"Eingriff in die Pressefreiheit" EU-Plan für Medienaufsicht erregt Misstrauen
16.09.2022, 16:50 Uhr
In Brüssel zuständig für Transparenz und Werte: Vize-Kommissionschefin Vera Jourova.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Brüssel plant eine europäische Medienaufsicht, um Desinformation im Netz zu unterbinden. Ein derartiges Gremium stößt in Deutschland auf wenig Begeisterung. Der Verband der Verleger sieht darin einen Eingriff in die Pressefreiheit. Und fragt, wozu die EU sich hier selbst zum Aufseher macht.
Die Europäische Kommission will eine europaweite Medienaufsicht schaffen und staatliche Einflussnahme auf Presse und Rundfunk begrenzen. Nach einem in Brüssel vorgestellten Gesetzentwurf soll ein neuer europäischer Medienrat ins Leben gerufen werden. Das Gremium aus Vertretern der Mitgliedstaaten soll unter anderem eine übermäßige Konzentration in der Branche verhindern. Deutsche Verleger warnten vor "Eingriffen in die Pressefreiheit".
Binnenmarktkommissar Thierry Breton betonte, Brüssel wolle nicht die Kontrolle über Medienkonzerne in Europa übernehmen. Vielmehr gehe es um einen "Schutz auf EU-Ebene, um die Vielfalt zu gewährleisten und private oder öffentliche Medien vor Einmischung zu bewahren". Es dürfe in Europa keine "Propagandakanäle für Regierungen" geben, mahnte die für Werte zuständige Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova. Vor allem in Ungarn und Polen sieht die EU-Kommission die Pressefreiheit durch Einflussnahme der Regierungen bedroht.
Der neue Medienrat soll laut dem 67-seitigen Gesetzentwurf in enger Abstimmung mit der EU-Kommission handeln und auch Berichte für Brüssel verfassen. Entscheidungen sollen mit Zwei-Drittel-Mehrheit fallen. In Fragen der Medienkonzentration hätten aber die jeweiligen nationalen Aufseher das letzte Wort, betonte Binnenmarktkommissar Breton.
BDVZ bezweifelt Brüssels Zuständigkeit
Scharfe Kritik kommt dazu aus Deutschland: Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverband der freien Presse (MVFP) forderten die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament auf, den Kommissionsvorschlag "grundlegend zu überarbeiten und Eingriffe in die Pressefreiheit zu verhindern".
Die Branchenverbände werfen der EU-Kommission vor, mit ihrem Vorschlag die redaktionelle Freiheit der Verleger "de facto außer Kraft zu setzen" und einer "politischen Vereinnahmung der Medien Tür und Tor" zu öffnen. Sie bezweifelten darüber hinaus auch grundsätzlich, dass eine Verlagerung von Kontrollkompetenzen im Medienbereich auf eine EU-Behörde erforderlich sei. Der Grund sei "nicht ersichtlich", erklärten sie.
Vizekommissionschefin Jourova wies die Kritik zurück. "Wir wollen damit nicht funktionierende Systeme in den Mitgliedstaaten zerstören", versicherte sie. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk etwa wirke in Deutschland "sehr robust", auch wenn die ARD noch Verbesserungen plane.
"Medien-Unfreiheitsgesetz"
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) erhofft sich von dem Vorstoß "bedeutende Fortschritte für die Medienfreiheit und die Aufrechterhaltung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU", wie ihr Generaldirektor Christophe Deloire erklärte. Das geplante Gesetz garantiere die Meinungsvielfalt, die Unabhängigkeit der Medien und den Quellenschutz. Noch nicht ausgereift sind nach Ansicht von RoG aber etwa die Vorgaben gegen Desinformation im Internet.
Die europäischen Dachverbände der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger warnten dagegen vor einem "Medien-Unfreiheitsgesetz" mit zu harten Auflagen für Medienkonzerne. Dies erschwere notwendige Investitionen, betonten die European Magazine Media Association (EMMA) und die European Newspaper Publisher's Association (ENPA).
Der Gesetzentwurf geht nun zu Beratungen an das Europaparlament und die Mitgliedstaaten. Dort ist mit Änderungswünschen zu rechnen. Nach Verabschiedung würde die Verordnung unmittelbar in den 27 EU-Ländern greifen.
Quelle: ntv.de, mau/AFP