Klimaangst geht viral Worum es beim umstrittenen Ölbohrprojekt Willow geht
21.03.2023, 18:06 Uhr
Eigentlich hatte US-Präsident Joe Biden im Wahlkampf versprochen, keine weiteren Bohrungen auf staatlichem Boden zuzulassen. Es kommt anders.
(Foto: picture alliance / abaca)
Ob bei Instagram, bei Tiktok oder Twitter, überall in den sozialen Medien entlädt sich seit Wochen die Wut über dasselbe Thema: ein umstrittenes Ölförderungsprojekt im Norden des Bundesstaates Alaska. Vergangene Woche erteilte die US-Regierung dem Energieriesen Conoco Phillips die lange erwartete Genehmigung. Der US-Konzern darf an drei Standorten im bundeseigenen National Petroleum Reserve nach Öl bohren. Am heftigsten protestiert die sogenannte Generation Z , junge Menschen, die um die Jahrtausendwende geboren sind. ntv.de erklärt, was es mit dem Multimilliarden-Projekt auf sich hat, warum es überhaupt grünes Licht aus Washington bekommen hat und was das Besondere an dieser Protestbewegung junger Klimaaktivisten im Netz ist.
Was ist das Willow Project?
Das Willow Project ist ein frisch von der US-Regierung genehmigtes Ölbohrprojekt des texanischen Energiekonzerns Conoco Phillips im Norden des US-Bundesstaats Alaska. Conoco bohrt dort bereits seit fünf Jahren auf staatlichem Grund und Boden im National Petroleum Reserve. Es ist das Brot- und Buttergeschäft des drittgrößten US-amerikanischen Ölkonzerns und damit an sich nichts Besonderes. Es handelt sich jedoch um ein älteres Projekt, das überraschend wiederbelebt wurde. Conoco hatte es 2020 vorgeschlagen. Die Trump-Regierung hatte es zunächst genehmigt, unter US-Präsident Joe Biden wurde es wegen Umweltbedenken dann aber gestoppt. Am 13. März winkte er das umstrittene Projekt - ungeachtet seiner früheren Klimaversprechen und anhaltender Proteste - dann doch noch durch.
Wie groß ist das Projekt?
Conoco Phillips will insgesamt acht bis zehn Milliarden US-Dollar in das Willow Project investieren. Die geplante Fördermenge wird mit 180.000 Barrel Öl pro Tag und die Lebenszeit des Projektes mit 30 Jahren angegeben. Insgesamt ergibt das rund 600 Millionen Barrel Öl, die gefördert werden sollen, das sind mehr als 95 Milliarden Liter Öl. Umgerechnet bedeutet das beinahe 300 Millionen Tonnen CO₂, die emittiert werden, wenn das Öl verbrannt wird.
Ob es bei der Fördermenge bleibt, ist jedoch offen. Intern scheinen noch andere Rechnungen zu kursieren. Conoco soll der "Washington Post" zufolge Investoren gegenüber bereits von insgesamt bis zu 3 Milliarden Barrel gesprochen haben, die über die neue Infrastruktur erschlossen werden könnten. Das ist eine gigantische Menge. Zum Vergleich: 2021 produzierten die USA insgesamt rund 711 Millionen Barrel Rohöl.
Warum der Sturm der Empörung?
Die Wut richtet sich vor allem gegen US-Präsident Biden. Ihm wird Wortbruch vorgeworfen, hatte er doch im Wahlkampf gelobt, keine weiteren Öl- und Gasbohrungen auf staatlichem Boden zuzulassen. Statt die Umwelt zu schützen, wie versprochen, beschleunige er nun die Klimakatastrophe, heißt es. Bidens Zusicherung, die USA bis 2050 klimaneutral zu machen, rückt mit immer mehr Gebieten, die für neue Ölbohrungen freigegeben werden, in weite Ferne. Neben den großen Mengen an CO₂, die freigesetzt werden, werden auch die Begleiterscheinungen des Projekts kritisiert. Zahlreiche unberührte Gebiete der arktischen Tundra würden durch die nötige Infrastruktur für Arbeiter sowie die Förderung und den Transport des Rohöls zerstört, lautet die Kritik. Wildtiere würden dadurch auch aus ihren Lebensräumen vertrieben.
Sind sich die Regierung und Conoco der Umwelt- und Klimaproblematik bewusst?
Unbedingt. Laut einer kürzlich von der Biden-Regierung durchgeführten Umweltprüfung wird das Projekt jährlich etwa 9,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid erzeugen, was dem Fahren von fast 2 Millionen Verbrennerautos entspricht.
Conoco Phillips soll den Klimawandel schon in der Planung eingepreist haben. Das Unternehmen rechnet fest damit, dass der Permafrostboden, auf dem die Bohrinfrastruktur errichtet wird, wegen der Klimakrise in den kommenden 30 Jahren aufweichen wird. Das will Conoco verhindern, indem es den Boden künstlich kühlt, was allerdings für weitere CO₂-Emissionen sorgen wird.
Wieso der Sinneswandel von US-Präsident Biden?
Dafür finden sich mehrere Erklärungen: Zunächst einmal soll das Milliardenprojekt zur Unabhängigkeit der USA von ausländischen Ölimporten beitragen. Darüber hinaus spielen finanzpolitische Interessen eine Rolle: Der Staat ebenso wie die Region in Alaska versprechen sich Milliardeneinnahmen durch Steuereinnahmen und Lizenzgebühren. Hier gibt es allerdings einen Wermutstropfen: denn bis die Einnahmen sprudeln, werden noch Jahre vergehen. Zukunftsmusik sind auch die Tausenden Jobs, auf die Alaska hofft. Auch rechtliche Gründe sollen zum Sinneswandel beigetragen haben. Angeblich hat Conoco Phillips gültige Pachtverträge in der Gegend. Die Regierung hätte deshalb wohl mit Geldstrafen und rechtlichen Konsequenzen rechnen müssen.
Unterm Strich wird das Willow Project als Kompromiss verkauft: Biden verringerte die ursprüngliche Genehmigung für den Bau von fünf Bohrinseln auf drei (was unter Klimagesichtspunkten allerdings keinen Unterschied macht, weil auch mit den drei Bohrinseln 90 Prozent des von Conoco Phillips anvisierten Ölvorkommens gefördert werden). Außerdem schränkte die US-Regierung nur einen Tag vor der Entscheidung für Willow Öl- und Gasbohrungen im Arktischen Ozean ein. Als weiteres Zugeständnis gilt, dass der Schutz des bundeseigenen National Petroleum Reserve, in dem Willow liegt, um Millionen Hektar ausgeweitet werden soll.
Wie finden die Menschen in Alaska das Projekt?
Das Bild ist gemischt. Es gibt Indigene, die sagen, dass Bohrungen ihren Städten, ihrer Lebensweise und der lokalen Umwelt erheblichen Schaden zufügen. Es gibt aber auch die Vertreter, die die Bohrungen unterstützen, weil sie sich Arbeitsplätze und wirtschaftliche Erholung versprechen. Der Bürgermeister des betroffenen Verwaltungsbezirks, Harry Brower, zählt zu den Befürwortern des Projekts. "Wir haben bessere Schulen, Krankenhäuser, Notdienste, Straßen und eine viel höhere Lebenserwartung", zitiert ihn t-online.
Was hat es mit der Social-Media-Kampagne #StopWillow auf sich?
Der Protest gegen das Willow Project hat sich in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer verbreitet. Elise Joshi, eine 20-jährige Klimaaktivistin, die seit zwei Jahren Umweltinhalte postet, sagte, sie habe "seit Langem, vielleicht noch nie" so viel Interesse an einem Klimathema gesehen. Hashtags wie #willowproject, #stopwillow und #stopthewillowproject finden sich regelmäßig in den täglichen Top-10-Listen von Tiktok. In den USA wurden mit #willowproject getaggte Posts allein im letzten Monat in den USA über 163 Millionen Mal aufgerufen. Als Grund heißt es in der Szene, dass der Charakter des Themas gut zur Plattform passe, weil es keine einheitliche Botschaft oder Gruppe gäbe, die das Thema dominiere. Es handele sich um "ein wirtschaftliches Problem, ein Umweltproblem und ein soziales Problem", erklärt Alex Haraus, ein 25-jähriger Umweltschützer, dessen Videos über das Willow Project millionenfach geklickt wurden.
Gibt es innerhalb der Kampagne auch andere Meinungen?
Ja. Es gibt auch die Sorge, dass die Bewegung Klimapanik und -hysterie schürt. Die Wissenschaftlerin Alaina Wood, die ebenfalls Videos bei Tiktok veröffentlicht, warnte beispielsweise in der "Washington Post", dass Fehlinformationen, die über das Willow Project veröffentlicht würden, nicht zielführend seien, weil sie Klimaängste verstärken würden. Sie selbst teile Videos, um andere zu beruhigen, die denken, der Klimawandel wäre durch das Projekt unumkehrbar, "was nicht stimmt".
Wie geht es weiter?
Der Widerstand gegen das Projekt bleibt ungeachtet der erteilten Genehmigung hoch. Eine Petition von change.org, die weiter ein Ende des Projekts fordert, hat bereits mehr als 4,5 Millionen Unterschriften gesammelt, und ein von der Interessenvertretung Protect the Arctic hochgeladenes Formular, das zum Schreiben von Briefen aufruft, hat bis Freitag über 1,1 Millionen einzelne Briefe an das Weiße Haus nachverfolgt. Ausgang offen. Es wird mit Klagen gerechnet. Ein Aus für das Projekt zum jetzigen Zeitpunkt ist wohl eher nicht mehr wahrscheinlich. Käme es aber dazu, würde das eine Zeitenwende markieren. #StopWillow hätte dann bewiesen, dass digitale Bewegungen durchaus die Macht besitzen, Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Quelle: ntv.de