Der Dauer-Thronfolger Prinz Charles - royaler Querkopf
14.11.2013, 14:31 Uhr
65 Jahre alt und immer noch kein König. Prinz Charles nimmt es locker.
Er gehört zu den am meisten fotografierten Menschen der Welt: Prinz Charles. Seit mehreren Jahrzehnten ist er Thronfolger. Obwohl bereits 65 Jahre alt, ist er darüber alles andere als frustriert. Und familiär ist endlich alles im Lot.
Es ist ein großes Ereignis für Hellersdorf, weit im Osten Berlins. Der 13. November 1995 ist ein trister Tag: grauer Himmel und nasskalt. Die Sanier ung der Plattenbauten, im Volksmund auch Arbeiterschließfächer genannt, ist erst angelaufen. Sie präsentieren sich noch überwiegend schmucklos. Die SED-Nachfolgepartei PDS bekommt in Hellersdorf bei Wahlen die meisten Stimmen. Eigentlich kein lukratives Besuchsziel für ein königliches Haupt, das denken sich auch viele Menschen, die dort wohnen. Dennoch gibt sich Prinz Charles die Ehre: ein Fremdkörper in einer vom realen Sozialismus geprägten Gegend, der für einen Tag die Platte dem Palast vorzieht.
Dabei ist der britische Thronfolger für seinen Eigensinn bekannt. Wegen der schmutzigen Trennung von seiner Frau Diana in den bunten Blättern als Skandalnudel der Familie Windsor abgestempelt, versucht Charles, mit Themen wie Ökologie und Architektur zu punkten. Seit Mitte der 80er Jahre mosert er gegen die moderne Architektur. Er schimpft über die Bürohäuser in der Londoner City. In Birmingham beklagt er, dass "die Menschen übereinander in Betonfächer geschichtet werden". Insgesamt sind viele Neubauten für den royalen Querkopf das Allerletzte, architektonische Verbrechen. Charles eckt mit seinen Äußerungen natürlich an, das stört ihn aber nicht weiter.
Angst vor sich schließenden "Gefängnistüren"
Charles, der nun seinen 65. Geburtstag feiert, ist Spott gewöhnt. Er geht mittlerweile gelassen damit um. Dazu kommt seine lange Wartezeit als Thronfolger - mittlerweile sind es mehr als 60 Jahre. Und der Thron ist noch in weiter Ferne, seine mittlerweile 87-jährige Mutter Elizabeth II., die noch sehr rüstig ist, macht keine Anstalten, ihren Platz zu räumen. In Großbritannien ist es Tradition, dass entweder der Monarch oder die Monarchin sterben muss, bevor der Nachfolger oder die Nachfolgerin das Zepter übernimmt. Oder es sorgt, wie bei Charles' Großonkel Edward VIII. 1936 geschehen, eine nicht standesgemäße Hochzeit für Turbulenzen, so dass die Regierung dem Gekrönten die Abdankung nahelegt.
Obwohl er nun - salopp gesagt - auf die 70 zugeht, hat Charles kein Problem mit seinem Prinzen-Dasein. Er befürchte, "die Gefängnistüren" (des Buckingham Palace - d.R.) könnten sich schließen, ehe er seine Projekte abgeschlossen habe, sagt ein Vertrauter dem US-Magazin "Time". Kurzum: Er hat überhaupt keine Lust auf den Thron, andere Dinge sind ihm wichtiger. Als König muss er mit seiner Meinung zu schwierigen politischen oder gesellschaftlichen Themen hinter dem Berg halten. Die "Time"-Geschichte kann allerdings nicht so stehen bleiben, das Königshaus dementiert die angebliche Aversion des Prinzen gegen die Thronbesteigung. Business as usual.

Nach der Krönung von Queen Elizabeth II. auf dem Balkon des Buckingham-Palastes. Charles steht neben seiner Mutter.
(Foto: AP)
Charles kennt das Innere des "Gefängnisses" zur Genüge. Am 14. November 1948 geboren, erlebt er bereits mit vier Jahren die Krönung seiner Mutter Anfang Juni 1953. Der zu frühe Tod seines Großvaters Georg VI. Anfang Februar 1952 bedeutet einen gewaltigen Einschnitt in das Leben des kleinen Windsor. Seine Mutter hat kaum noch Zeit für ihn, Großmutter Elizabeth, die Queen Mum, wird zu einer wichtigen Bezugsperson. Vater Philip erzieht ihn mit Strenge. Ansonsten sind es die Nannys, die seinen Tagesablauf bestimmen. Unvergessen ist die Szene, in der Elizabeth II. aus einem Zug aussteigt und danach ihrem ältesten Sohn förmlich die Hand zur Begrüßung reicht. Keine Spur von Herzlichkeit, das zu dieser Zeit strenge Protokoll lässt keinen Platz für familiäre Idylle. Charles leidet sehr darunter.
"Er hasste es"
Auch der Besuch von traditionsreichen Privatsch ulen, die Charles von 1954 bis 1967 besucht, ist kein Vergnügen. Die Ausbildung ist ohne Zweifel exzellent, aber das strenge Regime, das dort herrscht, weckt in Charles den Wunsch, diesen Einrichtungen doch lieber fernzubleiben. Besonders die Zeit der Privatschule im schottischen Gordonstoun, die schon Vater Philip besucht hatte, ist sehr schwierig. Der aus dem nördlichen Landesteil Großbritanniens stammende Schriftsteller William Boyd schildert in einem "Tagesspiegel"-Interview die Schikanen, die der Blaublütige ertragen musste: "Er war ein paar Klassen über mir - und er hasste es (…) Er wurde schikaniert, auch physisch."
Ein künftiger König muss da durch, und Charles schafft es auch. Trotz vorbestimmten Lebensweges ist er ein Suchender. Während des Studiums Ende der 60er Jahre stellt der junge Prince of Wales fest, dass für ihn Archäologie und Anthropologie nicht das Wahre sind, er wechselt zur Geschichte. Die obligatorische Militärausbildung bleibt ihm auch nicht erspart. Er lernt Hubschrauber und Flugzeuge zu fliegen und wird zudem bei der Royal Navy ausgebildet. Die Uniform wird zu einem ständigen Wegbegleiter.
Pflichtbewusstsein ist aber nur die eine Seite, die andere ist die persönliche Freiheit, sei sie auch noch so klein. Charles mutiert zum Partyprinzen und wird "Liebling" der gnadenlosen britischen Boulevardpresse. Fotos mit einem feiernden Charles und entsprechende Texte werden abgedruckt. Und da sind noch die Frauen, die den begehrten Junggesellen umgeben, doch keine von ihnen kommt für die königliche Familie in Betracht. Es gibt zwar eine, auf die Charles ein Auge geworfen hat - die ein Jahr ältere Camilla Shand aus Sussex, die vom englischen König Karl II. (1630-1685) abstammt. Es hat bereits am Rande eines Polospiels 1970 zwischen beiden gefunkt. Aber Charles befindet sich in seiner militärischen Ausbildung, als Camilla 1973 den Offizier Andrew Parker-Bowles heiratet und mit ihm zwei Kinder bekommt. Charles ist ein Spätstarter und heiratet mit 32 Jahren die 13 Jahre jüngere Diana Spencer, die Tochter des 8. Earls of Spencer. Die Presse ist begeistert. Die Hochzeit am 29. Juni 1981 in der Londoner St. Paul's Cathedral ist das Medienereignis des Jahres.
Es hätte alles so traumhaft werden können: eine hübsc he Frau, die beiden Söhne William und Harry, die vielen Reisen und Empfänge. Aber es wird ein Albtraum. Es kriselt sehr schnell in dieser Ehe. Diana, die im "Gefängnis" nie richtig ankommt, lernt sehr zum Leidwesen der Royals schnell, sich in Szene zu setzen. Die Briten lieben vor allem sie und nicht ihren mitunter sauertöpfisch dreinschauenden Gatten, Charles kann damit nur sehr schlecht umgehen. Zudem schwebt der Camilla-Geist unheilvoll über dieser Verbindung. Auch Diana sucht Abwechslung und hat ein Verhältnis mit ihrem Reitlehrer James Hewitt. Gerüchte kommen auf, dass Prinz Harry sein Sohn sei. Gerüchte, die umgehend dementiert werden. Charles' und Dianas Ehe ist bereits nach kurzer Zeit am Ende. Der künftige König sucht immer öfter Camilla auf und ignoriert seine Frau, die zu Hause leidet und dies auch in die Öffentlichkeit dringen lässt.
Tampon-Skandal und Dianas Tod
Und es wird schmutzig, sehr schmutzig sogar. 1993 wird ein schlüpfriges Telefonat von Charles und Camilla öffentlich, das den Untertanen Ihrer Majestät die Haare zu Berge stehen lässt. Charles sieht sein Glück als ihr Tampon: "Ich möchte dich überall spüren, über dir, in dir, innen und außen..." Nach dem für die Königsfamilie schrecklichen Jahr 1992, in dem auf Schloss Windsor ein Feuer ausbricht und Charles' jüngerer Bruder Andrew sich von seiner impulsiven Frau Sarah trennt, ist das ein weiterer Tiefpunkt. Diana zelebriert via TV ihr Unglücklichsein. Nun sieht auch die Queen endlich ein, dass nichts mehr zu retten ist: Charles und Diana trennen sich und werden 1996 geschieden.
Für die beiden ist es eine Erleichterung. Sie haben einen guten Draht zu ihren Kindern, die nicht so streng aufgezogen werden wie ihr Vater. Charles tröstet sich mit seiner Camilla, die ebenfalls geschieden ist. Diana tourt mit dem Unternehmersohn Dodi al-Fayed durch die Gegend, ehe beide am 31. August 1997 in Paris bei einem Autounfall ums Leben kommen. Dieses schreckliche Ereignis sorgt für eine Krise der britischen Monarchie. Denn die tagelange Nicht-Reaktion der Queen auf das Unglück stößt bei vielen Untertanen auf völliges Unverständnis. Charles erkennt die Gefahr und verbündet sich mit Premierminister Tony Blair, der die Königin nicht auf Schloss Balmoral, sondern in London sehen will. Elizabeth II. willigt nach Tagen intensiver Telefonate zwischen London und Schottland endlich ein. Sie kehrt in die Hauptstadt zurück und hält eine Fernsehansprache.
Und ihrem Ältesten kommt sie auch entgegen. Er darf am 9. April 2005 endlich seine Camilla heiraten, die sich ab diesem Zeitpunkt Duchess von Cornwall nennen darf. Dem voraus geht die Liberalisierung des Scheidungsrechts durch die anglikanische Kirche, die eine Wiederheirat des Prinzen in Form einer rein zivilen Eheschließung möglich macht. Charles kann also auch in zweiter Ehe König werden.
Das Verhältnis zu seiner Mutter wird inniger. "Her Majesty, Mummy", beginnt er seine Rede anlässlich des 60. Thronjubiläums der Queen. Seine folgenden Ausführungen sind launig. Den Briten gefällt die neue Lockerheit der Windsors. Auch mit Charles machen sie ihren Frieden, Sohn William steht dennoch höher in ihrer Gunst.
Wird Charles der nächste König oder verzichtet er zugunsten von William? Ersteres ist wahrscheinlicher, obwohl sich der Thronfolger mit Sicherheit auf seinem Landsitz Highgrove wohler fühlt. Ruft die Pflicht, dann wird er den ökologischen Landbau vernachlässigen müssen, denn sein Sohn, der immerhin schon Orden verleiht und Ritterschläge vollzieht, hat noch genug mit seiner jungen Familie zu tun. Charles wird Verständnis für Williams Wunsch nach einem halbwegs unbeschwerten Leben haben, denn seine Kindheit ist ihm in guter Erinnerung. Er wird auch nicht so lange wie seine Mutter im "Gefängnis" verbringen müssen, denn die Queen hat vor, bis zu ihrem Lebensende ihrem Land zu dienen.
Vielleicht kommt Charles noch einmal nach Berlin-Hellersdorf. Die Plattenbauten stehen immer noch, aber sie sind deutlich bunter geworden.
Quelle: ntv.de