Panorama

Aneignung von Popkultur Warum Rechtsextreme zu "L'amour toujours" grölen

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Ein Partylied wird mit nur einer Textzeile zu einem Skandal und zum Fall für die Ermittlungsbehörden. Was vor allem den Künstler Gigi D'Agostino ärgern könnte, ist nach Ansicht von Experten Teil einer gezielten Strategie und auch keineswegs auf Sylt beschränkt.

Seit Tagen wird über ein Video diskutiert, das offenkundig zu Pfingsten im Sylter Klub Pony entstand. Darin ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen rassistische Parolen grölen. Scheinbar ungeniert und ausgelassen singen sie "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!". Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören.

Das Lied, das die Melodie für die rassistischen Gesänge liefert, stammt vom italienischen DJ und Musikproduzenten Gigi D'Agostino. "L'amour toujours" erschien 1999 auf dem gleichnamigen Album und erreichte 2001 einige Chartplatzierungen. In dem Italo-Dance-Song geht es um ewige Liebe.

Der Sylter Vorfall ist nur der neueste in einer ganzen Reihe, alle in Verbindung mit Gigi D'Agostinos Song. "Ende des letzten Jahres gab es die ersten Vorfälle mit diesem Lied, das ab Oktober durchgesickert ist", sagt Schleswig-Holsteins Landesbeauftragter für politische Bildung, Christian Meyer-Heidemann, ntv.de. "Im Januar wurde dann in einer Diskothek in Pahlen in Schleswig-Holstein genau dieser fremdenfeindliche Text zu dem Lied skandiert. Auch aus anderen Bundesländern gab es entsprechende Meldungen, da ist mir bewusst geworden, dass dieser Song instrumentalisiert wird."

Kaperung der Popkultur

Seinen Ursprung hat die Verdrehung des Liebesliedes zu einer neurechten Hymne im 315-Einwohner-Dorf Bergholz in Mecklenburg-Vorpommern. Das "Katapult"-Magazin berichtete im Oktober 2023 über einen Vorfall auf einem Erntefest in dem Dorf. Demnach sangen beim "Tanz unter der Erntekrone" in der sogenannten Andreashalle mehrere Personen zum Technobeat des Songs "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!".

Seitdem gibt es immer wieder ähnliche Vorfälle, beispielsweise in einer Disco im osthessischen Kalbach oder auf einer Weihnachtsfeier im emsländischen Messingen, aber auch bei AfD-Veranstaltungen in Bayern. Der Staatsschutz ermittelt dazu in mehreren Bundesländern.

Bei der Verbreitung haben soziale Medien eine entscheidende Rolle gespielt, sagt Meyer-Heidemann. "Ein Stück, was schon über 20 Jahre alt ist und vom Text her auch gar keinen fremdenfeindlichen Inhalt hat, wird sozusagen instrumentalisiert." Der Clip aus Bergholz wurde auf Instagram geteilt, nach der Berichterstattung wurde der entsprechende Account gelöscht. Auf Tiktok tauchen seitdem immer wieder neue Schnipsel auf, die Clips werden häufig mit Nazi-Symbolen markiert. Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent nannte D'Agostinos Song bei ntv "ein popkulturelles Lied, zu dem ein rechtsextremes Cover-Lied besteht".

Das liegt auch daran, dass rechtsextreme Gruppen, aber auch Parteien, Inhalte in den sozialen Medien gezielt besetzen. "Es ist ein Phänomen, was Strukturen aufzeigt, wie von Rechtsextremen versucht wird, ihre Propaganda, zu verbreiten", sagt der Experte für politische Bildung, Meyer-Heidemann. Früher sei mit der Verteilung von Rechtsrock-CDs auf Schulhöfen versucht worden, "die Ideologie des Nationalsozialismus, von Nationalismus, von starker Männlichkeit, von Ausgrenzung und Diskriminierung zu transportieren". Inzwischen bediene sich die rechtsextreme Szene ganz gezielt auch der unverfänglichen Popkultur.

"Es wäre auch auf Sylt nur schwer vorstellbar, dass diese Gruppe Songs der Böhsen Onkelz oder anderen Rechtsrock gegrölt hätte", so Meyer-Heidemann. Dadurch, dass es vermeintlich anschlussfähige Popmusik ist, werde aber auch eine andere Zielgruppe ins Visier genommen. "Und wir sehen, dass das bei den jungen Menschen da offensichtlich auch verfangen hat, dass sie das teilweise auch recht unreflektiert übernommen haben."

Framing wird unterlaufen

Gigi D'Agostino äußerte sich inzwischen zu dieser Vereinnahmung seines Songs. "In meinem Lied ,L'amour toujours' geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet", teilte er am Wochenende mit. "Es ist die Kraft der Liebe, die mich hochleben lässt." Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.

Der Musikverlag ZYX, bei dem der Song und das dazugehörige Album "L'amour toujours" in Deutschland erschienen sind, kündigte gegenüber dem Hessischen Rundfunk an, dass man juristisch gegen den Missbrauch vorgehen werde. Für rassistische Parolen sei der Song nicht gedacht. Das Label aus dem hessischen Merenberg erstattete demnach bei der Staatsanwaltschaft Limburg Strafanzeige gegen unbekannt wegen Volksverhetzung und möglicher Urheberrechtsverletzungen.

Inzwischen gibt es verschiedene Versuche, immer wieder neue Videos mit den rassistischen Gesängen zu verhindern. Auf dem diesjährigen Oktoberfest soll "L'amour toujours" vorsichtshalber gar nicht erst gespielt werden. "Wir wollen es verbieten und ich werde es verbieten", sagte Oktoberfest-Chef Clemens Baumgärtner. "Auf der Wiesn ist für den ganzen rechten Scheißdreck kein Platz."

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Gleichzeitig hat in den sozialen Medien die Rückeroberung des Songs begonnen. Auf Tiktok tauchen immer mehr Clips auf, auf denen Menschen zu sehen sind, die zu D'Agostinos Musik tanzen. Auch sie singen nicht den Originaltext, an den entscheidenden Stellen ist aber deutlich zu hören: "Nazis raus, Nazis raus, Deutschland ist multi, alle Nazis raus."

Für Meyer-Heidemann ist das neben der Debatte um den Sylter Vorfall auch eine ermutigende Antwort. "Wer jetzt dieses Lied als Ohrwurm hat und dann immer denkt, jetzt läuft dieser Text still mit, sieht, dass es ein anderes Framing und eben auch eine Gegenbewegung gibt. Das macht Hoffnung."

Quelle: ntv.de

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