Konfliktthema Flüchtlinge Abgeordnete erhalten weniger Motz-Mails
19.04.2016, 11:36 Uhr
In der Flüchtlingskrise erhielten vor allem Politiker von Union und SPD viele wütende Mails von Menschen, die mit der Einwanderungspolitik der Regierung unzufrieden sind.
(Foto: imago/Christian Mang)
Monate lang hat die Flüchtlingspolitik die politischen Debatten in Deutschland dominiert. Seit März verliert das Thema an Bedeutung. Auch die Zahl der wütenden Mails an Politiker ist stark rückläufig.
Der Ton ist knackig, die Richtung klar: "Hallo, sind nicht schon genug Wirtschaftsflüchtlinge da? Der Islam wird in Deutschland Einzug halten und ihr, genau ihr, vor allem dieser ROTE Sumpf sorgt dafür, dass Heimat und Kultur zerstört werden", schreibt der Verfasser der Mail an den SPD-Innenexperten Burkhard Lischka. In einer anderen heißt es: "Geben Sie alle Ihre Mandate zurück, denn Sie handeln vorsätzlich."
Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer erhalten deutsche Politiker bis heute täglich solche Mails. Die Tonart reicht von wütend-beleidigend bis sachlich. Doch seit einigen Wochen landen immer weniger Nachrichten zum Thema Flüchtlinge in den Postfächern. Das bestätigten verschiedene Politiker übereinstimmend im Gespräch mit n-tv.de.
"Es kommen immer noch hetzerische Mails, aber es sind deutlich weniger als noch vor ein paar Monaten", bestätigt Lischkas Büroleiter Nicolas Geiger n-tv.de. Zwar gebe es immer noch täglich Zuschriften, aber bei weitem nicht mehr so viele wie noch vor einigen Monaten. Je nach Tagesaktualität steige der Zulauf jedoch auch kurz wieder an – so wie vor einigen Tagen. Lischka hatte erklärt, dass jeder, der bei der islamfeindlichen Bewegung Pegida mitmache, sich gefallen lassen müsse, als Rassist bezeichnet zu werden. In den folgenden Tagen gab es spürbar mehr Post für das Bundestagsbüro des SPD-Abgeordneten.
Dennoch ist der Trend eindeutig sinkend. Auch die übrigen Parteien bestätigen, dass sie inzwischen weit weniger Mails zum Thema Flüchtlinge erreichen. In Hoch-Zeiten seien es am Tag zwischen 50 und 100 gewesen, jetzt weniger als zehn, sagt der CDU-Abgeordnete Franz-Josef Jung. Seit März, als die Balkanroute geschlossen und das Türkei-Abkommen ausverhandelt worden ist, sei die Menge der Zuschriften erheblich gesunken. Von Politiker von den Grünen und Linken hört man ähnliches.
"Thema nicht verschwunden"
Inzwischen, das erklärt die Mitarbeiterin eines Parlamentariers, seien es nur noch die "üblichen Verdächtigen", die sich noch über das Thema Flüchtlinge ausließen. Die Mails zum Thema Flüchtlinge gehen meist ohnehin nicht nur an einzelne Politiker. Häufig schreiben die Verfasser an einen Verteiler, der aus mehr als 20 Abgeordneten besteht. Viele Mails, die Lischka in den vergangenen Monaten erhalten hat, gingen unter anderem auch an SPD-Chef Sigmar Gabriel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzleramtschef Peter Altmaier. Umso größer die Reichweite der Wut-Nachrichten desto besser, so das Kalkül der Verfasser. Mehrere Büros haben Filter eingerichtet, mit denen sie die Spam-Mails direkt in den Papierkorb weiterleiten.
Noch im Herbst passierten täglich Tausende Flüchtlinge die deutsche Grenze, inzwischen sind viele Flüchtlingsunterkünfte nur noch halb gefüllt. Das sorgt dafür, dass erstmals seit dem Sommer wieder andere Themen populärer sind als die Flüchtlingspolitik. Nach Auskunft verschiedener Abgeordneter sind das zurzeit vor allem die Themen Böhmermann/Erdogan und Islam/AfD. Die Flüchtlingspolitik ist immer noch präsent, häufig aber nur noch am Rande.
Auch der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster erhielt in den vergangenen Wochen weniger Mails, Anrufe und Nachrichten zum Thema Einwanderungswelle. "Es hat nachgelassen", sagt Schuster n-tv.de. Neben der EZB-Zinspolitik und Griechenland sei es jedoch immer noch ein Topthema. Schuster tut sich schwer, dem Thema Flüchtlinge eine sinkende Bedeutung zu bescheinigen. "Nur weil nicht mehr so viele schreiben, ist das Thema nicht verschwunden. An der Menge der Mails sollte man nicht die Bedeutung korrelieren." Menschen, die ein oder zweimal geschrieben hätten, würden es eben meist nicht noch ein drittes oder viertes Mal tun.
Der Büroleiter eines CSU-Abgeordneten bestätigt dies. Wer sich mehrfach beschwert, ohne dass sich etwas ändert, meldet sich daraufhin meist nicht noch ein weiteres Mal. Es sei ähnlich wie in den Unions-Fraktionssitzungen. Die Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik hätten sich im Herbst mehrfach zu Wort gemeldet, ihre Haltung im Frühjahr aber nicht noch ein fünftes oder sechstes Mal erklären müssen. Ihre Meinung sei in der Fraktion schließlich hinlänglich bekannt.
Quelle: ntv.de