Rückzug der Wassermassen Das Ausmaß der Zerstörung wird langsam sichtbar
17.07.2021, 21:23 Uhr
Teile von Erftstadt und des Kreises Ahrweiler sind nach den Fluten nur noch Trümmerfelder aus Schlamm, Schmutz und Autowracks. Die Menschen in den betroffenen Regionen fangen an aufzuräumen. "Leider müssen noch deutlich mehr Tote befürchtet werden", sagt ein Feuerwehrmann.
Mitten im Schlamm und Schmutz der Flutkatastrophe, zwischen den Autowracks und Möbelresten, stehen viele Opfer vor den Trümmern ihrer Existenz. Sichtlich betroffen besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Hochwassergebiet im Westen. Viele hätten "alles verloren, was sie sich ein Leben lang aufgebaut haben", sagt er. "Wir sehen Gemeinden, die von Verwüstung, von Zerstörung gezeichnet sind." Den größten Verlust hätten aber die zu tragen, die Familienangehörige, Freunde, Bekannte verloren haben.
Der Bundespräsident informierte sich zusammen mit NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet über die Lage in Erftstadt. Die 50.000-Einwohner-Stadt westlich von Köln ist neben dem Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz besonders von der Hochwasserkatastrophe betroffen. Die Menschen in Erftstadt räumen derzeit das auf, was ihnen geblieben ist. Ein schwarzes Ledersofa, an dem noch der Schlamm der Wassermassen zu sehen ist, steht am Straßenrand. Sandsäcke, die längst nicht mehr gebraucht werden, sind vor Kellerfenstern getürmt. Eine Frau trägt einen Eimer und Putzlappen über die Straße. Auf die Brücke über die Bundesstraße 265 darf man nur auf eigene Gefahr. Es stinkt nach Benzin. In einigen Metern Tiefe schwimmt eine braune Brühe, darin liegen Autos wie dahingestreut - einige auf der Seite, andere auf dem Dach.
Ein Lastwagen hat ein anderes Auto unter sich vergraben. Die Bundeswehr räumt mit Panzern auf. Weiter hinten, in einer zwölf Meter tiefen Senke, steht das Wasser noch hoch. Dort seien Fahrzeuge geortet worden, sagt Elmar Mettke, der seit 35 Jahren in Erftstadt bei der Feuerwehr arbeitet. Das war möglich, weil das Wasser endlich zurückging. Auch hier fürchtet man, dass womöglich noch sehr Trauriges zutage gefördert wird. Auch im besonders stark betroffenen Kreis Ahrweiler suchen Feuerwehrleute Haus für Haus nach Vermissten ab. "Alles ist möglich. Wir wissen nicht, was wir in den Kellern finden", sagt ein Feuerwehr-Abschnittsleiter. "Leider müssen noch deutlich mehr Tote befürchtet werden."
Schlamm bedeckt alles
Schon bis Samstagmittag hatte die Polizei mehr als 90 Todesopfer im Großraum Ahrweiler gemeldet. Das bei Ausflüglern beliebte Städtchen Bad Neuenahr-Ahrweiler mit Gründerzeit-Bäderarchitektur, Fachwerkviertel und mittelalterlicher Stadtmauer ist in der Nähe des Flüsschens Ahr ein langgezogenes Trümmerfeld. Die Wassermassen sind hier inzwischen zurückgegangen. Doch der Schlamm bedeckt immer noch alles.
Bagger heben Autos an, die sich in den Sturzfluten in den Gassen teils übereinander verkeilt hatten. Tische, Stühle und Bänke, ein Rollstuhl, ein Rollator, eine Schaufensterpuppe und eine antike Nähmaschine - zerstörter und verschlammter Hausrat aller Art steht lang aufgereiht vor den beschädigten Häusern. Auch Geschäfte sind innen voller Schlamm.
Sachwerte lassen sich meist ersetzen, Menschenleben nie: Das Schlimmste sind die vielen Erfahrungen mit dem Tod. Bad Neuenahr-Ahrweiler wirkt traumatisiert. Peter Geller wohnt direkt an der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert. Er deutet in seinen Hof: "Hier ist eine etwa 70-jährige Tote angeschwemmt worden. Ich habe morgens die 112 angerufen." Doch erst nach vielen Stunden sei die Leiche mit einem Lastwagen abgeholt worden. "Die kommen mit den Toten nicht nach", sagt Geller.
Einige Hundert Meter weiter berichtet Anwohner Karl-Heinz Conradt: "Ich kenne fünf Leute persönlich, die jetzt 100-prozentig tot sind." Einige Schritte weiter schaufelt Thomas Bähr Schlamm aus seinem rund 300 Jahre alten Haus: "Das haben wir gerade erst gekauft." Von dem nordrhein-westfälischen Wetter an der Ruhr seien er und seine Frau mit den Schwiegereltern hergezogen, "weil wir hier immer Ferien gemacht haben".
Krankenwagen fahren riesigen Umweg
Das Unwetter hat auch Straßen und Brücken im Ahrtal zerstört. In Bad Neuenahr-Ahrweiler brauchen Krankenwagen jetzt teils eine Dreiviertelstunde, um zum örtlichen Krankenhaus zu gelangen, wie eine Anwohnerin sagt. "Sie müssen einen riesigen Umweg rauf zur Autobahn fahren." Auch am Samstagvormittag gibt es in Teilen der Stadt weder Strom noch Leitungswasser. Bährs blinder Schwiegervater Ernst Hille (85) und seine Schwiegermutter Christiane Hille (84) müssen zusammen mit einem Plastikbehälter Wasser von einem Bach herschleppen - für die Toiletten. Eine andere Anwohnerin, Nicole Wagner, sagt, es sollten Dixi-Klos aufgestellt und Behälter mit Trinkwasser verteilt werden: "Die sind aber noch nicht da."
Etwas weiter entfernt wühlen hochwassergeschädigte Bürger unter dem Dach einer früheren Tankstelle auf dem Boden in Kisten voller Kleidung, Lebensmittel, Spielzeug und Hygieneartikel. Ein kleiner Junge schleppt zwei Packungen mit Klopapier zu seinen Eltern. Die Anwohnerin Ulrike Donner erklärt: "Es gibt hier mehrere Stellen für Sachspenden. Ich habe zwei Nachbarn über 80 in unserem Haus direkt an der Ahr. Denen hole ich Lebensmittel und Toilettenartikel."
Die Menschen in den Hochwassergebieten vertrauten darauf, dass die jetzt gezeigte Solidarität auch weiter bestehe, wenn die Tragödie nicht mehr die Titelseiten der Tageszeitungen bestimme, sagt Bundespräsident Steinmeier über die Betroffenen. "Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, dass ein wenig von der Not der Menschen hier in den betroffenen Regionen gelindert wird", sagt er und verweist auf Spendenkonten.
Quelle: ntv.de, Jens Albes und Ulrike Hofsähs/dpa