Epidemiologe Ulrichs bei ntv "Diese Delta-Variante nutzt jede Lücke aus"
16.08.2021, 16:11 Uhr
Mit der Impfung sollte man nicht mehr lange warten, sagt Epidemiologe Timo Ulrichs.
(Foto: picture alliance/dpa/HPIC)
Die Sommerferien enden bald, mit unterschiedlichen Hygienekonzepten gehen die Bundesländer ins neue Schuljahr. In Mecklenburg-Vorpommern dürfen Schülerinnen und Schüler die Masken fallen lassen. Was er davon hält und warum jetzt der beste Zeitpunkt ist, sich impfen zu lassen, erklärt Epidemiologe Timo Ulrichs im ntv-Interview.
ntv: Mecklenburg-Vorpommern plant, die Maskenpflicht in den Schulen aufzuheben. Wird damit der Präsenzunterricht gefährdet?

Der Epidemiologe Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.
Timo Ulrichs: Das ist ein bisschen riskant, denn letztendlich gibt es noch einen Infektionsdruck in den Schulen. Man sollte sehen, dort mit einem möglichst guten Gesamtkonzept loszulegen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass das Maskentragen in der Schule sinnvoll ist. Es sollte zudem versucht werden, die einzelnen Gruppen möglichst voneinander zu trennen, damit das Virus nicht auf verschiedene Gruppen überspringen kann. Das macht die völlige Aufhebung der Maskenpflicht ein bisschen schwierig. Möglicherweise lässt sich das in Klassenräumen lockerer handhaben, aber sobald die Schülerinnen und Schüler sich bewegen, ist das Maskentragen schon sinnvoll. Zumal die Delta-Variante sehr leicht übertragbar ist. Schon im Vorübergehen kann das passieren.
Wie lässt sich verhindern, dass Schulen in ein Wechselmodell aus Homeschooling und Präsenzunterricht zurückfallen?
Die wichtigste Maßnahme ist, dass sich alle Erwachsenen um die Kinder und Jugendlichen herum impfen lassen. Das macht es für das Virus schwerer, zu den Kindern und Jugendlichen vorzudringen. Das Nächstbeste wäre ein gutes Hygienekonzept für die Schulen.
In Deutschland sollen 38.000 Arztpraxen aus der Impfkampagne ausgestiegen sein. Was bedeutet das für den Impffortschritt?
Die werden das gemacht haben, weil es nicht mehr genug Nachfrage gibt. Das ist schon in Ordnung. Insgesamt braucht die Impfkampagne noch mehr Nachdruck. Es ist so, dass es ein Zeitfenster gibt, in dem die Impfungen gegen die sich aufbauende vierte Welle einen guten Effekt haben. Dieses Zeitfenster schließt sich langsam gegen Herbst. Das heißt, es ist jetzt sinnvoll, sich impfen zu lassen, und nicht erst abzuwarten. Wenn Arztpraxen jetzt aus der Kampagne aussteigen, ist es denkbar, dass das in vielen Bundesländern von mobilen Impfteams und Impfbussen übernommen wird.
Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Herdenimmunität erreicht wird?
Wenn es weiter mit der Impfbereitschaft zurückgeht, ist das natürlich schwierig. Wichtig ist es, so viel Abdeckung wie möglich zu erreichen. Dann ist für das Virus der Raum kleiner, sich im Herbst und Winter nochmals stark auszudehnen. Gerade in dieser Delta-Variante nutzt dieses Virus jede Lücke aus. Da steckt eine Menge Potenzial drin. Wenn wir die Herdenimmunität mit den auf die Delta-Variante berechneten 85 Prozent nicht erreichen, dann ist alles, was dem Ganzen nahe kommt, besser als nichts. Deswegen ist jetzt die Zeit, um sich impfen zu lassen. Und nicht erst Anfang nächstes Jahres.
Mit Timo Ulrichs sprach Nele Balgo
Quelle: ntv.de