Der Wüstensturm bläst noch immer Maserati Ghibli aus den 60ern trifft auf den von heute
11.03.2023, 07:42 Uhr
Ungleiches Paar, aber beide ziemlich heiß: Maserati Ghibli alt und neu.
(Foto: Patrick Broich)
Vor knapp sechs Jahrzehnten stellte Maserati den Ghibli vor, damals als stilvolles Coupé mit potentem Achtzylinder. Nach einer wechselvollen Geschichte der Baureihe besteht der vorläufige Höhepunkt darin, ihn dieses Jahr noch als Achtzylinder kaufen zu können. Zeit für eine Begegnung.
Heißer Wüstensturm ist eine interessante Vorstellung im Kontext mit dem Thema Automobil und könnte spannende Assoziationen hervorrufen. Diese Aussage dürfte in den letzten knapp 60 Jahren jedenfalls kaum an Bedeutung verloren haben. Hot (so könnte man es neudeutsch ausdrücken) sind definitiv beide hier zum Gegenstand gemachten Ghibli-Modelle - das historische Coupé und die aktuelle Limousine. Ghibli ist übrigens die Bezeichnung für einen heißen Wüstensturm. Grund genug, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Unter der zierlichen Haube inmitten des ellenlangen Ghibli-Vorderwagens steckt ein 4,7 großer Aluminium-Achtzylinder mit zweifacher Doppelnocke und damals ziemlich sagenhaften 309 PS.
Aber auch das Drumherum ist ganz schön appetitlich. Aus heutiger Perspektive sogar fast noch attraktiver als die reine Motorleistung, denn ein Klassiker muss sich weder auf der Straße noch auf dem Track beweisen. Gleichwohl macht der Antrieb des Ghibli natürlich nach wie vor Laune, doch dazu gleich mehr.
Erst einmal bitte sattsehen an Giugiaros Traumkreation, deren Heck mit fast liegender Scheibe harmonisch-fließend ausläuft und von den Rückleuchten der profanen Alfa Romeo Giulia abgeschlossen wird. Der Kniff im Bereich der Front: Die Funktion der Stoßstange übernimmt eine ästhetisch geformte Chromumrandung des Kühlergrills, in deren Zentrum der Dreizack prangt.

Beide Ghibli verströmen das gewisse Etwas. Der wuchtige Trofeo ist ein feiner Alltagsbegleiter, der 4700 das Sonntagsauto.
(Foto: Patrick Broich)
Überhaupt, diese Proportion! Nur 1,16 Meter hoch baut das mit 4,59 Metern Länge für damalige Verhältnisse recht üppig bemessene Coupé. In der Breite notiert der Italiener mit 1,80 Metern, die man ihm jedoch kaum abnimmt, denn er wirkt viel satter. Und außerdem ziemlich gestreckt wegen seiner nicht enden wollenden Motorhaube. Deren markante Lufteinlässe sowie seitliche Kiemen verliehen dem Athleten übrigens auch formal das Sportabzeichen.
Moderner Ghibli nur noch dieses Jahr mit V8

Wie die Mode sich ändert: Im Gegensatz zum 4700 verkneift sich der Trofeo jeglichen Chromschmuck.
(Foto: Patrick Broich)
Sportabzeichen ist ein gutes Stichwort. An dieser Stelle kommt der neue Ghibli ins Spiel, dem es optisch zwar nicht gelingt, seinem Vorbild die Schau zu stehlen. Aber die Attraktivität eines Maserati ist schließlich mehrdimensional und nicht nur allein auf den äußeren Auftritt zurückzuführen. Das Beste kommt zum Schluss, heißt es so schön, und genau das gilt auch für den Ghibli Tipo M157. Denn obwohl die Limousine bereits im Jahr 2013 eingeführt wurde, gibt es die Linie "Trofeo" mit rassigem Achtzylinder unter dem Blech (vorher bot Maserati hier nur Diesel und Benziner mit sechs Töpfen an) erst seit dem Herbst 2020 - erkennbar an den feuerrot umrandeten Kiemen in den Kotflügeln vorn. Die Zeit ist also reif für eine Begegnung mit dem historischen Namensgeber.
Wer den modernen Ghibli-Achtzylinder möchte, muss sich schwer beeilen. Anfang 2024 soll in Turin der letzte Businessklässler mit dem klangvollen Doppelturbo vom Band rollen. Klangvoll? Das will ausprobiert werden! Kleiner Tipp: Den Motor am besten von einer dritten Person starten lassen und die Lauscher in der Nähe der Auspuffendrohre aufstellen. Ein heiseres Wruuumm ertönt vor allem beim akustisch intensiveren Kaltstart, da läuft der 3,8-Liter-V8 nun. Er röhrt unten herum bassig und schreit oben kehlig, aber nicht zu prollig. Er bleibt dezent, aber doch eindringlich. Da mischt sich glatt ein Schuss Ferrari in die noble Maserati-Kulisse.
Hier wird aus dem F154-Triebwerk (das selbst im legendären 488 Pista Dienst tut) ein braver, nicht ganz so hoch drehender Crossplane-Geselle, der sich seine Schmierung aus dem nassen Ölsumpf besorgt. Aber so richtig dreckiges Bollern haben die Applikationsingenieure dem Zweitonner abtrainiert. Passt einfach nicht zum zurückhaltenden Habitus. Wer den Ghibli trotz seiner zweifellos extravagant gezeichneten Fensterlinie nebst grimmig-rassigen Front bisher ein wenig zu langweilig gefunden haben sollte - dieser Achtzylinder bringt das Quäntchen Würze, das womöglich noch gefehlt hat.
Und ehrlich gesagt ist es sogar irgendwie ganz cool, in einem eigentlich eher profanen Auto zu sitzen, dessen Antrieb hauptsächlich für den Reiz sorgt. Das macht den Trofeo zu einer Offerte für ausgeprägte Enthusiasten. Natürlich ist der Ghibli auch mit einem sehr ordentlichen Fahrwerk gesegnet, das eine ausgewogene Abstimmung zwischen komfortabler und ambitionierter Ausrichtung liefert. Diese Limousine ist so eine Art Super-GT im dezenten Dress mit durchaus ordentlichen Platzverhältnissen und feinen Fauteuils. Klar, dass ein Auto mit knapp drei Metern Radstand selbst seinen Fondgästen ein ansehnliches Maß an Beinfreiheit zur Verfügung stellt.
Der stärkste Ghibli ist ein Dampfhammer

Etwas bemüht: mickrige Carbon-Abdeckung des modernen F154-Achtzylinders. Sein Sound indessen ist betörend und geht bis ins Mark.
(Foto: Patrick Broich)
Doch ein Problem gibt es jetzt aber schon. Zugegeben, ein Luxusproblem. Kann es irgendwie gutgehen, wenn 427 kW/580 PS auf die Hinterachse boosten? Aus dem Stand mit voller Last zu beschleunigen, bringt die Traktionskontrolle jedenfalls ganz schön ans Arbeiten. Erst mit zunehmendem Tempo wird das Heck bei durchgedrücktem rechten Pedal ruhiger. Und dann schiebt das pochende, übermächtige Herz den Italiener irrwitzigen 326 Kilometern je Stunde entgegen, was ihn zu einer der schnellsten auf dem Markt erhältlichen Limousine macht. Gaudi hat man mit dem feinen Trofeo aber auch weit unterhalb dieser eher theoretischen Marke. Dampf in allen Lebenslagen ist angesagt, aber meist auf die sanfte Art. Vor allem unterstreicht sein wohlerzogener Achtgang-Wandlerautomat den komfortablen Einschlag dieses exotischen Tourers mittels kaum spürbarer Übersetzungswechsel. Oder der Ghibli schaltet einfach gar nicht herunter und surft souverän im großen Gang auf der Drehmomentwelle (730 Newtonmeter).
Dass man mit dem neuzeitlichen Ghibli aus der Masse hervorsticht und mit dem Trofeo erst recht - geschenkt. Doch die erste Generation ist noch ein ganz anders Kaliber, von der gerade einmal eine knapp vierstellige Anzahl an Exemplaren entstanden ist und nicht 100.000 Stück (wie vom Tipo M157). Allerdings auch preislich. Während das neue Modell ab exakt 151.428 Euro zu haben ist, weisen die einschlägigen Internetbörsen für den Ur-Ghibli zwischen 200.000 Euro für mäßige und knapp 600.000 Euro für perfekte Exemplare aus. Für das ganz üppige Geld gibt es dann aber schon eines der raren Spyder-Modelle. Der historische Ghibli würde auch ohne besonderen Antrieb Aufsehen erregen, und zwar allein mit seinem skulpturalen Sportwagendasein.
Doch was soll's, unter der per Trockensumpfschmierung mit Öl versorgten 4,7-Liter-Maschine geht sowieso nichts. Wem das Basisaggregat nicht passt, kann sich lediglich vergrößern: Der Ghibli 5000 mit 4,9 Litern und 334 Pferdchen ist noch exklusiver, aber aus heutiger Sicht jetzt auch nicht unbedingt gut für obszöne Powerorgien. Die nächste Frage wäre, ob man es überhaupt wagen darf, fragile italienische automobile Diven mit Wucht über den Asphalt zu jagen. Bei dem zur Verfügung stehenden Exemplar sollte man sich zumindest keine Sorgen machen. Der Ghibli wird wohl behütet von einem der renommiertesten Maserati-Spezialisten aus Köln, nämlich Leo Peschl. Und sein Besitzer hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um aus dem edlen Stück Kulturgut einen neuwertigen Daily Driver zu machen. Die Karosserie wurde komplett neu aufgebaut und auch das Innenleben ist taufrisch von den Achsen über den Motor samt Getriebe bis hin zu den Kabelbäumen. Kostenpunkt: rund 300.000 Euro.
Ohne Servo schwer zu lenken

Das dürre Holzlenkrad ist so grazil wie schwergängig: Um es zu bedienen, trägt man besser Handschuhe.
(Foto: Patrick Broich)
Also setze ich mich auf den selbstredend neu gepolsterten Sessel (zunächst rechts) und lausche dem Motorstart. Dezent fauchend nimmt der Achtender Drehzahl auf, klingt viel weniger krawallig als gedacht. Der alte Ghibli hört sich fein an und ich beobachte genau, wie sein Besitzer mit ihm umgeht, bevor ich selbst ans Steuer darf. Classic Analytics merkt an, dass selbst Fans der Marke Ferrari den Ghibli als den besseren Gran Turismo angesehen haben, weil man mit ihm längere Strecken schnell und entspannt zurücklegen konnte. Vorausgesetzt: ordentlich Muckis. Denn am keinesfalls servounterstützten Lenkrad will ganz schön gezerrt werden, wie ich vom Beifahrersitz aus beobachten kann. Aber sonst scheint das Bewegen des innen viel sperriger wirkenden Sportlers kein Problem zu sein.
Ich bin ein leicht nervös, möchte endlich selbst ans Steuer. An der nächsten Haltebucht stoppen wir, ich hüpfe flugs hinter das Steuer. Das Getriebeöl scheint immer noch ein bisschen kalt, der erste Gang mag zunächst nur widerwillig einrasten. Aber die Kupplung geht leichtgängiger als vermutet, greift früh. Der Ausnahme-Italiener legt mit dezentem Bass los. Seine vier Weber-Vergaser sind auf den Punkt eingestellt, gleichmäßig dreht der V8 hoch.

Feines Leder und viele mechanische Anzeigen im historischen Ghibli zeugen von alter Handwerkskunst.
(Foto: Patrick Broich)
Nachdem 14 Liter Öl dann auch endlich warm geworden sind, traue ich mich, auch mal anzugasen. Bullig schiebt der betagte Bolide (trotz 1,6 Tonnen Leergewicht), ist souverän und lässt nie das Gefühl des Leistungsmangels aufkommen. Auch nicht im Großen Gang. Aber Vorsicht ist geboten, das blattgefederte Heck ist schneller weggerutscht, als man gucken kann. Ich belasse es bei einem Volllastversuch aus Landstraßentempo heraus, einem Punkt, an dem das wohlklingende Aggregat die heutzutage eher dürr anmutenden 205er-Reifen zumindest auf trockenem Asphalt nicht mehr überfordern kann.
Zum Schluss setze ich mich noch einmal hinter das Steuer des 2023er-Ghibli, nehme den Besitzer des alten Ghibli mit und wir ziehen gemeinsam Resümee. Hier verliert man immerhin nicht so schnell die Übersicht wie im historischen Modell, allein schon wegen der Rückfahrkamera. Und überhaupt, statt feiner mechanischer Anzeigen (der alte Ghibli hat insgesamt acht Skalen) stechen das großzügig eingesetzte Carbondekor sowie der große Touchscreen ins Auge. Wobei auch der neue Ghibli Daten wie Drehzahl und Tempo analog anzeigt.
Ich beschleunige kurz hoch, der irrwitzige Druck des modernen Downsizing-Achtzylinders lässt auch die Mundwinkel meines Fahrgasts nach oben zeigen. Ein Paket aus Fahrleistungen eines Supersportwagens kombiniert mit der Alltagstauglichkeit eines Kompaktwagens gepaart wiederum mit den Platzverhältnissen eines Fünfmeterliners trifft eben auf die pure Schönheit einer ikonischen automobilen Kostbarkeit, mit der man im Alltag leider viel zu selten unterwegs ist.

An den beiden Fensterlinien erkennt man die Verwandtschaft der beiden Boliden.
(Foto: Patrick Broich)
Ob er sich vorstellen könne, auch einen neuen Ghibli zu fahren? Durchaus realistisch. Ob er den alten abgeben würde? Es komme auf den Preis an, schmunzelt er. In diesem Fall wäre Maserati-Spezialist Leo Peschl die Obhut dieses neuwertigen Exemplars der ersten Ghibli-Generation los. Aber es warten noch viele andere klassische Maserati auf seine Zuwendung. Und das wird sich dank des fortwährenden Enthusiasmus für historische Autos zum Glück so schnell nicht ändern.
Maserati Ghibli 4700 - technische Daten
- Zweitüriges Coupé, Bauzeit: 1967 bis 1973
- Länge: 4,59 Meter, Breite: 1,80 Meter, Höhe: 1,16 Meter, Radstand: 2,55 Meter
- 4,7-l-V-Achtzylinder-Ottomotor, Hinterradantrieb, 227 kW/309 PS, maximales Drehmoment: 441 Nm bei 4000 U/Min.
- 0-100 km/h: 7,0 s, Vmax: 275 km/h, Fünfgang-Schaltgetriebe
- Neupreis Ghibli 4700 (1969): 73.121 D-Mark
Maserati Ghibli Trofeo - technische Daten
- Viertürige Limousine der Businessklasse
- Länge: 4,97 Meter, Breite: 1,95 Meter, Höhe: 1,46 Meter, Radstand: 3,00 Meter
- 3,8-l-V-Achtzylinder-Ottomotor mit doppelter Turboaufladung, Hinterradantrieb, Leistung: 427 kW/580 PS, maximales Drehmoment: 730 Nm bei 2250 bis 5250 U/Min.,
- 0-100 km/h: 4,3 s, Vmax: 326 km/h, Achtgang-Automatik (Wandler), Durchschnittsverbrauch: 12,3 l/100 km, CO2-Ausstoß: 279 g/km
- Grundpreis: ab 151.428 Euro
Quelle: ntv.de, Patrick Broich, sp-x