Besser schlafen Per App ins Land der Träume daddeln
19.03.2021, 19:37 Uhr
Schlafmangel bekommt man auch ohne Medikamente in den Griff.
(Foto: imago images/Shotshop)
Schlafstörungen können zu einem echten Problem werden. Wer regelmäßig zu wenig schläft, erkrankt etwa häufiger an Depressionen und Diabetes. Doch so weit muss es nicht kommen: Für Menschen, die unter Ein- und Durchschlafproblemen leiden, haben drei Gründer eine App entwickelt.
Napoleon Bonaparte soll einst gesagt haben: "Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein Idiot." Die Wissenschaft von heute würde Napoleon vehement widersprechen. Zur optimalen Regeneration empfehlen Experten mindestens sieben Stunden Schlaf, abhängig von Veranlagung, Alter, Gewohnheiten und - bei Frauen - Zyklusphase. Wer regelmäßig weniger schläft, erkrankt laut den Daten einer großen US-amerikanischen Gesundheitserhebung eher an Depressionen, Diabetes, Übergewicht oder Bluthochdruck. Auch Konzentrationsfähigkeit, Energielevel und Stimmung werden von Schlafdauer und -qualität beeinflusst. Nicht ohne Grund ist Schlafentzug bis heute eine beliebte Foltermethode, die sogar nicht nachweisbar ist.
Das Schlafzimmer als Folterkammer? Noah Lorenz, Co-Founder und CEO von Mementor, bestätigt: "Für Menschen, die unter Ein- und Durchschlafproblemen leiden, ist das Schlafzimmer oft mit Stress verbunden." Zusammen mit Alexander Rötger hat er die App Somnio entwickelt, ein digitales Schlaftraining, das auf der kognitiven Verhaltenstherapie basiert und zur Behandlung von Schlafstörungen verwendet werden kann. Angeleitet wird das Training von Albert, einem virtuellen Schlafcoach, der verdächtig große Ähnlichkeit mit Co-Gründer Rötger aufweist.
Das Konzept von Somnio: Um besser ein- und durchschlafen zu können, sollen das gelernte Verhalten geändert und neue Routinen etabliert werden. Zum Beispiel durch angeleitete Schlafrestriktion, sprich: Schlafentzug. Durch die bewusste Einschränkung der Bettzeit könne dabei der sogenannte Schlafdruck erhöht und das Bett wieder mit positiven Emotionen aufgeladen werden, sagt Lorenz. Im Oktober 2020 wurde Somnio vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als digitale Gesundheitsanwendung (DiGa)zugelassen. Seitdem können die Kosten der Behandlung von den Krankenkassen übernommen werden.
Besser schlafen durch Schlafentzug
Zur Aktivierung von Somnio benötigt man nur ein ärztliches Rezept eines Hausarztes, eines Psychotherapeuten oder Teledoktors. Den Freischaltcode für die App bekommt man dann von seiner Krankenkasse, nachdem man das Rezept dort eingereicht hat. Das Zusammenspiel mit anderen Playern im Gesundheitssystem war von Anfang an Somnios Ziel. "Wir sehen uns als Teil der Behandlung, nicht als Insellösung", so Lorenz. Er sagt: "Es ist ähnlich, wie wenn Ärzte ein Medikament verschreiben. Das reicht in der Regel nicht aus, sondern ist nur eine Komponente, ein Baustein der Behandlung. Und so sehen wir unsere Lösung auch."
Schlafstörungen können zu einem echten Problem werden. Laut der Techniker Krankenkasse leidet jeder Dritte unter schlechtem Schlaf. Jeder Zehnte erfülle die klinischen Diagnosekriterien einer Schlafstörung, auch Insomnie genannt. Doch bislang waren nur wenige der Betroffenen in professioneller Behandlung. Durch die Coronapandemie ist das Thema noch mal akuter geworden. "Die Leute haben keine Struktur mehr, das ist ein großes Problem", sagt Rötger. Denn verbannt ins Homeoffice, könne man morgens einfach im Schlafanzug bleiben oder vom Bett aus arbeiten - und eben das sei Gift für einen gesunden Schlaf. Ins Schlafzimmer gehörten Ruhe, Gelassenheit und Schlaf - und nicht Arbeit und Stress.
Die Idee für Somnio kam den Psychotherapeuten Lorenz und Rötger 2014 in der Schweiz. Noch ohne Namen pitchten sie ihr Konzept bei einem Businessplan-Wettbewerb und konnten sich die erste kleine Finanzierung sichern. Mit Jan Kühni, heute CTO, holten sie sich das benötigte Informatikwissen an Bord. 2020 gab es dann eine weitere Finanzspritze im mittleren sechsstelligen Bereich, um die Anerkennung als DiGA final durchsetzen zu können. Inzwischen sitzt das junge Startup in einer großen Altbauwohnung in Leipzig: Stuck an der Decke, Kunst an den Wänden, dazu eine gute Kaffeemaschine, denn Kaffee darf selbst bei den Schlafspezialisten nicht fehlen.
Medikamente sind keine Lösung
Von Medikamenten als Schlafmedizin raten die Therapeuten Lorenz und Rötger ab. Das eigentliche Problem werde dadurch nicht gelöst, zudem könnten Schlaftabletten schnell süchtig machen und gingen oft mit Nebenwirkungen einher. Die Zahlen sind tatsächlich erschreckend: Rund eine Million Menschen in Deutschland nahmen im Jahr 2019 täglich oder fast täglich Schlaf- oder Beruhigungsmittel ein. 2016 waren es noch 560.000. Damit hat sich die Anzahl der Menschen, die regelmäßig mit Hilfsmittelchen ihrer Nachtruhe nachhelfen, in nur vier Jahren fast verdoppelt. Im Coronajahr 2020 dürften die Zahlen noch weiter gestiegen sein.
Und wie schnell wirkt nun das digitale Schlaftraining? "Man kann nach sechs Wochen schon gute Erfolge haben", sagt Lorenz. Das ist natürlich nicht so schnell wie mit einer Schlaftablette. Aber dafür sind die Ergebnisse nachhaltiger: Auch zwölf Monate nach Abschluss des digitalen Schlaftrainings könne man die positiven Effekte der Behandlung noch nachweisen.
Schlafmangel bekommt man also auch ohne Medikamente in den Griff. Wenigschläfer Napoleon starb übrigens mit nur 51 Jahren an Magenkrebs - einer möglichen Folgeerkrankung. Wer ist nun der Idiot, Napoleon?
Dieser Artikel ist zuerst bei Business Punk erschienen.
Quelle: ntv.de