
"Am Ende kommt es dann doch auf den Ministerpräsidenten an", sagte Söder in seiner Rede auf dem Gillamoos.
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Sowohl der Ministerpräsident als auch sein Stellvertreter machen auf dem Volksfest Gillamoos nur Andeutungen zu den Flugblatt-Vorwürfen, getreu Söders Maßgabe vom Sonntag, "die Sache" sei abgeschlossen. Lange halten wird der Schlussstrich nicht, zu viele Fragen sind offen.
Die bayerische Koalition aus CSU und Freien Wählern ist nach der Affäre um den Umgang mit einem antisemitischen Hetzblatt aus den 1980er Jahren wieder zum Normalbetrieb übergegangen, zumindest vorläufig. Bei Auftritten auf dem Volksfest Gillamoos in Niederbayern demonstrierten sowohl Ministerpräsident Markus Söder als auch sein Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, dass der Fall für sie abgeschlossen ist.
Genau das hatte Söder am Sonntag so verkündet: Die Koalition sei "durch die Berichterstattung um die Freien und Hubert Aiwanger natürlich belastet" worden. Er bedaure "diese Angelegenheit". Mit seiner Entscheidung, Aiwanger im Amt zu belassen, sei "die Sache aber aus meiner Sicht abgeschlossen".
Bei seinem Auftritt auf dem "politischen Gillamoos", wie die Bierzeltreden bei dem Volksfest im niederbayerischen Abensberg heißen, hielt Aiwanger eine seiner üblichen Wahlkampfreden - am 8. Oktober ist Landtagswahl in Bayern. Er sprach über Geschlechtsumwandlungen und Indianerkostüme, über die Cannabis-Freigabe und das Heizungsgesetz, bevor er seinen Vortrag in eine geradezu apokalyptische Beschreibung der Gegenwart lenkte. Deutschland beschrieb er als verfallenes Land, das "rückabgewickelt" werde und das die Leistungsträger in Scharen verlassen würden. Es sei "nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, diese Fehlentwicklungen ganz deutlich zu benennen", so Aiwanger, denn die Freien Wähler müssten verhindern, dass die Wähler "komische Parteien" wählten.
Anspielungen nur am Schluss
Lediglich den Schluss seiner Rede konnte man als Anspielung auf die Flugblattaffäre verstehen: "Wir wollen als Freie Wähler eine Gesellschaft, wo der gesunde Menschenverstand die Zukunft dominiert und nicht die Ideologie die Zukunft kaputtmacht", sagte Aiwanger. "Und drum gehen wir diesen Weg, drum unterziehen wir uns diesem Spießrutenlauf." Am Sonntag hatte der Freie-Wähler-Chef bei einem Wahlkampfauftritt im oberbayerischen Grasbrunn die Vorwürfe gegen ihn noch zum wiederholten Mal als Kampagne dargestellt. "Die Freien Wähler sollten geschwächt werden", rief er seinen Anhängern zu. Seine Gegner seien mit ihrer "Schmutzkampagne gescheitert".
Auch Söder selbst hielt auf dem Gillamoos eine Rede, die den eigenen Schlussstrich-Vorgaben folgte. Und auch er machte erst am Schluss seines rund einstündigen Auftritts eine zarte Anspielung. Am Ende, "man hat's auch gestern wieder gemerkt", komme es "dann doch auf den Ministerpräsidenten an", sagte er. Einer müsse in dem "ganzen Durcheinander, das sich ergibt", eine Entscheidung treffen. Mehr ist für Söder von "dieser Angelegenheit" offenbar nicht geblieben, ein "Durcheinander".
Bei dieser Entscheidung war Söder nach dem Prinzip vorgegangen: im Zweifel für den Angeklagten. Weiterhin ist nicht sicher, ob Aiwanger die Wahrheit sagt, wenn er erklärt, das antisemitische Flugblatt nicht verfasst zu haben. Denn das ist der Kern der Causa Aiwanger: nicht die Vorfälle aus Aiwangers Jugendzeit, sondern sein heutiger Umgang damit.
Viele offene Fragen
Als Söder seinem Vize am vergangenen Dienstag die 25 Fragen als Strafarbeit aufgab, sagte er, es gebe weiterhin viele offene Fragen, die von Aiwanger noch aufgeklärt werden müssten. Diesen Anspruch hat Aiwanger nicht erfüllt, auch nach Söders Auffassung nicht: Der Ministerpräsident sagte am Sonntag, die Antworten seien "nicht alle befriedigend" gewesen. Zugleich verwies er auf Aiwangers Entschuldigung sowie seine "Reue" und betonte, in der Gesamtabwägung wäre eine Entlassung nicht verhältnismäßig. "Wer ernsthaft bereut, der kann auch leichter auf Verzeihung hoffen."
Das ist allerdings eine der offenen Fragen: Bereut Aiwanger ernsthaft? Bis Sonntag schien es eher, dass er die Vorwürfe nutzt, um sich politische Vorteile zu verschaffen. Beispielsweise, als er der "Welt" sagte, in seinen Augen werde "hier die Shoa zu parteipolitischen Zwecken missbraucht". Und vor allem: Was bereut er eigentlich? Wofür hat Aiwanger sich überhaupt entschuldigt? Für ein Flugblatt, das sein Bruder verfasst hat? Seine Antworten auf Söders 25 Fragen helfen hier in keiner Weise weiter.
CDU-Chef Friedrich Merz, der am Montag als Gast vor Söder sprach, sagte dem Publikum gleich zweimal, "nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland". Mit Blick auf den Fall Aiwanger gab Merz den Medien den Tipp, ein breites Meinungsspektrum zum Ausdruck zu bringen. Dem CSU-Vorsitzenden bescheinigte er, seine Aufgabe "bravourös gelöst" zu haben, obwohl das "verdammt schwierig" gewesen sei. Mehr sagte auch Merz nicht dazu. Vorbei ist die Sache allerdings nicht, Schlussstrich hin oder her. Bereits an diesem Donnerstag findet im bayerischen Landtag eine Sondersitzung zum Thema statt.
Quelle: ntv.de