Politik

Krisen-PR für die Zielgruppe "Aiwanger orientiert sich am Populismusmeister Trump"

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Hubert Aiwanger ist Chef der Freien Wähler in Bayern.

Hubert Aiwanger ist Chef der Freien Wähler in Bayern.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Bis in die Wortwahl hinein orientiere sich Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger am ehemaligen US-Präsidenten Trump, sagt Kommunikationsexperte Tilman Billing im Interview mit ntv.de. "Beide sprechen von einer 'Hexenjagd' gegen sie. Bei den eigenen Anhängern haben beide damit großen Erfolg, sie können sogar ihre Beliebtheit steigern." Beim Rest des Publikums, "auch bei Konservativen, die Antisemitismus ablehnen", werde dieses Vorgehen eher negativ wirken.

ntv.de: Was würden Sie einem Menschen raten, der ein hohes politisches Amt anstrebt, der aber auch weiß, dass er sich in seiner Jugend Verfehlungen geleistet hat?

Tilman Billing: In den USA ist das Standard: Wer für ein Amt kandidiert, wird vorher gründlich gecheckt. In Deutschland ist das anders. Das hat Annalena Baerbock bewiesen, mit haarsträubenden "Fehlern" in ihrem Lebenslauf. Die gleiche Blauäugigkeit bei Aiwanger: Er wusste seit mehr als dreißig Jahren, dass da was ist, er hat sogar wohl 2008 durch eine Parteifreundin nachfragen lassen. Auch in der CSU war das bekannt. Wenn man das so lange weiß, muss man eine überzeugende Kommunikationsstrategie parat haben, wenn es rauskommt. Das hat bei Aiwanger total gefehlt, und das ist überraschend unprofessionell.

Tilman Billing

ist Experte für Krisenkommunikation und Medientrainer. Er coacht neben Spitzen-Politikern vor allem Vorstände, Geschäftsführer und Unternehmer für Auftritte vor Investoren, in TV-Sendungen und auf Business-Events. Er ist Gründer der Rhetorik- und Kommunikationsplattform Stagerockers.

Was ist bei Aiwanger schiefgelaufen?

Da muss man unterscheiden: Ist seine eigene Zielgruppe gemeint oder der Rest der Öffentlichkeit? Die Jugendsünde ist definitiv nicht das Problem, das Problem ist sein Umgang mit den Vorwürfen: Er gibt nur zu, was wirklich bewiesen ist, und beim Rest verfährt er nach dem Motto: mauern, vertuschen und auf Erinnerungslücken verweisen. Nun kann man viele Details aus der Jugendzeit vergessen. Aber vergisst man wirklich, dass man den Hitlergruß vor seiner Klasse gezeigt oder ein Hakenkreuz in die Jungentoilette geschmiert hat? Das erscheint mir doch recht unwahrscheinlich. Besonders problematisch ist, dass er zunächst jegliche Kommunikation verweigert und keine Reue zeigt. Wenn einem erst nach einer Woche einfällt, dass man sein Verhalten vor über dreißig Jahren bedauert, ist das unglaubwürdig, das offenbart ein kalkuliertes, taktisches Verhalten. Völlig entwertet wird sein Bedauern durch die Täter-Opfer-Umkehr.

Ihrer Ansicht nach war es von Aiwanger nicht klug, sich als Opfer darzustellen?

Das hängt wiederum von der Zielgruppe ab. Aiwanger orientiert sich am Populismusmeister Donald Trump, sogar bis in die Wortwahl hinein: Beide sprechen von einer "Hexenjagd" gegen sie. Bei den eigenen Anhängern haben beide damit großen Erfolg, sie können sogar ihre Beliebtheit steigern. Bei seinen Stammwählern in Bayern und beim rechtskonservativen Publikum wird Aiwanger Pluspunkte sammeln, bei neutralen Bürgern in ganz Deutschland, auch bei Konservativen, die Antisemitismus ablehnen, wird es eher negativ wirken.

Am Montagvormittag haben sich weder Söder noch Aiwanger auf der traditionellen Redeschlacht auf dem bayerischen Gillamoos-Volksfest zu der Angelegenheit geäußert. Eine kluge Entscheidung?

Sie haben sich vermutlich darauf verständigt, einen Schlussstrich zu ziehen und Gras darüber wachsen zu lassen. Söder hat sich damit an Aiwanger gekettet, ohne Not übrigens. Jetzt beten sie zum bayerischen Herrgott, dass keine stichfesten Beweise mehr auftauchen. Seine Anhänger werden sicherlich felsenfest an Aiwanger festhalten, weil da - vorsichtig gesagt - vermutlich eine eher geringe Sensibilität gegenüber Antisemitismus vorherrscht. Aber für Söder ist die Kommunikation, die er jetzt betreibt, sehr gefährlich. Denn wenn es Beweise geben sollte, kann Aiwanger Söder mit in den bundespolitischen Abgrund reißen. In Bayern wird man Söder das durchgehen lassen - da hat man sich an die machttaktische Sprunghaftigkeit Söders gewöhnt. Aber in Norddeutschland, in NRW und besonders im Ausland ist der Reputationsschaden für Bayern hoch. Das ist geschäftsschädigend für Münchner Konzerne wie Siemens und BMW, und schlecht für die gesamtdeutsche Akzeptanz eines möglichen Kanzlerkandidaten aus Bayern. Söders Konkurrenten Friedrich Merz und Hendrik Wüst wird's freuen.

Wie sollte sich Aiwanger jetzt verhalten?

Er hat eine Richtung eingeschlagen, die er kaum noch glaubwürdig revidieren kann - er verweigert Aufklärung und ist an keiner aufrichtigen Reue interessiert. Seine Unnachgiebigkeit gibt ihm scheinbar recht. Das geht so lange gut, bis Journalisten in seiner Vergangenheit antisemitische Beweise finden, die nicht mehr zu leugnen sind.

Wäre Aiwanger ein Fall für Sie als Krisen-PR-Experte?

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Es wirkt so, dass er sich sehr wahrscheinlich zu Beginn nur von Juristen beraten lassen hat und auf einen Kommunikationsprofi verzichtete. Er hat am Anfang die Kommunikation verweigert und nur Dinge zugegeben, die bewiesen waren. Beim Rest hat er sich auf Erinnerungslücken berufen, eine rein juristische Strategie. Damit glauben einem die Anhänger, die anderen aber nicht. Das ist Aiwanger aber egal, da er nur im konservativ-rechten Wählerreservoir fischen will. Der Rest interessiert ihn nicht. Eine Woche später hat ihm dann vermutlich ein PR-Profi geraten, endlich sein Bedauern auszudrücken. Das war absolut richtig, kam aber eine Woche zu spät. Zugleich stilisiert er sich wieder als Opfer einer Kampagne gegen ihn, um sein Profil als populistischer Volkstribun zu wahren.

Mit Tilman Billing sprach Marko Schlichting

Quelle: ntv.de

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