sich bis zu den Farbattacken. Verstehen Sie, woher diese Wut kommt?
Nein. Die Idee hinter LAP ist, auf persönlicher Ebene eine Lifestyle-Marke zu schaffen, die es uns gleichzeitig ermöglicht, eine Community aufzubauen. Das hat auch damit zu tun, dass ich nicht aus Deutschland komme, sondern aus dem Libanon. LAP entstand aus dem Wunsch, Menschen zusammenzubringen und auch für mich selbst als Einwanderer eine Gemeinschaft zu schaffen.
Allerdings sind die LAP-Filialen eben keine Orte, die zum langen Verweilen einladen. Die meisten Kunden trinken ihren Kaffee nicht dort, sondern nehmen ihn mit.
Wenn sie auf dem Weg zur Arbeit sind, ja. Aber wenn eine Veranstaltung stattfindet, ist das ganz anders. Wir haben dieses Jahr über 260 Events organisiert. Das können-Live-Painting-Vernissagen, Events mit Hunden oder Modeveranstaltungen sein. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, die Gemeinschaft zu aktivieren. Deshalb lieben uns unsere Kunden.
Zuletzt bekam man allerdings den Eindruck, dass einige Menschen LAP eher zu hassen scheinen.
Das ist eine laute, aber im Vergleich zu dem positiven Feedback, das wir erhalten, kleine Minderheit. Wir haben eine hohe Kundenbindung, aber die Leute, die uns mögen, reden nicht jeden Tag darüber. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die von ihrem eigenen Leben frustriert sind und das an uns auslassen. Ich glaube nicht, dass es dabei wirklich um LAP geht. Wir kriegen diese Wut ab, weil wir direkt um die Ecke sind. Es ist leicht, unsere Schaufenster zu beschmieren. Aber wenn man etwas verändern will, dann kann man gegen große Konzerne protestieren, gegen die Politik - oder einfach wählen gehen. Man verändert gar nichts, indem man das Geschäft um die Ecke beschädigt. Es geht doch hier nicht um LAP, wir sind einfach nur zur Zielscheibe geworden.
Diese Menschen nehmen LAP aber gerade nicht als lokales Geschäft wahr, sondern als Unternehmen mit internationalen Finanzinvestoren im Rücken, das kleine, lokale Cafés verdrängt.
Wie kann man sagen, dass wir nicht lokal sind? Wir haben hier in Berlin angefangen. Wir leben hier, wir arbeiten mit lokalen Partnern und Lieferanten zusammen. Seit Beginn der vermeintlichen Debatte konnte niemand auch nur ein einziges Café benennen, das durch uns pleitegegangen wäre. Es stimmt auch nicht, dass wir kleine Händler aus den Geschäften vertreiben, wie immer wieder behauptet wird. Die Läden, in die wir gezogen sind, standen größtenteils seit Monaten leer. Übrigens haben auch andere Coffee Shops mit mehr als zwei oder drei Filialen Investoren. Aber dieser Teil der Kaffeeszene bleibt ruhig und unterstützt uns nicht, um selbst nicht in die Kritik zu geraten. Und dann ist ja auch wichtig zu wissen, wie der Kaffeemarkt überhaupt funktioniert.
Wie funktioniert er denn?
Jedenfalls nicht wie Monopoly spielen. Kaffee ist ein sehr fragmentiertes Geschäft, das ist nicht Microsoft in den 90er-Jahren. Es wird kein Monopol geben. Dazu müsste man 11.000 Cafés in Deutschland eröffnen. Das wird nicht passieren. Der Specialty-Coffee-Markt, auf dem wir unterwegs sind, macht gerade einmal drei Prozent des gesamten Marktes aus. Neun von zehn Menschen in Deutschland trinken ihren Kaffee zudem bisher zu Hause oder im Büro. Da ist also noch sehr viel Platz für neue Konzepte.
Ihre Kritiker fürchten, dass LAP durch das Investorengeld niedrigere Preise anbieten kann und diese erhöhen wird, sobald die Konkurrenz in den Kiezen aufgegeben hat.
LAP ist darauf ausgelegt, faire Preise anzubieten. Das gelingt uns, indem wir zum Beispiel keinen Service am Tisch anbieten, wir haben auch keine aufwendige Einrichtung, dafür sehr effiziente Prozesse. Wir sind ja auch nicht die einzigen, die so niedrige Preise haben. Schauen Sie zum Beispiel Yorma's an. Die verkaufen einen kleinen Cappuccino für 1,60 Euro, und das an Bahnhöfen. Das sind wirklich teure Lagen. Die Mondpreise in den Hipster-Läden sind eine Erfindung aus Berlin-Mitte. Diese Kaffeeläden haben viel höhere Margen als LAP. Das Geld unserer Investoren brauchen wir nicht, um unsere niedrigen Kaffeepreise zu subventionieren. Wir verdienen an jedem Kaffee Geld. Wir nutzen das Investorengeld stattdessen, um unsere Läden umzubauen und die Kaffeemaschinen zu kaufen.
Können Sie wenigstens einen Teil der Kritik an LAP verstehen? Ist da auch ein Fünkchen Wahrheit dran?
Für mich ist wichtig, wie wir nachhaltiger werden. Das ist aber nicht allein unser Problem, sondern eins der gesamten Branche. Jedes Café benutzt Pappbecher. In Berlin sahen wir unsere Becher plötzlich auf der Straße. Das war ein Problem, dafür wurden wir von einigen Anwohnern kritisiert. Also haben wir alles darangesetzt, eigene Becher anzubieten. Wir haben jetzt auch Tassen und Becher aus Keramik und Glas. Wir bieten 15 Prozent Rabatt, wenn man seinen eigenen Becher mitbringt. Wir haben also Anreize geschaffen, den Verbrauch von Plastik- und Pappbechern zu reduzieren. Und für die To-Go-Becher, die weniger als 50 Prozent ausmachen, gilt: Sie bestehen zu 100 Prozent aus recyceltem Material. Wir sprechen mit der Berliner Stadtreinigung darüber, neben unseren Stores Sammelbehälter aufzustellen, um Recycling zu erleichtern.
Lassen Sie uns noch einmal auf die Wut zurückkommen, die offensichtlich einige Menschen spüren, wenn es um LAP geht. Wo kommt die Ihrer Meinung nach her?
Es hat viel mit den Veränderungen in der deutschen Gesellschaft zu tun. Die Deutschen leben in einem Land, das viele Jahre sehr wohlhabend und innovativ war und einige der besten Unternehmen beheimatet. Jetzt steckt die deutsche Wirtschaft in der Krise, es müssen Schulden aufgenommen, Kosten eingespart, eigentlich auch Sozialleistungen gekürzt werden. Diese Minderheit, die protestiert, hat Angst vor Veränderungen. Sie kann sich nicht an die sich verändernde Welt anpassen. Es ist schon komisch, dass ein Libanese mit Kaffeeläden jetzt das Gesicht der Gentrifizierung in Deutschland sein soll - und kein russischer Oligarch oder Immobilienhai oder eine internationale Kette. Dabei gehören zur Definition von Gentrifizierung steigende Preise, wir aber bieten niedrige Preise.
Sogar die britische "Financial Times" hat über LAP Coffee und die Proteste berichtet. Es hieß, sie sagten einiges über das Verhältnis Deutschlands zu Unternehmertum und Innovation aus. Wie sehen Sie das?
Die Leute, die so etwas tun, repräsentieren ja nicht Deutschland. Es ist eines der klügsten Länder, in denen ich je war. Meine deutschen Freunde sind kreative, ehrgeizige Menschen, die etwas Innovatives aufbauen wollen. Die deutsche Ingenieursdenke beeindruckt mich. Es gibt so viele Erfolgsgeschichten hier. All das geht ja nicht weg, weil ein Dutzend Unruhestifter in Berlin Stress macht und sich auf anonymen Blogs selbst dazu beglückwünscht. Farbattacken gab es übrigens auch nur in Berlin, nicht in Hamburg oder München.
Wie steht es um die unternehmerische Denke in Deutschland?
Es stimmt wahrscheinlich, dass die Menschen hier mehr Angst zu scheitern haben als anderswo. Deutschland hat Weltklasse-Talente, aber die Gründungskultur ist durch Vorsicht geprägt. Viele denken zuerst in Risiken, dann in Innovation. Es muss ja einen Grund haben, dass die letzten großen Innovationen im Konsumbereich aus Deutschland Jahrzehnte her sind. Auch wenn man auf LAP schaut, ist das wirklich merkwürdig: Leute haben Angst vor einem Coffeeshop, der Jobs schafft und günstigen Kaffee anbietet.
Welche Zukunftspläne haben Sie mit LAP?
Wir planen, weitere Filialen zu eröffnen. Und zwar dort, wo sich unsere Kunden das wünschen. Wir bekommen Nachrichten von Menschen aus ganz Deutschland, aus Städten wie Bielefeld oder Husum, die fragen, wann wir bei ihnen Läden eröffnen. Aber auch aus Österreich und der Schweiz erreichen uns Nachrichten, die fragen, wann LAP dort startet. Von Anfang an war außerdem unser Ziel, Kaffee und Drinks auch in Supermärkten zu verkaufen. Das werden wir jetzt angehen.
Mit Ralph Hage sprach Katja Michel