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Playlists mit Reichsflaggen Wie Spotify rechtsextreme Musik verbreitet

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2019 feiern Neonazis beim NPD-Festival "Schwert und Schild" im sächsischen Ostritz. Mittlerweile treten viele Rechtsrocker subtiler auf, sagt ein Experte.

2019 feiern Neonazis beim NPD-Festival "Schwert und Schild" im sächsischen Ostritz. Mittlerweile treten viele Rechtsrocker subtiler auf, sagt ein Experte.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Playlists mit Hakenkreuzen, Reichsflaggen und Titeln wie "Heil Hitler! Radio". Wer rechtsradikale Musik hören will, wird bei Spotify problemlos fündig. Und was unternimmt der Streaminganbieter dagegen? "Praktisch gar nichts", kritisieren Experten.

Ob Swifties, Metal-Fans oder Jazz-Kenner: Spotifys riesiges Angebot macht es Musikliebhabern einfach, immer und überall den richtigen Soundtrack dabei zu haben. Nur gehören zum Repertoire des Streaminganbieters nicht bloß Namen wie Taylor Swift, Metallica oder Miles Davis, sondern auch Rechtsrock-Bands wie Frontalkraft, Feindnah oder Kategorie C. Ihre Songs lassen sich auf einschlägigen Playlists wiederfinden, die teils mit Reichsflaggen bebildert sind und Titel wie "Deutsche Wut" oder "Rechts forever" tragen. Allein beim Suchbegriff "Rechtsrock" spuckt die App unzählige solcher Listen aus.

Eigentlich werden in den Plattformregeln Inhalte verboten, "die zu Gewalt oder Hass gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen aufrufen, aufgrund von Hautfarbe, Religion, Geschlechtsidentität oder -ausdruck, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, […]". Warum also werden rechte Accounts und Playlists nicht gelöscht?

Rechtsextrem ja, verboten nein

Rechtsextreme Musikerinnen und Musiker seien in ihren Texten in den letzten 20 Jahren immer subtiler geworden, erklärt der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs im ntv.de-Interview. In den 1990er-Jahren habe es noch eine Menge an "wirklich übelsten, menschenverachtenden" Texten gegeben. Doch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien reagierte mit einer massiven Indizierungswelle, hinzu kamen etliche Strafverfahren wegen Volksverhetzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole.

Das verursachte damals, als noch mit physischen Tonträgern gearbeitet wurde, erheblichen finanziellen Schaden bei Labels und Bands. Und so gingen viele von ihnen dazu über, "ihre Texte deutlich vorsichtiger zu formulieren, damit sie juristisch nicht angreifbar sind. Das hat sich für sie als sehr erfolgreich herausgestellt."

Und auch auf Spotify schlägt diese Taktik an. Denn bei Kritik an rechten Inhalten reagiere der Streaminganbieter mit dem Argument, dass diese nicht verboten sind "und sie deswegen auch nichts dagegen unternehmen können".

"Spotify drückt sich vor Verantwortung"

Dabei sei Spotify auf keinen Fall die Hände gebunden. "Sie könnten von einer Hausordnung Gebrauch machen und eine Art Blacklist erstellen, mit Musiker*innen, die sie bei sich auf keinen Fall haben wollen - egal, ob sie explizite NS-Verherrlichung betreiben oder nicht."

Doch vor genau dieser gesellschaftspolitischen Verantwortung drücke sich der Konzern, kritisiert der Rechtsrock-Experte und sieht hier einen ähnlichen Trend wie bei X, TikTok oder Meta, die mit dem Argument der freien Meinungsäußerung rechte Positionen förderten. Gleichzeitig spiele auch die wirtschaftliche Dimension eine Rolle: "Spotify ist ein gewinnorientiertes Unternehmen und kann offensichtlich auch mit rechter Musik noch genug Profit erwirtschaften."

Verletzende Inhalte? Sag es H.A.N.S.!

Im Kampf gegen rechtsextreme Musik auf Spotify sind also die Userinnen und User selbst gefragt. Wer Inhalte entdeckt, die gegen die Plattformregeln verstoßen, kann diese über ein Online-Formular melden. Das Problem: Der Vorgang ist unübersichtlich und langwierig. Außerdem gibt es immer wieder Berichte von Profilen, die temporär gesperrt werden, weil sie zu viel gemeldet haben.

Um die Prozedur zu vereinfachen, rief der Verein "Laut gegen Nazis" 2022 den Chatbot H.A.N.S. (Hateful Audio Notification Service) ins Leben. Per Whatsapp-Nachricht können Nutzerinnen und Nutzer problematische Songs melden, die dann an Spotify weitergeleitet werden.

Nach drei Monaten zog die Initiative eine erste - ernüchternde - Bilanz: Mehr als 5000 Meldungen gingen bei H.A.N.S. ein, "über 50,8 Prozent der gemeldeten Inhalte oder Künstler verbreiten faschistisches Gedankengut", hieß es in einer Pressemeldung. Doch der Bot registrierte nicht nur faschistische Texte. "24,1 Prozent der gemeldeten Inhalte waren homophob, 10,6 Prozent frauenfeindlich. 5 Prozent riefen zu körperlicher Gewalt auf. Jeweils 4,5 Prozent waren antisemitisch oder rassistisch." Userinnen und User meldeten im Schnitt fünf Lieder pro Tag über das Tool.

Und wie reagierte Spotify? "Praktisch gar nicht", kritisiert "Laut gegen Nazis". Nur rund vier Prozent der gemeldeten Inhalte seien entfernt worden. "Obwohl unsere User*innen Inhalte wie das verbotene Horst-Wessel-Lied gefunden und prominente Nazibands angezeigt haben, sind diese Inhalte weiter verfügbar. Playlisten wie 'Juden gehen gerne duschen' oder 'Heil Hitler!' sind weiterhin online und es gibt auch immer noch Coverbilder, die verfassungsfeindliche Symbole zeigen", berichtete Pressesprecher Jörg Menge. Immerhin habe sich Spotify in einer E-Mail für die Meldungen bedankt - "angekommen sind sie also".

Falsche Nazi-Band trollt rechte Szene

Wie leicht es der extremen Rechten gemacht wird, ihre Musik auf Streamingplattformen zu verbreiten, zeigte der Verein mit der vermeintlichen Neonazi-Band Hetzjaeger auf. Wochenlang feierte die Szene die Gruppe, die mit ihrem runenähnlichen Logo und dem Titel "Kameraden" sämtliche Klischees bediente.

Eine Hörprobe und ein 30-sekündiges Video des Songs waren mehrere Wochen auf verschiedenen Plattformen verfügbar. Innerhalb eines Monats kam Hetzjaeger mit dem Snippet auf mehr als 100.000 Views und Streams. Bei Spotify hat der Algorithmus die Hörprobe bereits nach wenigen Tagen "in den Mix der Woche und Playlists von Testaccounts gespült", verriet Menge. "Die Streaming-Riesen machen es rechten Bands also sehr leicht und geben ihnen eine Bühne. Schlimmer noch: Die Algorithmen verbreiten die Musik aktiv." Auch bei Telegram wurde das Video von zahlreichen Kanälen geteilt - bis der Rest des Songs veröffentlicht wurde.

Denn der vollständige Text machte klar, dass es sich in Wahrheit um ein antifaschistisches Projekt handelte. Hetzjaeger war eine erfundene Band, um die gefährlich einfache Verbreitung rechten Liedguts zu verdeutlichen. Stachelte der 30-Sekunden-Clip mit Zeilen, wie "wenn du begreifst, dass, Stück für Stück, dein Land sich und dich vor dem Feind ergibt ..." noch die Szene an, kam im zweiten Teil dann die Auflösung: "Denn wir sind nicht eure Kameraden. Und wir geben nicht nach. Wir kicken die Faschisten aus der Playlist raus. Es braucht nur einen Stoß. Mit aller Kraft. Gegen den Hass."

Musik als rechtes "Rekrutierungsmedium"?

Der Fall Hetzjaeger macht auch deutlich, für wen rechte Musik in erster Linie gedacht ist. Die häufig geäußerte Sorge, sie könnte eine Art "Einstiegsdroge" in die Szene sein, hält Rechtsrock-Experte Hindrichs für unbegründet. Wenn Menschen sich der extremen Rechten anschließen oder sich weiter radikalisieren, habe das in erster Linie mit dem sozialen Umfeld zu tun. Musik spiele eine eher untergeordnete Rolle. "Wenn jemand bei Spotify über einen Nazi-Song stolpert und den gut findet, würde ich unterstellen, dass bis zu diesem Punkt im sozialen Nahfeld schon sehr viel an Radikalisierung passiert sein muss." Rechte Musik spreche vor allem eine bereits rechte Zielgruppe an und sei eher kein "Rekrutierungsmedium".

Der einfache Zugang zu diesen Inhalten fördere jedoch den ohnehin voranschreitenden "Normalisierungsprozess von extrem rechten Einstellungen, den wir in allen möglichen Zusammenhängen beobachten können". Die extreme Rechte verfolge in Deutschland schon seit Jahrzehnten die Strategie, den Mainstream mitzubestimmen, indem sie bestimmte Themen und Schlüsselbegriffe in den mehrheitsgesellschaftlichen Diskurs einspeisen. "Denken Sie an das unsägliche Wort Remigration. Und so etwas können sie natürlich auch auf musikalischer Ebene erreichen."

Dieser Versuch, an den Mainstream anzudocken, spiegelt sich auch im immer breiteren Genre-Spektrum rechter Musik wider. Denn längst handelt es sich bei rechter nicht mehr nur um Rockmusik, sondern auch um Rap und seit einigen Jahren auch um Schlager. "Viele Acts sind aktuell in Richtung Ballermann-Schlager unterwegs. Das ist alles Teil der Strategie, anschlussfähig zu werden."

So wird es zwar immer schwerer, rechte Interpretinnen und Interpreten als solche zu erkennen. Doch wer sich unsicher ist, kann sich laut Hindrichs im Internet ganz leicht informieren. Das Internetportal Belltower News der Amadeu Antonio Stiftung führt eine Liste mit rechtsextremen Bands in Deutschland, außerdem vernetzt die Initiative "Kein Bock auf Nazis" mit ihrem Projekt "Protest Sounds" Bands untereinander, die sich gegen Rechts stark machen. In jedem Fall aber sei das Engagement jedes Einzelnen gefragt, denn auf Plattformen wie Spotify sei hier kein Verlass.

Quelle: ntv.de

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