Unterhaltung

Interview mit Eshkol Nevo Nichts für jüdische Ohren

Sein Buch in Deutschland vorzustellen ist für Eshkol Nevo mit gemischten Gefühlen verbunden. "Da ist immer dieser Subtext, diese Distanz." Aber trotzdem liebe er das interessierte deutsche Publikum. Und nach Berlin zu kommen sei natürlich ein ganz besonderer Anreiz. "Wenn ich zu Hause erzähle, dass ich wieder nach Berlin fahre, haben eigentlich alle nur eine Frage: "Nimmst Du mich mit?"

n-tv.de: Sie haben im Rahmen der vom Goethe-Institut und der Heinrich-Böll-Stiftung veranstalteten deutsch-israelischen Literaturtage nicht zum ersten Mal Ihr Buch in Berlin vorgestellt. Wie ist das für Sie, sich hier zu präsentieren?

Eshkol Nevo: Ich mag Berlin sehr gerne, man trifft hier so interessante Leute und die Lesungen machen Spaß. Gleichzeitig fühle ich die ganze Zeit einen Subtext - eine Art von Unbehagen, zwischen mir und dem Publikum, das ich auf unsere gemeinsame Vergangenheit als Opfer und Täter zurückführe. In Frankreich beispielsweise, wo ich mein Buch auch schon vorgestellt habe, spüre ich nichts dergleichen. Zudem ist es für mich schwierig zu hören, wenn mein Buch auf Deutsch vorgelesen wird - das ist immer noch eine sehr problematische Sprache für jüdische Ohren. Und dann wären da natürlich auch noch die ganz einfachen kulturellen Unterschiede.

Die sich für Sie wie bemerkbar machen?

Zum einen ist der Humor sehr unterschiedlich - bei meinen Lesungen in Deutschland wurde im Publikum an Stellen gelacht, wo ich gar nicht verstanden habe, warum. Aber auch hier ist Berlin anders, als andere deutsche Städte. Diese Stadt hat einfach etwas sehr Cooles. Die Leute sind in der Regel ärmer, als beispielsweise in München oder Hamburg, aber das bringt sie dazu, kreativer und erfinderischer zu werden und trotzdem etwas auf die Beine zu stellen. Tel Aviv ist dagegen eine Stadt der Reichen geworden. Wenn man kein Geld hat, kann man abends beispielsweise nur zu Hause bleiben - denn das Vergnügen ist teuer.

Israelische Literatur ist in Deutschland sehr populär. Vor allem die junge Generation von Autoren, wie etwa Etgar Keret, Zeruya Shalev und nun auch Sie, werden gerne gelesen. Wie erklären Sie sich das?

Es ist einfach sehr gute Literatur und das sage ich ganz objektiv! Sicherlich hat diese Popularität auch etwas mit der gemeinsamen historischen Vergangenheit als Täter und Opfer zu tun, aber ich glaube es geht auch um eine Gemeinsamkeit, die ich gefunden habe: Sowohl bei Israelis als auch bei Deutschen erlebe ich eine tiefe Ernsthaftigkeit.

Sowohl Ihr Buch, als auch die Bücher von Assaf Gavron oder Ron Leshem repräsentieren eine neue Art der israelischen Literatur. Zum einen wird eine sehr verletzliche israelische Armee dargestellt, zum anderen haben die Bücher auch sehr positive arabische und palästinensische Figuren. Wie sind die Reaktionen der Israelis darauf?

Auch wenn es vielleicht nicht jedermann gefällt, ist es sehr wichtig, die Fakten auch durchaus kritisch darzustellen - gerade durch Selbstkritik wird Israel letztendlich auch Anerkennung finden.

Ron Leshem wollte mit seinem Buch "Wenn es ein Paradies gibt", keine politischen Aussagen treffen, sondern eine Coming-of-Age-Geschichte schreiben. Wie ist das bei Ihnen?

Ich bin da anderes, ich will politische Aussagen treffen, ich will kritisch sein. In "Vier Häuser und eine Sehnsucht" geht es im Grunde um Politik, um Religion und auch um soziale Fragen.

In der wenigen palästinensischen Literatur, die ihren Weg bis nach Europa findet, findet man in der Regel seltener die Versuche, beide Seiten darzustellen. Wie erklären Sie sich das?

Dieses Volk hat zu viele Probleme und ist zu sehr geschwächt, um noch die Kraft zu finden, beide Seiten zu beleuchten. In Israel selbst kommt die Kritik überwiegend aus dem links-orientierten Intellektuellen-Lager, das sich sagt: Natürlich sind wir sehr kritisch gegenüber unserem Land. Letzten Endes ist es jedoch für beide Seiten ein Überlebenskampf.

Noch eine Frage zum Schluss: Dieses Jahr feiert Israel seinen 60. Geburtstag. Haben Sie einen speziellen Geburtstagswunsch für Ihr Land?

Mich hat einmal eine kanadische Journalistin gefragt, was wir Israelis tun werden, wenn auf einmal Frieden ist. Frieden mit den Palästinensern, mit den Syrern und den Libanesen. Ich weiß noch, dass ich die Frage ziemlich naiv fand und dachte, nur Kanadier können so etwas fragen. Zum Geburtstag würde ich Israel wünschen, dass niemand mehr diese Frage lächerlich findet.

Mit Eshkol Nevo sprach Samira Lazarovic.

Quelle: ntv.de

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