"Jetzt kann ich in Ruhe sterben" Die Tagebücher des Mafiabosses Messina Denaro


Messina Denaro bei seiner Festnahme im Januar 2023.
(Foto: dpa)
Matteo Messina Denaro zählte zu den gefährlichsten Bossen der Mafia. In einem seiner vielen Verstecke finden die Ermittler Tagebücher. Gerichtet sind sie an seine Tochter Lorenza, die den Vater erst nach der Verhaftung kennenlernt.
Eigentlich ist ein Tagebuch etwas für eher sensible Seelen. Dass ein Mafiaboss sich eines zulegt, hört sich wie ein Widerspruch an. Dem ist aber nicht so. In einem der Verstecke von Matteo Messina Denaro haben die Ermittler drei Tagebücher gefunden, die er für seine Tochter Lorenza führte. Der italienischen Zeitung Corriere della Sera zufolge, schreibt er darin, sich auf die zu seiner Festnahme dienenden Phantombilder beziehend: "Da sehe ich aus, als wäre ich 86 Jahre und 5 Monate alt, wo ich gerade 44 geworden bin."
Ein Jahr ist seit der Verhaftung von Matteo Messina Denaro verstrichen. Es war der 16. Januar, als ihm die Sicherheitskräfte in einer Privatklinik in Palermo Handschellen anlegten. Dort hatte er sich unter falschem Namen einer Chemotherapie unterzogen, er litt an Darmkrebs im Endstadium. Am 25. September starb er. Wer weiß, wie viele Geheimnisse er mit ins Grab genommen hat?
Messina Denaro gehörte zu den Mafiosi, die in den 1990er-Jahren dem Staat den Krieg angesagt hatten. Er ließ zig Attentate verüben, bei denen unter anderem der Richter Giovanni Falcone und seine Frau Francesca Morvillo, sein Kollege und Freund Paolo Borsellino und ihre Leibwächter ums Leben kamen. Bis zu seinem letzten Atemzug hat Messina Denaro geschwiegen. Bei einer Vernehmung kurz nach seiner Verhaftung sagte er, er werde nie ein "infame", auf Deutsch "Niederträchtiger", sein, nie jemanden verraten.
Lorenza hatte er nicht anerkannt
Bis zu seiner Verhaftung hatten sich Messina Denaro und seine Tochter Lorenza nie gesehen. Lorenza Alagna ist am 17. Dezember 1996 und wie ihr Vater in Castelvetrano, Sizilien, geboren. Ihre Mutter Francesca Alagna hatte eine Beziehung mit ihm, als schon nach ihm gefahndet wurde. Zwar hatte Lorenza den Vater nie getroffen, bis zu ihrem 18. Geburtstag lebte sie jedoch, zusammen mit ihrer Mutter bei der Großmutter väterlicherseits in Castelvetrano. Dass ihr Vater Matteo Messina Denaro war, wusste sie.
Einige Tage nach der Festnahme schrieben italienische Medien, die leibliche Tochter weigere sich, den Vater zu sehen. Diese strikte Ablehnung, hieß es weiter, habe wahrscheinlich damit zu tun, dass er sie nicht offiziell anerkannt und ihr seinen Familiennamen gegeben habe. Thesen, die von ihrem Anwalt kurz darauf als falsch und erfunden bezeichnet wurden.
Was der Boss für seine Tochter empfand, hat er schwarz auf weiß festgehalten. "Heute, Dienstag, 28. Juli 2015, war ich ganz in der Nähe meiner Tochter. Keine 30 Meter trennten uns. So nahe bin ich ihr noch nie gewesen. Ich hatte eine Verabredung in einem Lokal. Dort angekommen, wartete draußen jemand auf mich und informierte mich [über die Anwesenheit meiner Tochter]. Natürlich bin ich nicht in das Lokal, sondern weggegangen. Ich habe sie nicht gesehen, eine Mauer trennte uns ... Das eigentliche Treffen hat also nicht stattgefunden, macht aber nichts, ich war trotzdem froh ... sie in so unmittelbarer Nähe zu wissen."
Die zufällige Begegnung
Zutiefst befremdend lesen sich manche Einträge, wenn man sich vor Augen hält, dass Messina Denaro auch hinter der Entführung des zwölfjährigen Giuseppe Di Matteo steckte. 779 Tage wurde der Junge gefangen gehalten und schließlich kurz vor seinem 15. Geburtstag ermordet. Den Leichnam lösten die Mafiosi in Säure auf. Das Vergehen des Jungen war, dass sein Vater begonnen hatte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.
So schreibt er am 8. April 2016: "Lorenza, um 18.40 Uhr bin ich dir heute begegnet. Du warst im Auto, am Steuer neben der da [womit Lorenzas Mutter, Francesca Alagna gemeint ist] … Das ist, das erste Mal, dass ich dir begegnet bin ... also bin ich dir gefolgt." Er sei ganz nahe, eine knappe Armlänge, an ihr vorbeigegangen, "du hast aber nichts gemerkt, die Blutsbande haben sich nicht bemerkbar gemacht". Abschließend schreibt er: "Ich wollte nicht sterben, ohne dich gesehen zu haben, jetzt habe ich dich gesehen und kann in Ruhe sterben."
Ob Lorenza anfangs ihren Vater wirklich nicht sehen wollte, oder ob das lediglich Spekulationen waren, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass Lorenza ihren Vater mehrmals im Gefängnis und dann auch im Krankenhaus besuchte, und spätestens dann meldeten sich die Blutsbande. Sie bat den Vater, seinen Familiennamen tragen zu können und er sagte ja. Heute heißt Lorenza also Messina Denaro - den Nachnamen der Mutter hat sie abgelegt, obwohl man mittlerweile in Italien beide Nachnamen tragen darf.
Quelle: ntv.de