
Vermutlich bekam schon Egon Erwin Kisch Leserpost, aber so garstige?
(Foto: picture-alliance / dpa)
Früher waren die Deutschen Home-Trainer der Fußballnationalmannschaft, heute erklären sie Journalisten, wie sie ihren Job zu machen haben. Unser Kolumnist fragt, ob auch Zahnärzte und Klempner Mails bekommen, in denen steht: "Wären Sie auch Adolf Hitler als Günstling zur Seite gestanden?"
Geschätzte Leserschaft, da bin ich wieder, ihr "westlicher dummer Propagandist und Lügner", wie mir kürzlich ein Leser mitteilte, der mir obendrein noch "Unkompetenz" attestierte. Wie Sie sehen, bin ich nicht vor Gram gestorben und habe auch das überlebt. Es geht mir (wieder) gut. Ich komme gerade vom Klo, mein Magen hat sich endlich beruhigt - und ich fände es schön, würde sich der Rest der Welt ein Beispiel an ihm nehmen. Aber das ist leider nicht in Sicht. Der Winter steht vor der Tür, der Strom wird knapp, wir werden frieren. Und es fällt schwer, Trost zu finden dieser Tage, Wochen, Monate und Jahre, wo eine Krise die andere jagt.
Na gut, die Freibäder haben geschlossen, was die Zahl der Massenschlägereien in Deutschland signifikant reduziert hat. Das ist ein Fortschritt bei unseren Versuchen, friedlich miteinander auszukommen. Nicht immer nur mosern und meckern. Man muss auch die positiven Seiten des Lebens sehen, das sage ich immer wieder. Ich - wie Sie wissen, von Geburt an ein Sehr-Gutmensch - gebe mir große Mühe, beispielhaft voranzugehen. Auch wenn ich kein Anhänger des konstruktiven Journalismus bin, weil der albern ist und nach hinten losgehen kann. Als ich kürzlich feststellte, dass man den Taliban keine Islamophobie vorwerfen kann, teilte mir ein Leser mit: "Ihr Zynismus widert mich an." Dabei war die Aussage inhaltlich korrekt.
Putzig wird es, wenn Leser lustig sein wollen und mich als "Schwer versehrter Herr Schmoll" anreden, wobei ich schon mal froh bin, wenn meine Kritiker überhaupt eine Anrede und eine Grußformel zum Abschied verwenden. Wo ist sie geblieben, die gute alte Höflichkeit? Wütende und Zornige, nicht nur Abendlandverteidiger und Verquerte, neigen zum Du und sind nicht zimperlich in der Wortwahl, wenn ich mich über die Missetaten von Kreml-Putze, bekanntermaßen der Anführer der Putzkolonne, die die Ukraine in bewährtem Nazi-Stil von allen Ukrainern säubern will, beschwere und einen kleinen Schatten auf die ansonsten tadellose Vergangenheit von Gazprom-Gerd in Hannover und Pipeline-Manu in Schwerin werfe.
"Du bist hier der größte Nazi, der nur sich selbst sieht und überall die Macht haben will. Fang endlich selbst bei Dir an!" Ich will Macht? Soso. Irina macht es kürzer und schickt mir nur ein "Z". Zombie oder Zungenkuss? Ich weiß es nicht, was Irina lieber ist. "Was für einen Quatsch Sie über Schröder schreiben! Wären Sie auch Adolf Hitler als Günstling zur Seite gestanden?" Oder auch: "Schröder war einer der wenigen Politiker, der sich gegen die Gefolgschaft der Amerikaner und somit Irakkrieg gestellt hat. Sie und ihre Auftraggeber folgen im Gleichschritt den US-Amerikanern gegen Osten! Wieder ein Mitläufer, der nun für ntv schreibt!"
Blick in den Schädel?
Sie lachen, aber so was in der Art kriege ich permanent. Ich staune jedes Mal, wie es die Ferndiagnostiker schaffen, aus den paar Zeilen, die ich alle paar Tage absondere, so viel über mein Leben in Erfahrung zu bringen. Die Hellseher können mir in den Schädel schauen und wissen genau, wie ich ticke, dass ich nur dieses und jenes schreibe, damit es klickt, ich neue Aufträge erhalte und nicht arbeitslos werde. Dabei weiß die Redaktion nicht mal, was das Thema der "Schmoll-Ecke" ist, bis ich den Text (wie diesen hier) gemailt habe. Trotzdem wird felsenfest behauptet: "Sie müssen ja förmlich polarisieren/provozieren/polemisieren, sonst werden Sie ihre Pamphlete auch nicht los." Wäre es so, würde ich nur noch die Grünen, am besten die Heilige Annalena, bashen - das klickt immer.
Früher hatten wir 83 Millionen Home-Trainer der Fußball-Nationalmannschaft, heute sind es 83 Millionen Journalismus-Experten, die wissen, was falsch läuft. Urkomisch ist auch, wenn mir Leser schreiben, dass sie "Objektivität" und/oder "Ausgewogenheit" in meinen Werken vermissen, was bei einer Kolumne oder einem Kommentar völlig unmöglich ist, da es sich um Meinungsstücke handelt und meine Ansichten nun mal nur subjektiv sein können.
Zwar-Aber-Typen erklären mir dann, wie es gehen müsste. Sie verurteilen den Krieg der Russen gegen die Ukraine "entschieden", betonen jedoch sofort danach, dass "unsere Mainstream-Medien die Argumente der Gegenseite" verschweigen: "So haben mich am Beispiel Butscha Video-Beweise mehr von der Unschuld der russischen Armee überzeugt als die hohlen Anschuldigungen unserer Politik/Medien." Das ist so irre wie die ganze Welt, in der wir leben.
Ungebetene Berufsberatung
"Es ist das Hinterzimmer im Kanzleramt und der Presserat, der festlegt, was dem Volk 'sagbar' ist", erklärte mir ein Leser. Auch das entspricht nicht gerade meiner Erfahrung. Ich kann Kritik am deutschen Journalismus verstehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir über das Buch von Precht und Welzer diskutieren müssen - es ja auch tun -, auch wenn deren Thesen teils auf wackligen Füßen stehen. Es ist mehr als bedauerlich, dass sich Millionen Menschen medial nicht wiedererkennen, wir Journalisten sie nicht "abholen" können.
Aber nur um nicht "Mainstream" zu sein, werde ich nicht schreiben, dass die Corona-Pandemie das Werk einer jüdischen Weltverschwörung ist oder sein könnte und Kreml-Putze Bomben auf Wohnhäuser abwerfen lässt, um sich gegen die NATO zu wehren. Ich frage mich, ob die Leute, die mir erklären, was ich falsch mache und wie mein Beruf, den ich seit 30 Jahren ausübe, zu funktionieren hat, ob die ihrem Zahnarzt, Klempner oder Hausverwalter auch per Mail schreiben: "Sie sind ein elender Vertreter des Mainstreams. Wären Sie auch Adolf Hitler als Günstling zur Seite gestanden? Suchen Sie sich einen anderen Job."
Ungebetene Berufsberatung ist für mich Alltag. Die geht so: "Nicht jeder Mist, den Menschen im Hirn haben, muss gedruckt werden. Vollkommen sinnloser Buchstabenmüll, den man schon nicht mehr lesen kann, ohnehin sich zu übergeben", stand in einer Mail. "Es werden jede Menge Facharbeiter gesucht in Europa. Werden Sie Friseur oder Pfarrer, notfalls Maurer oder Zimmermann." Was heißt denn notfalls? Maurer und Zimmermann sind prima Berufe. Das ist anmaßend. Und da, wo Anmaßung ist, ist der Infantilismus nicht weit. Strafe folgt auf dem Fuße: "Habe soeben ntv geblockt", ließ mich Irmgard ungefragt wissen. Na meinetwegen.
Quelle: ntv.de