Politik

Autonomes Paradies in der Ostsee Bringen die Aland-Inseln die NATO in Gefahr?

Die Aland-Inseln liegen am Eingang des Bottnischen Meerbusens, zwischen Schweden und Finnland

Die Aland-Inseln liegen am Eingang des Bottnischen Meerbusens, zwischen Schweden und Finnland

(Foto: IMAGO/blickwinkel)

Seit mehr als 100 Jahren ist Aland eine militärisch neutrale Inselgruppe in der Ostsee. Durch Finnlands NATO-Beitritt gewinnt der weitgehend autonome Archipel an Bedeutung. Denn die Inselgruppe könnte zur "Achillesferse" für das Verteidigungsbündnis werden.

Seit Anfang April ist Finnland NATO-Mitglied. Und damit auch eine Inselgruppe, die seit fast 200 Jahren militärisch eigentlich neutral ist: Aland, heißt der aus mehr als 6700 Inseln und Schären bestehende Archipel in der Ostsee. Ein skandinavisches Paradies, wie man es sich schöner kaum vorstellen kann. Gelegen zwischen Schweden und Finnland. 130 Kilometer nordöstlich von Stockholm, 250 Kilometer westlich von Helsinki.

Schweden liegt der Inselgruppe geografisch näher, politisch gehört Aland aber zu Finnland. Und damit seit wenigen Wochen auch zum Einzugsgebiet der NATO. Genau das macht die Inseln von einem unbekannten Paradies in der Ostsee zu einem wichtigen Schauplatz militärstrategischer Überlegungen. Der ehemalige finnische Präsidentenberater Alpo Rusi bezeichnete Aland bereits voriges Jahr als "Achillesferse der finnischen Verteidigung".

Ursächlich dafür sind Lage und Geschichte Alands. "Traditionell wurden die Inseln im Laufe der Jahrhunderte als einer der wichtigsten Kontrollpunkte in der Ostsee angesehen", erklärt Charly Salonius-Pasternak, leitender Forscher am Finnischen Institut für Internationale Beziehungen in Helsinki, im "Wieder was gelernt"-Podcast von ntv. "Wenn man diesen Ort kontrolliert, hat man eine bessere militärische Ausgangslage. Aber natürlich galt das über die vergangenen Jahrhunderte hinweg auch für Handelsrouten."

Inselgruppe ist seit 100 Jahren autonom

Nicht nur geografisch, auch kulturell und sprachlich sind die Aland-Inseln ihren schwedischen Nachbarn am nächsten. Nur politisch ist die Situation eine andere: Faktisch verwaltet sich die Inselgruppe selbst, sie hat eine eigene Regierung, eine eigene Flagge, eine eigene Internetdomäne. Auf dem Papier gehört sie aber zu Finnland.

Die Wurzeln der aländischen Autonomie liegen gut 200 Jahre zurück. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde Finnland von Russland erobert. Damit gingen auch die Aland-Inseln in den Herrschaftsbereich des damaligen Zarenreichs über.

Die russische Herrschaft war aber nicht von langer Dauer. Mitte des 19. Jahrhunderts landeten französische Truppen im Zuge des Krimkrieges auf Aland. Die Franzosen waren Verbündete des Osmanischen Reichs, die gegen Russland um die Krim kämpften. Der Krieg weitete sich auf den Ostseeraum aus.

1856 wurden die Aland-Inseln im Friedensvertrag von Paris schließlich zur demilitarisierten Zone erklärt. Seitdem müssen sie neutral bleiben und dürfen nicht für kriegerische Zwecke genutzt werden.

Das klappte ein halbes Jahrhundert lang. Bis die Russen im Ersten Weltkrieg wieder Truppen nach Aland schickten. 1917 erklärte Finnland seine Unabhängigkeit vom großen Nachbarn. Aland wurde in der Folge zum Zankapfel zwischen Finnland und Schweden: Die fast ausschließlich schwedische Bevölkerung der Inselgruppe wollte sich lieber Stockholm anschließen.

Der Völkerbund vermittelte daraufhin 1921 einen Kompromiss. Aland wurde politisch Finnland zugeteilt, ohne aber die schwedische Sprache und Kultur auf Aland anzutasten. Deshalb wurden der Inselgruppe weitreichende Souveränitätsrechte zugesprochen. Außerdem wurde zum zweiten Mal die militärische Neutralität Alands besiegelt.

Dieser Sonderstatus hält bis heute an. Die Ostseeanrainerländer haben sich damit hundert Jahre lang arrangiert und sich an die Regeln gehalten. Doch seit Russlands Einmarsch in die Ukraine ist die Welt eine andere. Es gibt Befürchtungen, dass Aland im Fall eines Konflikts mit Russland zu einem leichten Ziel werden könnte.

NATO-Verteidigung "kompliziert, aber nicht unmöglich"

Aland ist schwedisch geprägt, gehört politisch aber zu Finnland.

Aland ist schwedisch geprägt, gehört politisch aber zu Finnland.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

So kritisch sieht Charly Salonius-Pasternak die Lage nicht. Er gibt aber zu, dass eine Verteidigung von Aland - nach jetzigem Stand - "schwieriger wäre und tödlicher verlaufen würde, als sie sein müsste". Es gibt keine militärische Infrastruktur auf Aland, keine stationierten Soldaten, keine Waffendepots. "Es ist natürlich eine große Herausforderung, wenn die NATO nicht tun kann, was normalerweise zur Verteidigung des eigenen Territoriums gehört. Wird es dadurch aber unmöglich, das Gebiet zu verteidigen? Nein, natürlich nicht."

Finnland und Schweden hätten in den vergangenen Jahrzehnten detaillierte Pläne für die hypothetische Verteidigung der Inseln ausgearbeitet, sagt der Verteidigungsexperte im Podcast. Theoretisch könnte die finnische Regierung trotz Alands neutralem Status die Militarisierung der Inseln beschließen. Der finnische Grenzschutz, der auch auf Aland aktiv ist, könnte im Kriegsfall gemäß finnischer Verfassung unkompliziert dem Verteidigungsministerium unterstellt werden. Salonius-Pasternak berichtet außerdem von einer informellen Reservistengruppe auf Aland. Etwa 2000 Insulaner hätten im Laufe der Jahre freiwillig Wehrdienst in der finnischen Armee geleistet, sie könnten relativ schnell zu einer regulären Militäreinheit aufgebaut werden.

Viele Aländer fordern, dass das russische Konsulat auf der Insel geschlossen wird.

Viele Aländer fordern, dass das russische Konsulat auf der Insel geschlossen wird.

(Foto: picture alliance/dpa/Lehtikuva)

"Es gäbe mehrere Schritte, die schon vor einem Krieg unternommen werden müssten, um die Verteidigung Alands zu stärken. Aber es geht immer um die Frage, wann man seine Karten auf den Tisch legen möchte, denn eine Militarisierung Alands würde wahrscheinlich Konsequenzen haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass weder die Sowjetunion noch Russland jemals der Neutralisierung der Aland-Inseln zugestimmt haben", sagt Salonius-Pasternak.

Die strategischen Gründe dafür liegen auf der Hand: Russland profitiert davon, dass Finnland, Aland selbst oder jetzt das NATO-Bündnis die Insel nicht militarisieren. Gleichzeitig würde Moskau im Kriegsfall aber natürlich trotzdem versuchen, Aland einzunehmen.

Russisches Konsulat auf Aland? "Natürlich absurd"

Genau deshalb steht der Sonderstatus der Inselgruppe mehr denn je auf dem Prüfstand. Vor einem Jahr waren 58 Prozent der Finnen in einer Umfrage für eine Militärpräsenz. Auf Aland selbst werden solche Überlegungen traditionell kritischer gesehen. Regierungschefin Veronica Thornroos sagte der AFP im letzten Jahr, das entmilitarisierte Aland sei ein "stabilisierender Faktor im Ostseeraum".

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Doch mittlerweile hat sich das Stimmungsbild gedreht. Auch, weil Russland in der Inselhauptstadt Mariehamn noch immer noch ein Konsulat unterhält. Der winzige russische Außenposten ist zu einem großen Thema geworden. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine machen Inselbewohner vor dem umstrittenen Gebäude immer wieder mit Protesten und Plakaten ihrem Ärger Luft. "Das Konsulat könnte schnell und einfach von Finnland geschlossen werden. Die russische Präsenz auf Aland dient offiziell dazu, das Entmilitarisierungsabkommen zu überwachen, was, offen gesagt, natürlich absurd ist", sagt Salonius-Pasternak im "Wieder was gelernt"-Podcast.

In Zeiten des Kalten Krieges sei das Konsulat ein wunderbarer Ort für Spionage gewesen, aber mittlerweile werde die Bedeutung überschätzt. Derzeit wohnen ohnehin nur noch der russische Konsul und seine Frau in dem Haus. Finnland befürchtet, dass Russland im Falle einer Schließung unverhältnismäßig reagieren könnte. Helsinki will nicht riskieren, dass zum Beispiel finnische Diplomaten aus Sankt Petersburg verwiesen werden.

Und ganz generell gebe es deutlich größere Schwachpunkte auf NATO-Gebiet als Aland, ist Salonius-Pasternak überzeugt. Und wenn bald auch Schweden der NATO beitritt, würde das die Sicherheit Alands noch einmal deutlich erhöhen, ist der finnische Verteidigungsexperte überzeugt.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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