Borschtsch im Schützengraben Geschmack der Heimat, geliefert von einer Drohne


50 Gramm Liebe - und was Warmes im Magen.
(Foto: Olga Belenko/Peremoga UA)
Eines der schlimmsten Probleme in einem Schützengraben ist ganz sicher der Hunger. Aber auch Kälte, Einsamkeit und die Angst, dass man vergessen wird an diesem schrecklichsten aller Orte. Gegen dieses Gefühl versucht die Ukrainerin Olga Belenko anzukämpfen: Sie schickt Liebe, Wärme - und Suppe. Per Drohne.
Borschtsch ist der König der ukrainischen Küche. Sein süß-saurer Geschmack ist jedem Ukrainer seit seiner Kindheit vertraut. Geschäftsfrau Olga Belenko aus Odessa kocht mit ihrer Wohltätigkeitsstiftung die heimische Suppe vor und liefert sie den Soldaten per Drohne an die Front. Dafür benutzt sie eine spezielle Technik – sowohl zur Herstellung als auch für die Lieferung.

Die Päckchen sind an der Drohne befestigt und fertig zum Abflug an die Front.
(Foto: Sergey Panashchuk/SAVE UA MEDIA)
Soldaten verlieren während der Kämpfe viele Kalorien und es ist für sie von entscheidender Bedeutung, regelmäßig "normales" und nahrhaftes Essen zu sich zu nehmen. "In einem Schützengraben riecht dieser Borschtsch nach Zuhause. Es weckt eine ganze Reihe von Erinnerungen", sagt ein junger Soldat, der in Krynky bei Cherson im Süden der Ukraine kämpft. "Für ein paar Minuten fühlt es sich an, als wäre man daheim. Erst eine neue Welle von Explosionen reißt einen aus den Erinnerungen zurück in die Realität des Krieges."
Belenkos Borschtsch wiegt nur 50 Gramm pro Päckchen. Die Soldaten wissen inzwischen, wie sie 30 bis 100 Pakete – je nach Leistungsfähigkeit der Drohne – an die Front liefern können. Sie kleben die Lebensmittelpakete einfach an der Drohne fest, ganz im Sinne einer modernen Luftbrücke.
Mit einem Euro Leben retten
"Der Selbstkostenpreis einer Packung Borschtsch beträgt etwa einen Euro. Und dieser eine Euro kann tatsächlich Leben retten", sagt Belenko. Es braucht nur heißes Wasser, das in die Aluverpackung gegossen wird, und schon ist die warme Mahlzeit in sieben Minuten verzehrfertig. Olga ist Café- und Restaurantbesitzerin in Odessa mit 23 Jahren Erfahrung in der Gastronomie. Zu Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine hat sie die Wohltätigkeitsorganisation Peremoga UA (Sieg) mitgegründet.
"Jeder Ukrainer hat entweder einen Verwandten oder einen Freund in der Armee. Deshalb ist es uns eine persönliche Angelegenheit, der Armee zu helfen", betont die 46-Jährige. Über die Stiftung versorgt sie die Soldaten mit Nahrungsmitteln und Ausrüstung. Die Idee zu ihrem ungewöhnlichen Lieferservice entstand, als ein Soldat vor einiger Zeit um Ramen-Nudeln oder etwas Ähnliches gebeten hatte, weil die Mägen der Soldaten das Essen aus der Dose nicht mehr vertrugen, es jedoch das Einzige war, was sie an Nahrung hatten.
Belenko machte sich an die Arbeit: "Ich habe ein Restaurant und habe mit meinen Kollegen einen 'Think Tank' gegründet. Ich habe sie gefragt, wie wir gesundes und nahrhaftes Essen herstellen könnten. Mein Team entwarf das Konzept für vier Gerichte: Trocken-Borschtsch, Buchweizenbrei, Haferbrei und getrocknetes Hühnerfleisch. So schnell wie möglich haben wir dann mit der Herstellung begonnen", sagt Belenko.
Zutaten: Liebe und Sorgfalt
Der Herstellungszyklus eines Borschtsch ist recht einfach: Frisches Gemüse und Fleisch werden in Stücke geschnitten. Anschließend werden die Zutaten in einem Dörrapparat getrocknet. Danach werden sie in Alufolienverpackungen geschweißt. Belenko verwendet keine Konservierungsstoffe und nur natürliche Zutaten, dafür aber eine große Portion Liebe und Sorgfalt.

Für Belenko ist diese Arbeit kein Geschäft - es ist ihre Art, die Armee zu unterstützen.
(Foto: Sergey Panashchuk/SAVE UA MEDIA)
Der letzte Schritt besteht darin, die Päckchen zu zählen, in Kartons zu packen und an die Soldaten zu schicken. "Das Sortieren kann einige Stunden dauern, wir machen das drei- bis viermal pro Woche. Ich lade meine Freunde oft ein, um mitzuhelfen. Dies ist eine großartige Anti-Stress-Übung. Genau wie Meditation. Und man tut etwas Gutes für andere Menschen, etwas Gutes für die Armee", sagt Belenko und lächelt. Für sie ist die Zubereitung und Lieferung von Essen kein Geschäft. Sie verdiene kein Geld und erziele keinen Gewinn damit, betont sie. Das Ergebnis sei ihre Belohnung: ein herzliches Dankeschön von Tausenden Soldaten.
"Jedes Mal bekomme ich Nachrichten - Text- oder Videobotschaften - von den Soldaten, wie dankbar sie für das Essen sind. Es gibt mir ein warmes und wertvolles Gefühl. Sogar ausländische Soldaten, die Borschtsch noch nie probiert haben, mögen ihn", freut sich Belenko.
Und wenn kein Wasser da ist?
Seitdem Belenko vor rund 14 Monaten mit der Herstellung der Trockennahrung für die Soldaten begonnen hat, produzierte ihr kleines Unternehmen nach eigenen Angaben mehr als 70.000 Portionen und schickte sie an die Front. "Jetzt haben wir eine Anfrage der Soldaten nach verzehrfertigen Nahrungsmitteln, die weder zusätzlich gekocht noch mit Wasser zubereitet werden müssen. Denn an manchen Orten gibt es kein Wasser, nichts. Das Trockenfleisch aus Hähnchen haben wir bereits. Es ist sehr praktisch für Soldaten. Sie können es in ihre Taschen stecken und während des Kampfes essen, denn niemand weiß, wie lange ein Soldat an der Front bleibt. Wir arbeiten daran, Konzepte für weitere Mahlzeiten dieser Art zu entwerfen", so Belenko.

Mehr als eine "Küchenpsychologin": Olga Berenko mit einer Mitarbeiterin.
(Foto: Sergey Panashchuk/SAVE UA MEDIA)
Ihre Erfahrungen als Gastronomin helfen bei ihrer ungewöhnlichen Arbeit: "Ich bin aber nicht nur Köchin, Kellnerin und Geschäftsfrau – ich bin außerdem eine autodidaktische Psychologin", fasst sie ihren Job zusammen. Denn eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg im Gastronomiegewerbe sei das Verständnis für die Kunden.
In den Soldaten sehe sie zwar keine Kunden im herkömmlichen Sinn, aber auch sie hätten Bedürfnisse. Sie müssten spüren, dass sich die Menschen, für die sie kämpfen, wirklich um sie kümmern und an sie denken. Und genau diese Botschaft möchte sie mit ihren Trockenmahlzeiten vermitteln.
Der Text wurde übersetzt von Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de