Pandemie-Lage im Herbst 2022 Deutschland zählt mehr Covid-Tote als im Vorjahr
23.09.2022, 16:52 Uhr
Düsterer Indikator zur Pandemie-Lage: Die Zahl der Covid-Toten pro Woche ist aktuell höher als in den beiden Vorjahren.
(Foto: dpa)
Wo steht Deutschland vor Beginn des dritten Pandemie-Winters? Die Corona-Schutzmaßnahmen sind weitgehend aufgehoben, die Öffentlichkeit sehnt sich nach Normalität. Die nackten Zahlen sprechen jedoch eine ganz andere Sprache.
Im Kampf gegen das Coronavirus steuert Deutschland einen schwierigen Kurs zwischen Eindämmung und Öffnung. "Mit dem Virus leben lernen", lautet die Devise der Befürworter möglichst weitgehender Lockerungen. Ansteigende Fallzahlen führten - anders als in den Vorjahren - nicht mehr zu einer drohenden Überlastung in den Krankenhäusern. Die Gefahr für das öffentliche Gesundheitswesen sei weitgehend gebannt, heißt es.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) dagegen klingt im Herbst 2022 deutlich vorsichtiger. Mit Blick auf die "Betriebssituation im Gesundheitssystem" zu Beginn des Winterhalbjahres ist dort lediglich von einer "Stabilisierung" die Rede. Die Zahl der schweren Covid-Fälle sei zuletzt nicht weiter angestiegen, fasst das RKI die Lage zusammen. Anlass zur Entwarnung sehen die Experten jedoch nicht. "Trotz aktuell stabiler Fallzahlen bleibt der Infektionsdruck in der Allgemeinbevölkerung weiterhin in allen Altersgruppen hoch", heißt es im aktuellen RKI-Wochenbericht.
Ein stichprobenartiger Vergleich der aktuellen Fallzahlen mit der Situation im Herbst 2021 und 2020 wirft tatsächlich ernste Fragen auf. Die Zahl der in der zurückliegenden Woche amtlich gemeldeten Neuinfektionen liegt deutlich über dem Niveau des Vorjahres. In den sieben Tagen bis Sonntag, 18. September 2022 verzeichneten die Länderbehörden in Deutschland in der Summe 233.940 Coronavirus-Fälle. Das sind dreieinhalb Mal mehr amtsbekannte Ansteckungen als in der 37. Kalenderwoche des vergangenen Jahres. Diese dauerte bis zum 19. September 2021. In diesem Zeitraum wurden lediglich 62.682 neue Fälle erfasst. Im ersten Pandemiejahr waren es zu diesem Zeitpunkt sogar nur 12.338 Neuinfektionen.
Die nackten Zahlen liefern nur einen ersten Hinweis zur Pandemielage. Direkt und ohne Einschränkungen vergleichbar sind die Angaben nicht. Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie standen der breiten Öffentlichkeit zum Beispiel deutlich weniger PCR-Testmöglichkeiten offen als im Herbst 2021. Zudem fiel die Sommerwelle im letzten Jahr deutlich schwächer aus als im laufenden Jahr. Zugleich führen aktuell längst nicht mehr alle positiven Schnelltests zum gesicherten Nachweis im Labor. Und: Das Risiko, schwer an Covid zu erkranken oder gar zu versterben, ist allen bisher verfügbaren Erkenntnissen zufolge für Geimpfte und Immunisierte unter Omikron-Bedingungen sehr viel geringer als im Herbst 2020.
Was aber, wenn sich deutlich mehr Menschen anstecken? Überstanden ist die Coronavirus-Pandemie jedenfalls noch nicht, wie der Blick auf die Zahl der gemeldeten Covid-Toten im Jahresvergleich zeigt. In der aktuellen Wochenbilanz für die Kalenderwoche 37 addiert sich die Anzahl der binnen sieben Tagen registrierten Menschen, die im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion verstarben, auf 641. Im Schnitt der zurückliegenden vier Wochen waren das deutschlandweit 84 Todesmeldungen pro Tag.
Zum Vergleich: Im Herbst 2021 mussten die Behörden der Bundesländer in der Vergleichswoche 351 Todesfälle in die Sterbestatistik aufnehmen. Im Jahr davor waren es in der entsprechenden Woche - freilich nach einem vergleichsweise infektionsarmen Sommer - bundesweit lediglich 41 Todesfälle. Sicher gab es auf den Höhepunkten früherer Winterwellen Phasen, in denen die Zahl der gemeldeten Todesfälle sehr viel höher lagen. Aber so oder so: Aktuell sterben deutlich mehr Covid-Patienten pro Woche als im Herbst der beiden Vorjahre.
Die Lage vor der Corona-Winterwelle
Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesem groben Ansatz zur Einordnung der Gesamtsituation ableiten? Zunächst einmal: Nicht viel. Der aktuelle Zwischenstand bezieht sich auf Vergleichswochen, in denen Deutschland vorübergehende Atempausen zwischen stärkeren Infektionswellen in den dunklen Wintermonaten 2020/21 und 2021/22 erlebte. Wie Deutschland in der nächsten Herbst- oder Winterwelle abschneidet, wird sich erst noch zeigen.
Die genannten Zahlen eignen sich damit nur als erste Hinweise, um die aktuelle Pandemiesituation mit der Lage in den Vorjahren zu vergleichen. Sicher ist: Von einer Rückkehr zur Normalität kann mit Blick auf die hohe Zahl der gemeldeten Todesfälle eigentlich noch keine Rede sein. Das Virus und das Infektionsgeschehen sind offenkundig noch immer alles andere als harmlos.
Reichen diese Erkenntnisse für eine Neubewertung der deutschen Pandemiepolitik aus? Der viel beschworene Schutz der Risikogruppen, darunter auch alle älteren Menschen in Deutschland, scheint unter den gegebenen Bedingungen eines schwelenden Infektionsgeschehens - gemessen an der Zahl der Todesfälle - bisher nicht besser zu funktionieren als 2021. Der erreichte Stand bei der Immunisierung der Bevölkerung und die Fortschritte bei der Behandlung von Covid-Patienten reichen offenbar bisher nicht aus, um die Zahl der Covid-Toten unter das Ausmaß der Vorjahre zu drücken.
Quelle: ntv.de