Kampf gegen Corona Österreich macht die Schotten dicht
19.11.2021, 18:49 Uhr
In Österreich geht im öffentlichen Leben für zunächst 20 Tage nichts mehr.
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In Deutschland wird er noch ausgeschlossen, in Österreich kommt er ab Montag: Der Lockdown für alle. Spätestens zum 1. Februar soll zudem eine Impfpflicht eingeführt werden. Doch schon am Samstag könnten in Wien chaotische Zustände herrschen - wegen einer Demo.
Gerechnet hatten in Österreich alle damit, geglaubt hatte es niemand. Doch nun ist es amtlich: In der Alpenrepublik gilt ein Lockdown für alle, ab Montag, null Uhr. Restaurants, Cafés, Kinos, Theater, Kaufhäuser müssen schließen. Schulen und Kitas öffnen zwar, doch wer kann, soll die Kinder zu Hause lassen. Wer kann, soll seine Arbeit ins Homeoffice verlegen. In allen Innenräumen gilt eine FFP2-Maskenpflicht. Der Lockdown gilt zunächst für 20 Tage. Zur Halbzeit will die Regierung prüfen, ob die Maßnahmen ausreichen oder noch verschärft werden müssen. Außerdem soll in Österreich spätestens zum Februar eine allgemeine Impfpflicht eingeführt werden. Österreich wäre damit das erste Land in der EU, das zu dieser harten Maßnahme greift.
Bundeskanzler Alexander Schallenberg von der konservativen ÖVP und Grüne-Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein wirkten sichtlich geknickt, als sie am Vormittag vor die Presse traten. Der Lockdown sei eine Zumutung, sagte Mückstein, aber eine notwendige. Die Bundesregierung sei hinter ihren eigenen Ansprüchen zurückgeblieben. "Ich möchte mich dafür entschuldigen", sagte er.
Die Menschen in Österreich schwanken zwischen Wut und Resignation. Laut einer Blitzumfrage des Senders Radio Austria sprachen sich am Vormittag 57 Prozent der Befragten gegen den Lockdown aus. Straßenumfragen zweier TV-Sender zeigten ein entspannteres Bild. Wirklich kritische Stimmen gab es kaum. Ein Passant fasste die Situation sehr gelassen zusammen: "Wir haben schon drei Lockdowns überstanden, den vierten schaffen wir auch noch."
Salzburg mit 1740er Inzidenz
Das Problem in Österreich: Die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung nicht wirklich erfolgreich. Die Sieben-Tage-Inzidenz betrug am am heutigen Freitag 1027, etwa dreimal so hoch wie in Deutschland. Am höchsten ist der Wert im Bundesland Salzburg mit 1740. In Deutschlands Corona-Hotspot Nummer eins, dem niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn, lag er am gleichen Tag bei knapp 1425.
Bei der Impfquote sieht es in Österreich dagegen fast genauso aus wie in Deutschland: Knapp 70 Prozent der Bevölkerung sind einmal, gut 60 Prozent zweimal geimpft worden. Trotzdem soll die Impfpflicht dort erst in zweieinhalb Monaten beginnen. Grund sind verfassungsrechtliche Bedenken. Zwar ist sich Bundeskanzler Schallenberg sicher, dass die allgemeine Impfpflicht mit der Verfassung vereinbar ist, und erste Juristen haben ihn bereits in seiner Ansicht bestärkt. Trotzdem will er auf Nummer sicher gehen.
Außerdem muss die Regierung sicherstellen, dass mit dem Beginn der Impfpflicht an jedem Ort genug Impfstoff vorhanden ist: Von der Großstadt bis zum kleinen Alpendorf. Vielleicht hofft Schallenberg aber auch, er könne die Impfpflicht ganz vermeiden. Schließlich äußerten erste Experten bereits die Hoffnung, viele Österreicher würden sich in Erwartung des Februars schon vorher impfen lassen.
Auch in Bayern soll es wieder schärfere Maßnahmen im Kampf gegen Corona geben, wie Ministerpräsident Markus Söder nach einer Kabinettssitzung angekündigte. Das Wichtigste: In allen Landkreisen mit einem Inzidenzwert über 1000 soll ein allgemeiner Lockdown gelten. "Hier muss alles geschlossen werden", sagte Söder. Und zwar für alle.
Die Hotspots liegen vor allem in den Tourismushochburgen im Bayerischen Wald und in den Alpen. Dazu gehört mit dem höchsten Inzidenzwert der Landkreis Rottal-Inn, wo es fast nur kleine Städte und Dörfer gibt - wie das Städtchen Eggenfelden, das durch den ehemaligen DSDS-Star Daniel Küblböck bekannt wurde. Aber auch beliebte Wintersportorte im Berchtesgadener Land oder um Traunstein sind vom totalen Lockdown betroffen. Die neuen Regeln sollen am Dienstag vom Landtag in München abgesegnet werden.
Aufrufe zur Demo in Wien
Unterdessen drohen in Wien am morgigen Samstag chaotische Zustände. In der Hauptstadt will die rechtsextreme FPÖ gegen die Corona-Maßnahmen der österreichischen Regierung demonstrieren. Die Polizei rechnet mit gut 10.000 Teilnehmern. Mögliche Gegner des aktuellen Lockdowns hatte sie da aber noch nicht eingeplant. Seit Tagen rufen auch rechte Gruppen in Deutschland und der Schweiz zur Teilnahme an der Demo auf. Gleichzeitig werden kurz vor dem Lockdown viele Menschen die Möglichkeit nutzen, sich noch schnell mit Lebensmitteln und Toilettenpapier einzudecken.
Die Polizei fürchtet Auseinandersetzungen zwischen radikalen Lockdown-Gegnern und friedlichen Weekend-Shoppern. Am späten Nachmittag hat zudem in der österreichischen Bundesliga der SK Rapid Wien ein Heimspiel, dann kommen auch noch Fußball-Hooligans dazu. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot im Einsatz, die Innenstadt wird ab dem Mittag für Autos gesperrt.
Lockdown für alle bald auch in Deutschland?
Lockdown jetzt, Impfpflicht bald - so sieht es in Österreich aus. Zwar sprechen sich in Deutschland noch immer viele Politiker gegen beides aus. Doch wie lange sie an ihrer Meinung noch festhalten können, ist fraglich. Auch Österreichs Bundeskanzler Schallenberg hatte noch am Sonntag erklärt, eine landesweite 2G-Regelung reiche zur Bekämpfung des Corona-Virus völlig aus. Die galt dort seit Montag.
Wissenschaftler wie Weltärzte-Chef Frank-Ulrich Montgomery halten unterdessen auch in Deutschland einen Lockdown für alle für unumgänglich. Montgomery sprach sich zuletzt auch für eine allgemeine Impfpflicht aus. Die Idee, wie so etwas selbst in dem kleinen Österreich umgesetzt und kontrolliert werden soll, fehlt jedoch noch. Fraglich ist vor allem, ob sie nur für Österreicher gilt, oder beispielsweise auch für die gut 5000 Beschäftigten der Vereinten Nationen, die in der UNO City in Wien arbeiten - immerhin ist Wien einer von vier Amtssitzen der UN.
Klar ist aber auch: In Deutschland könnte es bald ähnlich hohe Inzidenzwerte geben wie im südlichen Nachbarland. So geht Bayerns Ministerpräsident Söder davon aus, dass es nicht bei den aktuell acht bayerischen Hotspots bleiben wird.
Österreich war schon des Öfteren schneller als Deutschland, wenn es um die Bekämpfung von Corona ging - zuletzt bei der Impfung von Kindern unter zwölf Jahren. Nun hat der große Nachbar die Möglichkeit, die Wirkung des Total-Lockdowns zu beobachten. Und brächte dieser in Österreich nicht den gewünschten Erfolg, müsste auch in Deutschland über eine allgemeine Impfpflicht als allerletzte Möglichkeit neu nachgedacht werden. Ministerpräsident Söder hat die Debatte als Befürworter inzwischen neu belebt.
Quelle: ntv.de