Panorama

Prozess in New York Die grausam-absurde Welt von "El Chapo"

Joaquín "El Chapo" Guzmán ist 1,60 groß. Dieser Tatsache verdankt er seinen Spiitznamen "El Chapo" - der Kurze.

Joaquín "El Chapo" Guzmán ist 1,60 groß. Dieser Tatsache verdankt er seinen Spiitznamen "El Chapo" - der Kurze.

(Foto: REUTERS)

Dass das Leben der lateinamerikanischen Drogenbosse Stoff für Filme und Serien liefert, ist nicht neu. Doch manchmal scheint die Realität die Phantasie noch zu überholen. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man den Prozess gegen den Mexikaner Joaquín "El Chapo" Guzmán in New York verfolgt. Dort entfaltet sich das ganze Bild eines irrsinnigen Lebens, in dem Skrupellosigkeit, Größenwahn und Angst ständig Hand in Hand gingen.

Herr über Leben und Tod

Auch wenn Guzmán nicht wegen Mordes angeklagt ist, kommen im Prozess immer wieder Bluttaten zur Sprache. So soll El Chapo ein Todesurteil über seinen Cousin Juan "Juancho" Guzmán verhängt haben, weil dieser ihn angelogen hatte. Vor Gericht sagte Damaso Lopez Nunez, ein Kapo des Sinaloa-Kartells, aus, Juancho habe gesagt, er sei nicht in der Stadt. Kurz darauf wurde er aber in einem öffentlichen Park gesehen. Daraufhin habe Guzmán angeordnet, Juancho und einen von dessen Angestellten zu töten. "Beide müssen dasselbe Schicksal erleiden", wurde der Drogenboss zitiert. Ihre Leichen wurden im Dezember 2011 in der mexikanischen Stadt Culiacán gefunden. "Von da an sagte er, wer auch immer ihn verraten hätte, würde sterben. Ob Familie oder Frau, sie würden sterben", berichtet die "New York Post" von dieser Aussage.

Auch eine Kränkung reichte schon, um den tödlichen Zorn des Drogenbosses auf sich zu ziehen. Als Zeuge der Staatsanwaltschaft berichtete Jesús Zambada, El Chapo habe den Bruder eines anderen Kartellanführers töten lassen. Der Grund war offenbar eine Situation, die sich beim Abschied nach Friedensverhandlungen im Jahr 2004 ergeben hatte. Guzmán habe die Hand ausgestreckt und gesagt: "Bis später, Freund." Rodolfo Carrillo Fuentes habe die Hand aber nicht ergriffen, wenig später wurden Fuentes und seine Frau vor einem Kino erschossen.

El Chapo übernahm das Töten gelegentlich auch selbst. Ein Kartellmitglied berichtete, dass der Drogenboss einen bereits von Folterungen schwer gezeichneten Mann drei Tage im Freien stehen ließ, um ihn dann noch einmal 20 Minuten zu vernehmen. Nach weiteren Tagen, die der Mann in einem Hühnerstall verbringen musste, schoss El Chapo schließlich auf einem nahe gelegenen Friedhof auf ihn. Trotz seiner Verletzungen habe der Mann noch geatmet, als er begraben wurde, so der Zeuge.

Misstrauen und Überwachung

Wirklich sicher fühlte sich Guzmán offenbar nie. Deshalb beschäftigte er unter anderem einen IT-Beauftragten. FBI-Agenten hatten den IT-Mann, der im Prozess umfangreich aussagte, "umgedreht". Christian Rodriguez berichtete, Guzmán habe die Mobiltelefone von etwa 50 Leuten, die für ihn arbeiteten, gezielt überwacht. Das sei für ihn wie ein Spielzeug gewesen. Demnach rief El Chapo Leute an und sprach mit ihnen. Nachdem er aufgelegt hatte, aktivierte er die Mikrofone und hörte sich an, was sie über ihn sagten. Zu den Ausspionierten gehörte auch seine Ehefrau Emma Coronel Aispuro.

Der Plan ging jedoch nicht unbedingt auf, denn die Ausspionierten waren sich dieser Überwachung durchaus bewusst. Eine von Guzmáns Geliebten, Agustina Cabanillas Acosta, berichtete, sie habe einmal eine Nachricht bekommen, die offenbar für eine andere Frau bestimmt war. Wenn El Chapo, der ihr unter anderem eine Fettabsaugung bezahlt hatte, fragte, wie die Dinge laufen, antwortete sie immer "sehr gut". Freunden schrieb sie jedoch: "Ich bin viel schlauer als er."

Luxus und Geliebte

Der Drogenboss pflegte einen extravaganten Lebensstil. Dazu gehörten nicht nur mehrere Geliebte, sondern auch eine Waffensammlung. Deren außergewöhnlichste Stücke sind eine diamantenbesetzte Pistole mit seinen Initialen – "JGL" für seinen vollständigen Namen Joaquin Guzmán Loera – und eine vergoldete AK47. Guzmán unterhielt in den frühen 1990er-Jahren zudem einen privaten Zoo, in dem es Augenzeugen zufolge Löwen, Tiger und Krokodile gab und den man in einer kleinen Eisenbahn durchqueren konnte. Seine Jacht hatte der Drogenbaron nach sich selbst benannt "Chapito".

Unter seinen zahlreichen Immobilien war ein Strandhaus im Wert von mindestens zehn Millionen US-Dollar, das selbstverständlich über einen Pool und mehrere Tennisplätze verfügte. Selbst auf der Flucht hielt Guzmán an seinen Gewohnheiten fest. Die "bescheidenen Holzhütten" in die er sich flüchtete, verfügten über Waschtrockner und Satellitentelefon. El Chapo hielt auch dort regelmäßig zwischen 150.000 und 200.000 US-Dollar in bar parat, schlief bis mittags und feierte den Jahrestag einer seiner spektakulären Fluchten in einem Wäschewagen mit einer Party.

Grausam und korrupt

Eine der früheren Geliebten Guzmáns, die heute 29 Jahre alte Lucero Guadalupe Sánchez López, sagte vor dem Gericht in New York, sie habe El Chapo mit 21 Jahren kennengelernt. Ihre Beziehung habe im Februar 2011 begonnen, als Guzmáns Frau gerade mit Zwillingen schwanger war. Sie habe an eine "romantische Beziehung" geglaubt, aber auch für Guzmán gearbeitet. Er habe sie ins "Goldene Dreieck" zwischen den mexikanischen Bundesstaaten Durango, Sinaloa und Chihuahua geschickt, um dort "gutes, schönes und billiges" Marihuana zu kaufen. Sie habe Flugzeuge mit bis zu 400 Kilogramm der Droge beladen. Für diese Arbeit habe sie nie eine Bezahlung erhalten, sagte Sánchez. Außer Liebesbotschaften habe sie auch immer wieder Drohungen erhalten. El Chapo habe ihr beispielweise geschrieben: "Die Mafia tötet Menschen, die nicht zahlen oder sie verraten, aber nicht die, die es ernst meinen."

Dass El Chapo für diesen Fall jederzeit vorbereitet war, zeigt ein "Mordraum", der sich im Haus eines Mitarbeiters von Guzmán befand. Jener Antonio "Jaguar" Marrufo galt einem Zeugen zufolge als Henker des Drogenbarons. Der Raum war demnach weiß gefliest und mit einem Abfluss im Boden versehen, außerdem schallisoliert. So war nach den Morden alles schnell und unkompliziert zu reinigen. "Aus diesem Haus kam niemand heraus", so der Zeuge.

Cifuentes arbeitete jahrelang mit Guzmán zusammen.

Cifuentes arbeitete jahrelang mit Guzmán zusammen.

(Foto: REUTERS)

Lukrativ war das Drogengeschäft allemal und Guzmán sicherte sich immer wieder die Unterstützung allerhöchster politischer Kreise. Allein rund 100 Millionen Dollar seien an den mexikanischen Ex-Präsidenten Enrique Peña Nieto geflossen, sagte der inhaftierte kolumbianische Drogenhändler Alex Cifuentes im Zeugenstand. Peña Nietos ehemaliger Bürochef Francisco Guzmán bezeichnete die Bestechungsvorwürfe wiederholt als "diffamierend und absurd". Er erinnerte zudem daran, dass El Chapo unter Peña Nieto "geortet, festgenommen und ausgeliefert" worden sei. Auch der frühere mexikanische Minister für öffentliche Sicherheit, Garcia Luna, soll 50 Millionen US-Dollar erhalten haben.

Guzmáns Ehefrau Emma Coronel betonte im Dezember in einem Interview, ihr Mann werde völlig falsch dargestellt. Dem spanischsprachigen Sender "Telemundo" in Houston sagte die die frühere Schönheitskönigin, sie habe ihn nie als blutrünstigen Mörder erlebt, der das größte Drogenkartell der Welt regierte. Sie habe rein gar nichts mit den Geschäften ihres Mannes zu tun. Sie habe keine Konten mit Schwarzgeld und sei auch sonst nicht in illegale Geschäfte verstrickt. Seit ihr Mann in die USA ausgeliefert wurde, habe sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Sie träume aber davon, irgendwo auf der Welt ein ganz normales Leben zu leben.

Die US-Ankläger haben in jahrelanger Arbeit 300.000 Seiten Dokumente und mindestens 117.000 Audioaufnahmen zusammengetragen. Guzmán muss sich unter anderem wegen Drogenschmuggels, Waffenhandels und Geldwäsche verantworten. Beobachter rechnen mit einer Verurteilung zu lebenslanger Haft.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen