
Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, ist gerade in einer Auszeit.
(Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild)
Unser Kolumnist hat schon das hinter sich, was Boris Palmer bevorsteht, innere Einkehr dank Psychotherapie: Da, du blödes Kind, finde endlich Heimat! Deshalb hat er darüber nachgedacht, wie es Herrn Palmer ergehen wird - und was andere Jungs und Mädels von den Grünen so treiben.
Ich sage Ihnen, es ist schrecklich gewesen. Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühlte und spontan reagierte, wehrte ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer machte. Fragen Sie gerne die Frauen, mit denen ich zusammen war. Sie werden es bestätigen. Dabei wollte ich nie streiten, nur reden, also sagen, was es zu sagen gab. Inklusive des A-Worts, des B-Worts, auch des C-Worts, natürlich des D-Worts bis hin zum Z-Wort, im Grunde das ganze Alphabet von vorn bis hinten und zurück.
Immer gab es Streit, so konnte es nicht weitergehen. Ich habe deshalb professionelle Hilfe in Anspruch genommen und den Versuch gemacht, meinen Anteil an diesen zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten. Man nennt das Psychotherapie. Und für Männer, die Angst vor einer Therapie haben, heißt es Coaching. Da saß ich nun und sprach über meinen Vater, meine Mutter, meine beschissene Kindheit. Es war schwierig, das Unkontrollierte tief in mir - etwa 70 Zentimeter vom Scheitel abwärts gemessen - zu bändigen. Das Kind in mir musste Heimat finden!!! Und wenn es nicht gehorchte, gab es Prügel. Da, du blödes Kind, finde endlich Heimat! Fühle, du blöder Balg! Sonst hau ich dir eins in die Fresse! Da hat das Kind in mir dann geheult. Ja, so war das.
Vor dieser Herausforderung steht nun Boris Palmer, der Dinge sagt, als wären sie ein Plagiat meiner Erfahrungen. "Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht", teilte er mit. Nun will der Ex-Grüne sich ändern. "Ich werde daher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und den Versuch machen, meinen Anteil an diesen zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten." Das heißt, dann sitzt Herr Palmer demnächst auf der Couch eines Psychiaters oder einer Coachistin und muss sich anhören: "Sie sind ein Neurotiker!" Der Patient / Klient ruft dann verzweifelt: "Schon wieder das N-Wort! Ich bin kein Neurotiker. Ich bin normal. Völlig normal. Inneres Kind? Was reden Sie da?! Männer können nicht schwanger werden."
Herr Palmer - jedenfalls in meiner unbezähmbaren Fantasie - merkt, dass es wirklich gut war, sich professionelle Hilfe zu holen. Er lernt, was das innere Kind so anrichtet, wenn der Tag lang ist, dass er sagen kann, was er will, nur eben nicht überall, dass es sich mitunter lohnt, an Demonstranten, die ihn als "Nazi" beleidigen, schweigend vorbeizugehen. Herr Palmer lernt in einer Verhaltenstherapie viele Dinge und lässt sich dann von einem Familienmitglied oder Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium oder von dessen Trauzeugen in einem Gutachten bescheinigen, dass er sich gebessert hat - und darf in die toleranteste Partei Deutschlands zurückkehren, in der jeder sagen darf, was er will, wenn er Kritik verträgt und nicht überall sagt, was er denkt.
Regieren ist schwierig
Der letzte Punkt meiner Vision scheitert indes an einem mehrheitlich gewählten Repräsentanten des Volkes. König Olaf der Vergessliche hat für sein Reich angewiesen, alle Kontakte, die nach Vetternwirtschaft und Kungelei aussehen, einzustellen, damit die Grenzen zwischen Politik und Lobbyismus nicht zu fließend sind. Seit Ende April 2023 ist das Verbot in Kraft. Ach nein, wie konnte ich das nur vergessen. Auch bei mir schleichen sich im Alter Erinnerungslücken ein. Das waren ja die Atomkraftwerke, die abgestellt worden sind. Da haben der Vizekönig und sein Staatssekretär nochmal Glück gehabt und können weiter Trauzeugen engagieren. Doch damit jeder sieht, dass der Vizekönig zerknirscht ist, sagt er: "Da ist ein Fehler passiert. Da beißt die Maus keinen Faden ab." Ein Fall für PETA!
Der Fehler ist nicht so groß, dass der Staatssekretär den Hof des Vizekönigs verlassen muss. Denn der ist, sagt der Vizekönig, "meiner Ansicht nach der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat". Und von selbst geht der beste Energiekrisenmanager der Nation natürlich nicht, zieht keine Konsequenzen, wie es Herr Palmer getan hat. Denn mehrfach ein unsagbares Wort zu sagen, um seine Meinung zu erläutern, ist schlimmer, als zu versuchen, einem Trauzeugen einen bestens bezahlten Posten zuzuschanzen.
Regieren ist halt schwierig. Macht aber froh. Wie glücklich waren die Heilige Annalena und die Staatsministerin für Kultur, als sie im Dezember die Benin-Bronzen heim ins Königreich brachten. Die Staatsministerin für Kultur hatte sich - ein Kontrast zum Klischee von Schwarzafrika - extra farbenfroh angezogen, um in Nigeria Abbitte zu leisten für "eines unserer dunkelsten Kapitel, nämlich unsere eigene koloniale Vergangenheit". Vier Monate hielt der Traum, dass die Kunstwerke bald von allen in Nigeria und nicht in deutschen Museen bestaunt werden können. Koloniale Raubkunst! Jetzt sind die Bronzen endlich wieder bei den Nachfahren des alten Königshauses von Benin, das sich dumm und dämlich am Sklavenhandel verdient hat. Das ist einer der wunderbarsten Treppenwitze, die ich je gehört habe.
Ich fragte einen Kulturanthropologen im Ruhestand, Humanist durch und durch, der sich sein ganzes Forscherleben lang mit der Kulturgeschichte Afrikas befasste und übrigens an der Uni war, in der Boris Palmer den "Eklat" verursachte, was er davon hält, ob ich mit dem Treppenwitz daneben liege. Seine Antwort: "Sklaverei ist ein systemisches Geschehen, bei dem es keine Unschuldigen und nur ein Opfer gibt: den zur Ware erklärten Menschen. Dass die königliche Familie des gegenwärtigen Oba von Benin historisch verantwortlich war für die Versklavung von Feinden, eigenen Untertanen und willkürlich zusammengetriebenen Menschen, ist ebenso ein Faktum wie die Tatsache, dass das Treiben der Königsfamilie die Versklavung von Tausenden Afrikanerinnen und Afrikanern befeuert hat." Und weiter: "Vermutlich waren im Inneren Afrikas mehr Menschen in Sklaverei gehalten worden, als jemals über die Wege des sogenannten Dreieckshandels den Kontinent verließen."
Fehler verbieten
Also ein Fehler, bei dem die Maus keinen Faden abbeißt? Natürlich nicht, die Heilige Annalena macht keinen Bockmist jenseits ihres Lebenslaufes und ihres Buches. "Die Benin-Bronzen wurden mit dem Ziel an Nigeria zurückgegeben, ein historisches Unrecht zu beheben", sagte einer ihrer Sprecher. "Jetzt zu insinuieren, dass diese Bronzen auf Nimmerwiedersehen verschwinden werden, nur weil Deutschland nicht mehr die Kontrolle darüber ausübt, sondern Nigeria, ist eine Denkweise, von der wir eigentlich gehofft hatten, dass wir sie hinter uns gelassen haben." Tja, nicht alle Deutschen können bei so viel Fortschritt, wie ihn die Grünen an den Tag legen, mithalten.
Und die Moral von der Geschichte? Wir bauen dem Oba (König) Ewuare II. demnächst ein Museum mit ein paar Millionen Euro deutscher Steuergelder, damit die Bronzen öffentlich gezeigt werden. Falls sie nicht vorher bei Sotheby's oder Christie's verhökert werden. Beim Deutschen Kulturrat heißt es: "Es steht uns nicht an, mit erhobenem Zeigefinger den Nachfahren der Opfer Ratschläge zu geben, wie mit den Bronzen umgegangen werden soll." Lustig, dass das Verteidiger der Heiligen Annalena erklären, die die ganze Welt mit erhobenem Zeigefinger bereist. Was ich okay finde. Nur das zweierlei Maß ist nicht schön.
Warum kann man Fehler nicht einfach verbieten? Verbote mögen die Grünen. Die Bürgermeisterin des Berliner Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg, die mit dem Bio-Klo, möchte ein Verbot für Plastik- und Einwegverpackungen - bei gleichzeitigem Abbau von Mülleimern. Frau Herrmann, eine Grüne, sagte dem "Tagesspiegel". "Wenn man das ordentlich begleitet, mit einer Kampagne zur Sensibilisierung der Parknutzer, würde es sich lohnen, eine Reduzierung von Abfalleimern auszuprobieren." Dann schauen wir mal, ob Berlin dank Sensibilisierung von Dreckschleudern zu einer Oase des Glanzes wird. Jede Wette, der grüne Traum ist noch schneller ausgeträumt als der Benin-Bronzen-Traum von der gerechteren Welt.
Quelle: ntv.de