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Überreste karibischer Sklavin Oxford-Akademiker tranken jahrelang aus menschlichem Schädel

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Das Worcester College der Elite-Universität Oxford.

Das Worcester College der Elite-Universität Oxford.

(Foto: picture alliance / Peter Schickert)

Ein Archäologe zeichnet die "beschämende Geschichte" eines Schädels nach: Bis 2015 tranken Uni-Angehörige in Oxford bei festlichen Anlässen demnach aus einem verzierten Totenkopfkelch. Die Spuren des Gefäßes lassen sich bis in die Kolonialzeit zurückverfolgen.

Angehörige der britischen Oxford-Universität haben einem Bericht des "Guardian" zufolge bis vor einigen Jahren aus einem Kelch getrunken, der aus einem menschlichen Schädel gefertigt war. Das geht aus einem demnächst erscheinenden Buch des Archäologen Dan Hicks hervor. In "Every Monument Will Fall" zeichnet er die "beschämende Geschichte des Schädels" nach.

Der Schädelbecher sei aus einer abgesägten und polierten Gehirnschale gefertigt und mit einem silbernen Rand und Ständer verziert worden. Hicks zufolge hätten ihn Angehörige der Universität und deren Gäste regelmäßig bei formellen Abendessen am Worcester College verwendet. Der Wissenschaftler schreibt, irgendwann sei der Kelch undicht geworden und Wein aus ihm ausgelaufen. Dann habe man ihn zum Servieren von Schokolade genutzt.

Zunehmendes Unbehagen unter Studierenden und Gästen habe schließlich dazu geführt, dass das Trinkgefäß nicht mehr zur Verwendung kam. 2019 beauftragte die Universität Hicks, um die Herkunft des Schädels zu untersuchen. Der Archäologe fand heraus, dass der Schädel etwa 225 Jahre alt ist. Unter anderem deute seine Größe demnach darauf hin, dass er aus der Karibik stammte und möglicherweise einer Sklavin gehörte. Hinweise auf eine konkrete Person fand Hicks nicht.

Name auf dem Rand eingraviert

Die britischen Besitzer des Kelches sind dem Bericht zufolge hingegen gut dokumentiert. 1946 stiftete ein ehemaliger Student dem Worcester College das Gefäß aus menschlichen Überresten. Sein Name, George Pitt-Rivers, ist auf dem silbernen Rand eingraviert. Bei ihm handelt es sich laut "Guardian" um einen Eugeniker, der während des Zweiten Weltkriegs von der britischen Regierung interniert wurde, weil er den Faschisten-Führer Oswald Mosley unterstützt hatte.

Pitt-Rivers wiederum hatte den Totenkopfbecher Hicks Erkenntnissen nach aus der Privatsammlung seines Großvaters, einem viktorianischen Soldaten und Archäologen, der ihn 1884 auf einer Auktion ersteigert hatte. Der Verkäufer war damals ein Anwalt und Waffensammler. Hicks vermutet, dass er das Stück von seinem Vater bekommen hatte, einem Soldaten der Royal Navy in der Karibik. Silberstempel verweisen auf 1838 als Herstellungsjahr des Kelches.

"Es ist abstoßend"

Dass aus dem Schädel fast 200 Jahre später noch getrunken wurde, empört die Labour-Abgeordnete Bell Ribeiro-Addy. "Es ist abstoßend, sich vorzustellen, wie Oxford-Dozenten in dieser Bastion der Privilegien, die selbst durch die Erträge jahrhundertelanger kolonialer Gewalt und Ausbeutung bereichert wurde, aus einem menschlichen Schädel saufen, der möglicherweise einem Sklaven gehörte und so wenig wert war, dass er zu einem Objekt gemacht wurde", sagte sie dem "Guardian".

Ein Sprecher des Worcester College räumte gegenüber der Zeitung ein, dass der Schädel "im 20. Jahrhundert manchmal zusammen mit der Silbersammlung des Colleges ausgestellt und als Tafelgeschirr verwendet wurde." Wie oft dies der Fall war, sei nicht dokumentiert. "Aber nach 2011 wurde dies stark eingeschränkt, und das Gefäß wurde vor zehn Jahren vollständig entfernt", heißt es.

Nach wissenschaftlicher und rechtlicher Beratung habe der Hochschulvorstand entschieden, das Gefäß "respektvoll und dauerhaft" im Archiv aufzubewahren. Hicks zufolge verdeutlicht der Fall um den Schädelkelch, wie die Identitäten der Opfer der Kolonialherrschaft aus der Geschichte gelöscht wurden. "Die Entmenschlichung und Zerstörung von Identitäten waren Teil der Gewalt", so Hicks.

Quelle: ntv.de, mdi

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