Politik

Sägen Linke die Fraktionschefin ab? Aufstand gegen Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht ist seit Oktober 2015 Fraktionschefin der Linken, wie lange wird sie es noch bleiben?

Sahra Wagenknecht ist seit Oktober 2015 Fraktionschefin der Linken, wie lange wird sie es noch bleiben?

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach den Anschlägen in Ansbach erklärt Sahra Wagenknecht das "Wir schaffen das" der Kanzlerin für gescheitert. In der Linkspartei tobt daraufhin ein Sturm der Entrüstung gegen die wenig linken Einlassungen der Fraktionschefin.

Sahra Wagenknecht muss es irgendwie bemerkt haben. "Meine gestrige Stellungnahme zum Selbstmordattentat in Ansbach hat, wie die Kommentare zeigen, offenbar zu Missverständnissen geführt", schreibt Wagenknecht bei Facebook. Sie wolle ihre Äußerungen deshalb richtigstellen. Die Linken-Fraktionschefin ist um Schadensbegrenzung bemüht, doch dafür war es am Dienstagmittag schon zu spät. In der Linkspartei wächst der Unmut über die Chefin der eigenen Bundestagsfraktion. Die populäre wie streitbare Frontfrau steht einmal mehr heftig unter Beschuss.

Auslöser ist dieses Statement vom Montag: "Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges 'Wir schaffen das' uns im letzten Herbst einreden wollte", so hatte sich Wagenknecht erklärt. "Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt."

Sprach hier wirklich eine Linke? Den Reaktionen zufolge haben sich das auch viele Abgeordnete der Partei gefragt. So etwa Jan van Aken. Aus seinem Urlaub forderte der 55-Jährige, bei der Bundestagswahl 2013 einer der Spitzenkandidaten der Partei, den Rücktritt Wagenknechts. "Sie sollte zurücktreten", da sie in zentralen Fragen das Gegenteil der Parteiposition vertrete, forderte er im Interview mit n-tv.de. Wagenknecht stelle Flüchtlinge unter Generalverdacht. "Es ist immer linke Position der gesamten Partei gewesen, mit Ausnahme von Sahra Wagenknecht offenbar, dass Menschen das Recht haben, vor Krieg, Gewalt und Not zu fliehen." Auch der Ruf nach mehr Überwachung von Flüchtlingen sei keine linke Position.

"Ich glaube, dass Sahra Wagenknecht manchmal einen eher nationalistischen Blick auf Dinge hat, als es der Rest der Linken hat", sagt van Aken und fordert Konsequenzen. Angesichts der Reaktionen würde es ihn wundern, wenn Wagenknecht nicht selbst ihren Rückzug verkünden werde. Ihr Rückhalt sei "sehr sehr gering". Kritik kam auch von Ulla Jelpke. "Wer die Gewalttaten mit der Flüchtlingspolitik in Zusammenhang bringt, bedient rechte Forderungen und Positionen", sagte die Linken-Innenexpertin n-tv.de. "Darüber habe ich mich sehr geärgert." Wagenknecht müsse sich nun erklären. Der Rücktrittsforderung will sie sich nicht anschließen. "Gregor Gysi hat auch oft Positionen zu Themen wie Krieg und Frieden gehabt, bei denen er nicht unsere Programmatik vertreten hat", so Jelpke. Bei der nächsten Fraktionsklausur in vier Wochen dürfte das Thema auf jedem Fall zur Sprache kommen.

"Ich will sowas nicht lesen müssen"

Die Diskussion hat aber längst auf die ganze Partei übergegriffen. Auch andere Linken-Politiker stellen sich gegen Wagenknecht. "Das sind also die Linken in der @dieLinke?!? Ich will sowas nicht lesen müssen!!!", twitterte der Rostocker Senator Steffen Bockhahn. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich veröffentlichte eine Textpassage aus dem Parteiprogramm. "Schutzsuchende dürfen nicht abgewiesen werden." Kollegin Martina Renner schrieb: "Bisher war politische Instrumentalisierung und einseitige Adressierung bei schrecklichen Anschlägen und Verbrechen der Rechten vorbehalten." Fraktionsvize Jan Korte twitterte: "Die Aufnahme Hunderttausender war und bleibt richtig." Auch die stellvertretenden Linken-Chefs Tobias Pflüger und Janine Wissler, die beide zum linken Flügel der Partei zählen, rückten von Wagenknecht ab.

Die Reaktionen fallen auch deshalb so heftig aus, weil es ist nicht der erste Streit um sie ist. Im Oktober 2015 war Wagenknecht gemeinsam mit Dietmar Bartsch Nachfolgerin von Fraktionschef Gregor Gysi geworden. Seitdem ist der Ärger über die Parteilinke stetig gestiegen. Im Dezember forderte Wagenknecht Flüchtlingskontingente. Der Parteivorstand distanzierte sich anschließend davon. "Asyl ist ein Grundrecht und darf weder durch Obergrenzen noch durch Kontingente eingeschränkt werden", hieß es in einer Erklärung. Nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht legte Wagenknecht nach. "Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt", sagte sie. Wieder knirschte es in der Partei, bis auf eine Handvoll Abgeordnete stellte sich die ganze Fraktion gegen ihre Vorsitzende. Und nun hat es schon erneut gekracht. Wieder veröffentlichten die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger eine Erklärung, in der Wagenknecht zwar nicht namentlich genannt wurde, die aber darauf abzielte, gerade zu rücken, was sie angerichtet hatte.

"Kommen Sie zur AfD"

Halb entschuldigend, halb verteidigend meldete sich die geprügelte Fraktionschefin am Dienstag noch einmal bei Facebook zu Wort. "Es ging mir weder darum, die Aufnahme von Flüchtlingen zu kritisieren noch alle in Deutschland lebenden Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Das habe ich weder gesagt noch gemeint", erklärte Wagenknecht. Es sei ihr lediglich darum gegangen, deutlich zu machen, "dass die Integration einer derart großen Zahl von Menschen eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre ist".

Der Streit trifft die Linken zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der pragmatische Teil der Partei macht sich zurzeit Hoffnungen auf ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Wagenknecht gilt bei Sozialdemokraten und Grünen jedoch als schwer vermittelbar. Die Debatte um die Fraktionschefin könnte die Partei monatelang lähmen, dabei können die Linken einen neuen Machtkampf nicht gebrauchen. Im Kampf um die Gunst der Wähler dürfte der Eindruck, dass die Partei gespalten ist, nicht hilfreich sein. Bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern fürchten die Linken, ähnliche Verluste zu erleiden wie im März in Sachsen-Anhalt.

Apropos Sachsen Anhalt. Von dort meldete sich AfD-Fraktionschef und Vorstandsmitglied André Poggenburg. "Ganz richtig! Schuld hat maßgeblich die verfehlte deutsche Flüchtlingspolitik. Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD", twitterte der süffisant. Es ist nicht das erste Mal, dass ein AfD-Politiker Wagenknecht applaudiert. Für einen Linken-Politiker dürfte es kaum Schlimmeres geben.

Quelle: ntv.de

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