Panorama

"Schulöffnungen bleiben riskant" Drosten kritisiert politischen Druck scharf

Christian Drosten hält das Verhalten mancher Politiker für "unverschämt."

Christian Drosten hält das Verhalten mancher Politiker für "unverschämt."

(Foto: imago images/photothek)

Christian Drosten kritisiert den Druck, den "manche Politiker" auf Wissenschaftler ausüben, um passende Argumente für ihre Entscheidungen zu erhalten. Der Virologe hält Schulöffnungen nach wie vor für riskant und warnt vor vorschnellen Interpretationen von Studien.

In seinem jüngsten Podcast hat sich Virologe Christian Drosten kritisch zu Schul- und Kita-Öffnungen geäußert, obwohl er sie als "Privatperson" gut verstehen könne. Studien, wonach sich Kinder möglicherweise deutlich seltener als Erwachsene anstecken oder weniger infektiös sind, seien bisher nur Hinweise, aber keine Beweise beziehungsweise noch nicht wissenschaftlich ausgewertet worden. Die Wissenschaft stehe derzeit unter hohem politischen Druck, endlich Zahlen für die Situation bei Kindern zu produzieren, sagte Drosten, der auch die Bundesregierung berät.

Politiker, die selbst unter dem Druck stünden, rationale Entscheidungen für die Gesellschaft zu treffen, wollten diese Verantwortung manchmal nicht selbst schultern, sondern hätten lieber eine Zahl aus einem wissenschaftlichen Manuskript, um sagen zu können: "Das steht doch schwarz auf weiß da geschrieben", erklärte Drosten. Dann komme man in einen gefährlichen Bereich, wo beispielsweise einem Institutsdirektor gesagt wird: "Du bist doch hier der Chef vom Ganzen, wir brauchen jetzt Zahlen von deinen Mitarbeitern! Und dann geht der Direktor zu seinen Mitarbeitern und sagt, was habt ihr denn? Eure Tabellen sind zwar erst halbvoll, aber der Minister, der will jetzt, dass wir was veröffentlichen. Jetzt nehmen wir mal die halben Tabellen und schreiben die schon mal zusammen."

Australische Studie noch nicht fertig

Manchmal werde dies dann auch nicht von Wissenschaftlern gemacht, sondern von Pressestellen, die das plastisch für die Öffentlichkeit aufbereiteten. "Und schon ist eine Fehlinformation in der Welt." Als Beispiel nannte Drosten Zahlen einer australischen Studie, die im Internet kursierten. Die Daten stammten von 160 Schulen aus New South Wales und ergäben offenbar, dass sich in einer bestimmten Zeit lediglich neun Schüler und neun Lehrer infiziert hätten. Und an denen hätten sich wiederum kaum andere angesteckt. Tatsächlich sei lediglich ein Positionspapier verfasst worden, kein wissenschaftliches Manuskript, "bei dem man wirklich die Umstände und die Genauigkeit der Studie verstehen und dann auch inhaltlich fundiert kritisieren kann".

Wie sich herausgestellt habe, sei die Studie noch gar nicht abgeschlossen und die Untersuchungen liefen noch. Es seien noch nicht mal die Hälfte aller Tests von Schülern ausgewertet worden, die sich hätten infizieren können, so Drosten. Trotzdem habe gestern die "New York Times" schon darüber berichtet und die kanadische Regierung nutze das Positionspapier, um politische Entscheidungen zur Schulöffnung umzusetzen.

"Das wird langsam gefährlich"

Die Wissenschaft werde in den Medien derzeit zu sehr polarisiert, kritisierte der Virologe. Inzwischen nutzten Politiker in Talkshows seinen Namen. Das sei für ihn "eine Unverschämtheit" und eine "vollkommene Irreführung der Öffentlichkeit und der politischen Meinungsbildung". Denn hier werde vom Inhalt abgelenkt auf eine Person, der man alle möglichen Eigenschaften anhängen könne, nur nicht den Inhalt der Diskussion. "Und das wird so langsam gefährlich. Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht in ein ganz schlechtes Fahrwasser kommen." Stattdessen müsse man in der jetzigen Phase einfach immer wieder fragen, wie die Wissenschaft helfen könne.

Was die Öffnungen von Schulen und Kitas betrifft, will und kann sich der Virologe nicht festlegen. Seine eigene Studie über die Infektiosität von Kindern und die einer Genfer Kollegin hätten ergeben, dass Kinder aller Altersgruppen ebenso viele infektiöse Viren im Hals haben wie Erwachsene. Es sei lediglich ein gewisser Trend zu sehen, dass es bei den besonders jungen Kindern eine geringere Virus-Konzentration gäbe. Daraus könne man aber nicht automatisch schließen, dass Kinder weniger infektiös als Erwachsene seien. Als Wissenschaftler sei er vorsichtig, und er müsse ganz besonders sorgfältig arbeiten.

Ein Trend ist kein Beweis

"Ich muss einfach auf Präzision bestehen. Denn anders herum könnte ich ja auch sagen, wenn ich mir die Daten so subjektiv betrachte, dann sehe ich da einen Trend dafür, dass die Kinder etwas weniger Virus haben. Und auch da ist dann ganz schnell der Umkehrschluss gemacht, Drosten sage, Kinder hätten weniger Virus. Und im nächsten Schritt: Die Wissenschaft hat festgestellt, Schulen können geöffnet werden. Das ist genauso falsch und irreführend, und das könnte viele Menschenleben kosten."

Eine gut gemachte chinesische Studie deute darauf hin, dass Kleinkinder ein geringeres Risiko haben, sich zu infizieren. Letztlich hätten sie sich aber gleich oft angesteckt, weil sie viel gegenseitigen Kontakt gehabt hätten, so Drosten. Eine "sehr interessante" Untersuchung eines Corona-Ausbruchs an einem französischen Gymnasium lasse darauf schließen, dass sich Jugendliche ebenso leicht wie Erwachsene ansteckten und das Virus weitergeben könnten.

"Bauchgefühl sagt: Erst Kitas und Grundschulen"

Würde ihn die Politik fragen, wo man zuerst öffnen könne, dann würde ihm sein "Bauchgefühl für Daten" sagen, bei kleinen Kindern sei "ein Tick weniger Virus als bei mittelalten und alten Kindern". In "logischer Konsequenz" würde er also sagen, dass Grundschulen und Kitas zuerst geöffnet werden könnten. Allerdings nicht für alle. "In Kitas für bestimmte Gruppen von Eltern und Familien, in Grundschulen unter der Voraussetzung, dass die Klassendichte nicht so groß ist."

Bei den höheren Jahrgängen könne er verstehen, dass man jetzt die Abiturprüfungen und andere Abschlussprüfungen durchziehen wolle. Aber dann müsse man unbedingt vermeiden, dass auf dem Pausenhof die älteren Schüler dicht gedrängt stünden, was eine Situation "wie in einer Kneipe in Ischgl" ergäbe, mahnte Drosten.

Quelle: ntv.de, kwe

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