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Keine Erdbeben-Hilfe in Syrien "Hilfskonvois werden nicht durchgelassen"

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Viele Menschen in Nordsyrien verlieren bereits zum zweiten Mal ihr Zuhause, sagt Tareq Alaows von "Pro Asyl".

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

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Nach dem schweren Erdbeben am vergangenen Montag sind die Menschen in Nordsyrien so gut wie auf sich allein gestellt. "Internationale Hilfe gibt es dort nicht", sagt Tareq Alaows von der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl" im Gespräch mit ntv.de. Zum einen liege das an Machthaber al-Assad, zum anderen an der türkischen Regierung. Für die Menschen vor Ort bedeutet dies: Es mangelt am Allernötigsten.

ntv.de: Das Erdbeben hat Nordsyrien hart getroffen. Die Schäden in den Städten Aleppo, Latakia, Hama und Idlib sind besonders stark. Wie ist die Lage für die Menschen dort?

Tareq Alaows: In Nordsyrien ist die humanitäre Not gewaltig. Es gibt dort keine internationale und humanitäre Hilfe - auch 72 Stunden nach dem Beben noch nicht.

Viele Länder schicken Hilfspakete in die betroffenen Gebiete und aus aller Welt sind Rettungsorganisationen unterwegs. Immerhin sechs LKWs erreichten heute auch Syrien. Warum landen die meisten Hilfsgüter in der Türkei?

Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher von der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl".

Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer Sprecher von der Menschenrechtsorganisation "Pro Asyl".

(Foto: Foto: Lena-Lotte Agger)

Der Großteil an Hilfsgütern für Syrien steckt noch immer in der Türkei, meist an Flughäfen. Ich habe auch Informationen von Hilfskonvois aus dem Grenzgebiet bekommen, die nicht durchgelassen werden nach Syrien. Lediglich die Leichen von syrischen Opfern kommen aus der Türkei nach Syrien. Andere internationale Hilfen, zum Beispiel aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kommen zwar an syrischen Flughäfen an. Das syrische Regime von Machthaber Baschar al-Assad leitet sie aber nicht in die betroffenen Gebiete im Norden weiter.

Was bedeutet das für die Bergung der Verschütteten?

Die Rettung verläuft unter prekären Umständen. Die Weißhelme helfen vor Ort und es gibt zivilgesellschaftliche Organisationen aus den Menschen, die dort leben. Allerdings fehlen ihnen die Geräte, um die Bergung schneller und effektiver zu gestalten. Viele Menschen versuchen daher, ihre Verwandten auf eigene Faust zu bergen. Ich habe Berichte erhalten, wonach Menschen mit ihren bloßen Händen in den Trümmern nach Familienmitgliedern suchen.

Wie steht es um die Versorgung der Verletzten?

Die fehlende Gesundheitsversorgung ist eines der größten Probleme in Nordsyrien. Dieses Gebiet wird seit elf Jahren tagtäglich vom Assad-Regime beschossen - es gibt dort im Gegensatz zur Türkei null Infrastruktur. Somit fehlt es an Krankenhäusern mit den notwendigen technischen Geräten. Man ist dort froh, wenn es überhaupt einen Krankenwagen gibt. Wenn sich die medizinische Versorgung nicht schnell bessert, wird die Zahl der Toten massiv steigen.

Syrien leidet seit Jahren unter dem Bürgerkrieg. Schon vor dem Beben lebten laut der UN 80 Prozent der Syrer in Armut, nun verschlimmert das Beben die Lage weiter. Was sind derzeit die größten Nöte der Überlebenden?

Viele Menschen haben schlichtweg kein Dach mehr über dem Kopf - und das bei Minusgraden. Provisorische Auffang- und Zeltlager gibt es bisher so gut wie nicht. Viele haben ja schon vorher in Zeltlagern gewohnt, denn in Nordsyrien leben die meisten Binnenflüchtlinge des Landes. Diese Menschen haben durch den Krieg schon einmal ihr Zuhause verloren und durch das Erdbeben nun ein zweites Mal. Schon vor dem Beben war die Versorgung katastrophal. Es mangelt an Lebensmitteln und Wärmeversorgung. Es gab Berichte über Kinder, die in den Zeltlagern erfroren sind. Es gibt auch kein Internet, weswegen es schwierig ist, an Informationen zu gelangen.

Gibt es irgendeine Art von staatlicher Hilfe in den betroffenen Gebieten?

Es gibt keine staatliche Hilfe vor Ort und auch keine Versuche. Dafür gibt es nach all den Jahren Krieg aber auch keine Strukturen mehr. Die vom Beben betroffenen Gebiete sind vor allem jene, in denen das Assad-Regime keine Kontrolle hat. Deswegen kommt es auf internationale Hilfe an - in allen Bereichen. Es braucht einen koordinierten Einsatz, am besten unter Aufsicht der UN.

Woran scheitert das im Moment?

Es wird von türkischer Seite derzeit nicht ermöglicht. Die Türkei hält die Grenzen geschlossen, offenbar besteht nicht einmal der Versuch, Nordsyrien zu helfen. Deswegen plädieren wir von "Pro Asyl" an die Bundesregierung: Sie muss Druck auf Ankara machen, damit die Grenzübergänge sowohl für humanitäre Hilfen als auch für Menschen, die das betroffene Gebiet verlassen wollen, geöffnet werden. Das Erdbeben war eine Naturkatastrophe, für die keiner etwas kann. Nun geht es aber um politische Entscheidungen.

Selbst wenn die Grenzen geöffnet werden, hat Syriens Regierung den internationalen Hilfskonvois nicht zugestimmt.

Die internationale Gemeinschaft darf ihre Hilfe nicht von der Zustimmung des Assad-Regimes abhängig machen. Sie hat die Pflicht, allen Menschen - ob in der Türkei oder in Syrien - gleichermaßen zu helfen. Humanitäre Hilfe braucht kein Mandat.

Mit Tareq Alaows sprach Sarah Platz

Quelle: ntv.de

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