Panorama

Die Tiertafel in München "Ich will Tieren helfen - und Menschen"

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Futter für einen ganzen Monat, das können sich viele inzwischen nicht mehr leisten.

Futter für einen ganzen Monat, das können sich viele inzwischen nicht mehr leisten.

(Foto: Jörg Schmellenberg)

Keine Urlaubsreise, niemals essen gehen, Armut zeigt sich verschieden. Manchmal reicht das Geld auch nicht mehr, um das geliebte Haustier zu versorgen. Seit vielen Jahren gibt es in einigen Städten dann Hilfe von ganz besonderen Tafeln - für Tiere.

Es ist heiß an diesem Samstag im Juni. Ein Hinterhof im Südwesten von München. An diesem Tag ist es ruhiger als sonst. Auf einer Bank sitzen ein paar ältere Männer und unterhalten sich. Ein paar Frauen stehen schüchtern in einer Ecke. Sie warten. Es ist halb elf am Vormittag, nur noch eine halbe Stunde. Dann geht es endlich los.

In einem kleinen, unscheinbaren Haus am hinteren Ende des Hofs herrscht Trubel. Tüten werden mit Konservendosen gepackt. In einem Lagerraum liegen Beutel mit Katzenstreu, Futter für Hunde und Katzen steht gut geordnet auf Paletten. Aus einem kleinen Raum schaut die Chefin heraus. "Wir haben grade Stress", sagt sie. "Heute sind nur sieben Helfer da, wegen der Pfingstferien." Aber dann hat sie doch fünf Minuten für ein kleines Gespräch.

"Alles freiwillig"

"Unsere Gäste sind vor allem ältere Menschen", sagt Andrea de Mello, die Vorsitzende des Vereins Tiertafel München e. V. "Sie haben sich irgendwann ein Haustier angeschafft. Mittlerweile leben sie von Grundsicherung im Alter, Bürgergeld oder anderen Sozialleistungen. Sie haben oft kaum Geld, um selber klarzukommen. Dann können sie zu uns kommen."

Andrea de Mello (re.) freut sich über jede Spende.

Andrea de Mello (re.) freut sich über jede Spende.

(Foto: Jörg Schmellenberg)

Oft sei ein Haustier Teil der Familie. Eine solche Bindung zu zerstören, sei unmenschlich, sagt de Mello. "Wir helfen, so gut wir können. Bei uns können sich die Menschen Tierfutter holen, Leinen, Kratzbäume, und wir unterstützen bei den Tierarztkosten. Wenn wir können, organisieren wir sogar Spezialfutter für kranke Haustiere", sagt Andrea de Mello. Ungefähr 700 Tiere kann die Tiertafel versorgen. Doch die Warteliste ist riesig. Denn die Tiertafel lebt ausschließlich von Spenden. "Manchmal kommen Einzelpersonen zu uns, aber vor allem hilft uns die Industrie", sagt de Mello.

Die Helfer der Tiertafel sind ehrenamtliche Mitarbeiter. Geld bekommen sie nicht. Das ist nur für die Tiere. An diesem Tag erwartet Andrea de Mello ungefähr 200 Gäste, die sich Futter abholen. "Tiere kommen nur ganz selten mit", sagt sie. Gerade in der Corona-Zeit sei das unmöglich gewesen.

"Meine Katze Bella"

Es ist elf Uhr, und ein lauter Gong hallt über den Innenhof. Die Tiertafel ist geöffnet. Fast alles findet unter freiem Himmel statt. Auf einem Tisch stehen Becher mit Hundeleckerli, Knochen und anderen kleinen Belohnungen. Daneben weitere Tische, voll mit Konservendosen.

Vielen ist es unangenehm, Hilfe für ihre Tiere annehmen zu müssen.

Vielen ist es unangenehm, Hilfe für ihre Tiere annehmen zu müssen.

(Foto: Jörg Schmellenberg)

Eine ältere Frau packt eine große Tüte. Sie möchte ihren Namen nicht nennen. Möglichst wenig Menschen sollen wissen, dass sie ihre Katzendame Bella nicht alleine ernähren kann. Bella ist neun Jahre alt. "Ich wüsste nicht, was ich ohne die Tiertafel machen sollte", sagt die Frau. Und dann erzählt sie: 72 Jahre alt sei sie. Eigentlich stammt sie aus Norddeutschland, doch aus Liebe zu ihrem Mann zieht sie schon vor Jahren nach München, gemeinsam mit ihrem Sohn. Dann kommt die Scheidung, ihr Mann zieht in seine alte Heimat Italien zurück. Sie hatte mal einen guten Job, vor ihrer Rente.

"Öffentlicher Dienst", sagt sie, "ich habe im Büro gearbeitet." Ihr ganzes Leben habe sie für den Staat gearbeitet und Steuern gezahlt. Und jetzt kann sie selber von ihrer Rente kaum leben. "Heute unterstützt mich mein Sohn nebenbei. Dabei sollte es umgekehrt sein. Aber so ist es halt." Bella sei pflegeleicht, sagt die Frau. Sie habe sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie nicht immer das Futter bekommt, das sie sich wünscht. "Sie frisst, was da ist. Und sie ist kerngesund, sie verträgt alles."

Die Sache mit der Ratte

Der Andrang ist immer groß.

Der Andrang ist immer groß.

(Foto: Jörg Schmellenberg)

Helen ist seit zehn Jahren dabei. Sie ist eine der Helferinnen bei der Tiertafel. "Ich weiß gar nicht mehr, wie ich hier hergekommen bin. Ich wollte Tieren helfen - und Menschen. Darum bin ich da. Manchmal dreimal in der Woche." Denn die Helfer geben nicht nur Tierfutter aus. Sie nehmen auch die Spenden an, ordnen sie, damit sie am Tag der Ausgabe schnell zur Hand sind. "Wir machen einmal im Monat eine Futterausgabe", sagt Helen. Sie ist die Ruhe selbst, steht jeder Kundin und jedem Kunden hilfreich zur Seite. Da ist die Frau mit der Katze, die wieder Darmprobleme hat, hier der Mann, der Futter für seinen diabeteskranken Hund braucht. Dann kommt die Frau, deren Katze allergisch auf Fisch reagiert. Viele Tiere scheinen sehr alt zu sein, brauchen viel Pflege. Für sie gibt es besonderes Futter.

Die meisten Gäste der Tiertafel haben Hunde und Katzen, sagt Helen. Manchmal kommt jemand, der ein Meerschweinchen besitzt oder ein Kaninchen. An wirklich exotische Tiere kann sie sich nicht erinnern - mit einer Ausnahme. "Einmal kam einer, der hatte eine Ratte. Und sogar dem haben wir geholfen", sagt sie.

Dann wird ihr Gesicht ernst. "Wir merken seit einiger Zeit, dass sich die Klientel verändert, die zu uns kommt. Als ich anfing, waren es überwiegend Rentner. Doch mittlerweile kommen immer mehr Berufstätige, Menschen, die eigentlich im Leben stehen sollten, mitten aus der Gesellschaft. Dann sind da die vielen Langzeitarbeitslosen. Und seit März vergangenen Jahres kommen immer mehr Flüchtlinge aus der Ukraine zu uns."

Das bestätigt auch Andrea de Mello: "Da sind immer mehr Menschen, die mehr als einen Job bewältigen müssen, aber trotzdem reicht es hinten und vorne nicht. Dabei verdienen die oft ganz ordentlich. Aber immer mehr geht für die Miete drauf, den Strom, die Heizung und vor allem für Lebensmittel. Ich finde es erschütternd, dass das ein Staat und eine Gesellschaft eines der reichsten Länder der Welt zulassen."

"Lernen, lernen, lernen"

Maryna und ihre Freundin fallen auf. Beide sind gut gekleidet. Sie legen Wert auf ihr Äußeres. Maryna ist im Frühling vergangenen Jahres nach München gekommen, als die russische Armee ihre Heimatstadt angegriffen hat. Sie stammt aus Charkiw, im Osten der Ukraine, direkt an der russischen Grenze.

Es hat etwas gedauert, bis sie in München ihren Deutschkurs beginnen konnte. "Alles war voll", sagt sie. Inzwischen ist ihr Deutsch sehr gut, sie kann sich unterhalten. Aber wenn die Deutschen zu schnell sprechen, versteht sie nichts.

Über ihren Mann möchte Maryna nicht reden. Aber über ihre Schwiegereltern. Die haben endlich die Ukraine verlassen, sind nun in Polen. Jetzt versucht Maryna, eine Wohnung für die beiden zu finden. Wie es ihnen geht? "Wie sagen Sie das hier? Den Umständen entsprechend." München gefällt ihr gut. "Das ist fast wie Charkiw, aber vor dem Krieg." Charkiw hatte einmal knapp zwei Millionen Einwohner. Doch jetzt ist nur noch gut die Hälfte davon da.

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"Hier ist es schön. Wir könnten hier alles kaufen. Aber wir können uns nichts leisten", sagt Maryna. Auch sie holt Futter bei der Tiertafel. Für ihren Hund, fast das einzige, das sie aus der Ukraine mitgebracht hat. "Aber bald wird sich das ändern", sagt sie voller Zuversicht. Bald habe sie ihre Deutschprüfung, und die werde sie schaffen. Dann könne sie sich Arbeit suchen. "In der Ukraine habe ich in einer Firma gearbeitet, die Flugzeugteile gebaut hat. Das möchte ich wieder machen. Das ist mein Ziel. Und dafür werde ich drei Dinge tun: lernen, lernen, lernen."

Es ist heiß an diesem Samstag im Juni, auf dem Hinterhof im Südwesten Münchens. Vier Stunden arbeiten die Helfer der Tiertafel. Das ist oft Stress. Aber es ist positiver Stress. Denn zweihundert Haustiere werden nun einen ganzen Monat lang satt sein.

Quelle: ntv.de

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