Partei lockt und droht UnionDarum gibt die SPD im Rentenstreit nicht nach

Die Union streitet über ihre Zustimmung zum Rentenpaket, das Regierungsbündnis mit der SPD bekommt seine nächste Risse. Die Situation wäre weniger gefährlich, sähen sich die Sozialdemokraten zu Zugeständnissen in der Lage. Stattdessen greift der kleine Koalitionspartner zu Drohungen.
Die Wucht des Unions-internen Streits über die Rente schlägt Wellen bis nach China. SPD-Chef Lars Klingbeil musste sich Fragen zum Gefährdungsstatus der schwarz-roten Regierungskoalition anhören, während er als Bundesfinanzminister als erster Vertreter der neuen Bundesregierung in Peking weilte. Sehr unschön, aber gar nicht so ungewöhnlich in dem stets etwas unglücklich agierenden Bündnis. Und so gab sich Klingbeil demonstrativ gelassen: "Was das Thema Rente angeht, haben wir klare Verabredungen: Dass wir im Dezember über das Rentenpaket - über alle sechs Elemente des Rentenpakets - entscheiden werden", sagte der Vize-Kanzler am Montagabend Ortszeit. Die Gelassenheit des Vortrags kaschierte die implizite Drohung: Die Erfüllung der Unionswünsche bei der Rente hängt an der Zustimmung zu den Prioritäten der SPD.
Rund 7350 Kilometer westlich blies SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf zur Mittagszeit in Berlin in dasselbe Horn: "Es ist ein Gesamtpaket, was wir abstimmen wollen. Und ich glaube, dass auch den Unionskollegen sicherlich daran liegt, das gemeinsam jetzt durch den Bundestag zu bringen, wenn es auch darum geht, zum Beispiel die Aktivrente, die Frühstartrente oder die Mütterrente durch den Bundestag zu bringen." Klüssendorf zählte damit allesamt Wünsche von CDU und CSU auf, beziehungsweise im Fall der Mütterrente hauptsächlich der CSU. Dass es sich um eine Drohung handelte, würden Sozialdemokraten natürlich bestreiten. Man erinnere nur daran, dass im Rentenpaket für jeden etwas dabei ist.
Schwer berechenbarer Koalitionspartner
Dem CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzler Friedrich Merz genügt das, wie er nun mehrfach versichert hat. Teile der Unionsfraktion überzeugt das typische quid pro quo nicht, das schon die letzte Merkel-Koalition aus Union und SPD prägte. Ob die Zahl der aufbegehrenden Unionsbundestagsabgeordneten über die sogenannte junge Gruppe hinausgeht, ist unklar. Doch sie allein könnte schon die nur 12 Stimmen kleine Mehrheit der Regierungsfraktionen kippen. Mehrere prominente Unionspolitiker signalisierten zuletzt grundsätzlich Sympathie für die parteiinterne Opposition, die zu große finanzielle Last für jüngere Generationen befürchtet.
Auch wenn Bundeskanzler Merz es so nicht wollte: SPD und Union fahren mit zunehmender Beschleunigung aufeinander zu und müssen darauf setzen, dass der jeweils andere Platz macht. Wobei in einem der Autos offenbar mehrere Insassen um das Steuer streiten, so der Eindruck von der Union. Die SPD hat nicht vergessen, wie unberechenbar ihr Koalitionspartner im Fall der Bundesverfassungsrichterwahl agierte.
Alles wäre leichter, könnten sich zumindest Klingbeil und seine Co-Parteichefin Bärbel Bas ihres Platzes auf dem geteilten Fahrersitz der SPD sicher sein. Doch auch die Sozialdemokraten sind eine zutiefst verunsicherte Partei mit Umfragewerten zwischen 12 und 14 Prozent. Eine Partei, die routiniert mal einzelne Themen auf das Schild parteipolitischer Grundprinzipien hebt. Das gilt erst recht für die staatliche Altersvorsorge, deren Entstehung zu erheblichen Teilen auf die deutsche Arbeiterbewegung zurückgeht: Sie ist ein 150 Jahre altes Kernanliegen. Das Halten des Rentenniveaus war sowohl 2021 als auch 2025 eines der zentralen Wahlkampfthemen der Partei.
Die Haltelinie als rote Linie
Nun droht der Streit um die sogenannte Haltelinie zur Bruchkante für die Koalition zu werden. Vereinfacht gesagt geht es um die Frage, ob die Bundesregierung jetzt schon die Fortentwicklung der Rentenhöhe festschreiben sollte, noch bevor die Kommission zur Reform des deutschen Rentensystems überhaupt einberufen ist. Die SPD will mit dem Fortschreiben der Haltelinie von 48 Prozent faktische Leistungskürzungen bis 2031 verhindern. Und auch darüber hinaus soll es keine drastische Kürzung geben, was Teilen von CDU und CSU, insbesondere der Jungen Union sauer aufstößt: Die Kosten zur Finanzierung der Rente, die Arbeitnehmer, Arbeitgeber und - über Bundeszuschüsse - alle Steuerzahler tragen, ufern absehbar immer weiter aus. Eine gegensteuernde Reform zeichnet sich jenseits grundsätzlicher Zusagen nicht ab.
Das Rentenniveau ist für die Mehrheit der SPD ohnehin nicht verhandelbar. "Es gibt einen Punkt, an dem weitere Einschnitte nicht mehr verantwortbar sind", erklärte die Sozialpolitikerin und stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt. "Jetzt braucht es nicht das nächste Kürzungspaket, sondern Klarheit und Sicherheit für die Menschen - für heutige Rentnerinnen und Rentner ebenso wie für die Generationen nach 2031."
Schwer vorstellbar, wie da Klingbeil und Bas als zuständige Ministerin von abrücken sollen. Es hat ja einen Grund, dass die Koalition die Konzeption großer Reformschritte an eine Kommission ausgelagert hat: Sollte es zu schmerzhaften Einschnitten bei der Rente kommen, würde die Politik nur dem Rat der Experten folgen und müsste sich nicht vorwerfen lassen, etwaige soziale Härten selbst ausgedacht zu haben. Entsprechend kämpferisch zeigte sich Klingbeil beim SPD-Landesparteitag in Baden-Württemberg: "Ich sage euch in aller Klarheit: An diesem Gesetz wird nichts mehr geändert", meinte er am Samstag in Ulm. In der Union dürfte man sich davon eher herausgefordert als gestreichelt gefühlt haben, doch auf Befindlichkeiten in der CDU scheint Klingbeil keine Rücksicht nehmen zu wollen. Oder zu können.
Der Koalitionsvertrag als Büchse der Pandora
Hinzukommt: Bas und Klingbeil können sich ihres Verhandlungsspielraums nicht sicher sein. Der Aufstand von Teilen der Basis gegen die Reformen bei Bürgergeld scheint fürs Erste abmoderiert zu sein. Selbst SPD-Linke konnten intern auf den Koalitionsvertrag verweisen, der Reformen festgelegt hat und dem die Partei nun einmal in einer Mitgliedervereinbarung zugestimmt habe. Der Aufstand der jungen Konservativen birgt nun das Risiko eines gefährlichen Signals an alle Unzufriedenen: Wer ausreichend Alarm macht, kann sogar Änderungen gegen den Koalitionsvertrag durchsetzen.
Das erschwert sogar ein Entgegenkommen im Gesetzestext, das den Bedenken der Jungen Union Rechnung trägt, ohne substanziell etwas zu ändern. So ein Schritt bedeutete aus Sicht der Parteichefs, die Büchse der Pandora zu öffnen: Der Koalitionsvertrag als Argument, Anliegen des Koalitionspartners auch gegen die eigene Überzeugung zuzustimmen, entfiele. Schon jetzt hat die Partei-Linke der SPD erstaunliches Drohpotenzial, wie der Streit um den neuen Wehrdienst zeigt. Dabei hat sie sich weitgehend durchsetzen können. Bas und - vor allem - Klingbeil haben allen Grund, einen Präzedenzfall zu verhindern, wonach auch Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag nicht mehr in Stein gemeißelt wären.