
Neunzig Minuten beantwortet Friedrich Merz Fragen von CDU-Mitgliedern. Er wolle das noch häufiger machen, wenn er Parteichef sei, sagt er.
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Die CDU sucht mal wieder einen neuen Vorsitzenden, und wieder einmal ist Friedrich Merz dabei. Er präsentiert sich ganz anders als man es von ihm kennt. Selbst eine Vertreterin des anderen Flügels nimmt ihm die Wandlung ab.
Zweimal ist Friedrich Merz vor allem an sich selbst gescheitert, so lautet eine verbreitete und vermutlich auch nicht ganz falsche Einschätzung. Beim Parteitag 2018 in Hamburg, als er zum ersten Mal CDU-Vorsitzender werden wollte, hielt er eine überraschend schlechte Rede. Am Ende wurde Annegret Kramp-Karrenbauer gewählt. Merz hatte sich überschätzt und ging als Verlierer vom Platz. Beim Online-Parteitag im Januar 2020 war seine Rede in Ordnung, aber die von Armin Laschet war deutlich besser. Gewählt wurde Laschet. Merz hatte ihn unterschätzt, das Ergebnis war dasselbe.
Jetzt tritt Merz schon wieder an. Warum? Diese Frage ist die letzte, die ihm in einer digitalen Bewerbungsrunde am Montagabend gestellt wird. Freunde und Familie hätten ihn das auch gefragt, gibt Merz zur Antwort, "ich hab' darüber auch lange nachgedacht". Vor allem nach dem letzten Bundesparteitag, "wo ich erneut nicht gewonnen habe", habe er sich einige Wochen die Frage gestellt, "willst du das noch mal machen oder nicht".
Merz gibt zu, so etwas sei noch nie passiert in der Geschichte der CDU, vermutlich auch in keiner anderen deutschen Partei. "Aber ich bekenne mich dazu", sagt er und lacht: "Ja, es hat schon etwas Irrationales, wenn Sie so wollen." Er könne halt nicht Nein sagen, "wenn ich von so vielen Mitgliedern und so vielen Freunden, Parteifreunden in der Partei, außerhalb der Partei, gebeten werde: Mach das doch noch einmal."
CDU soll familienfreundlich werden
Anderthalb Stunden sind vorbei, als er diese Antwort gibt, und Merz hat schon die vorletzte Hürde auf seinem dritten Weg zum CDU-Vorsitz genommen. In drei getrennten Runden erhalten die drei Kandidaten die Möglichkeit, sich der Basis vorzustellen, zumindest jenem Teil der Basis, der sich die Mühe macht, bei der Veranstaltung reinzuhören. Norbert Röttgen ist am kommenden Mittwoch dran, tags darauf hat Helge Braun seinen Auftritt.
Wie schon bei der Vorstellung seiner neuerlichen Ambitionen vergangene Woche präsentiert sich Merz ganz anders, als die Klischees, die über ihn kursieren, es erwarten lassen. "Ich möchte, dass wir alle wieder Freude daran haben, in dieser Partei zu sein", sagt er. Er will junge Kräfte einbinden, er will sich "vehement" für jungen Frauen einsetzen. Er betont, die CDU habe zu wenig Frauen in der Partei, in den Führungsgremien und in den Parlamenten. Er will die CDU zu einem familienfreundlichen Arbeitgeber machen, damit "Frauen, auch Männer" ihre Arbeit besser mit dem Privatleben verbinden könnten. Auf die Frage, warum man jetzt CDU-Mitglied werden solle, antwortet er: "Weil dies eine spannende, diskutierende, interessante Partei wird, die aus der Opposition heraus Alternativen entwickelt." Die CDU "wird" eine solche Partei, sie ist es offenbar derzeit nicht.
Als er auf Klimapolitik angesprochen wird, sagt Merz zunächst, er sei nicht sicher, ob die Ampelkoalition sich schnell zerlegen werde, wie der Fragesteller dies als Vermutung angedeutet hatte. "Ich finde, sie haben eine Chance verdient, es gut zu machen und vielleicht sogar besser als die zu Ende gehende Koalition." Er kritisiert das Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten, zu denen auch Brasilien mit dem Rechtsradikalen Jair Bolsonaro an der Spitze gehört, und fragt, ob "das nicht ein schlechtes Instrument ist, um unsere Klimakrise zu überwinden". Vor einem Jahr hatte Merz noch eine "realistische Handelspolitik" gefordert, die nicht zuerst Umweltschutz und Arbeitsschutz, sondern die Zollpolitik in den Blick nehme.
Beim Sozialstaat klingt der alte Merz durch
Jetzt sagt Merz, er sei grundsätzlich ein Befürworter von Freihandelsabkommen. Das Mercosur-Abkommen jedoch sei "in weiter Ferne", auch aus klimapolitischen Gründen. Die notwendige Zustimmung des Europaparlamentes oder des Bundestags würde es derzeit nicht geben, "ich würde es auch nicht befürworten". Es habe ja keinen Sinn, dass Deutschland sich in der Klimapolitik anstrenge und Brasilien könne machen, was es wolle.
Nur wenn er über den Sozialstaat spricht, klingt Merz wie früher. Das Thema beschäftige ihn schon seit langem, betont er. Die Moderatorin stellt ihm die Frage so, dass er sich auch als sozialer Politiker darstellen könnte, doch Merz vergibt das Elfmeterangebot ins leere Tor. Er spricht über hohe Ausgaben und über Probleme. Hier scheint eine Folie durch, die ihm seine Kritiker zum Vorwurf machen: die des Neoliberalen, der in den 1990er-Jahren verhaftet sei.
Dass dieses Merz-Bild falsch sei, hatte ihm kürzlich ausgerechnet eine CDU-Politikerin bescheinigt, die in der Flügellogik der Union als links gilt, die vor einigen Jahren als scharfe Kritikerin der Werteunion aufgetreten war, zu der Merz zwar nie gehörte, in der er damals aber treue Anhänger hatte. "Man würde Friedrich Merz unterschätzen, wenn man ihm unterstellt, dass er meint, mit neoliberalen Ideen der 90er Jahre könne man die CDU wieder nach vorne bringen", sagte die schleswig-holsteinische Kultusministerin Karin Prien im Interview mit ntv.de: "Das wird ihm nicht gerecht." Das ist kein "endorsement", wie die offizielle Unterstützung in US-Wahlkämpfen genannt wird, und Prien gehört auch nicht zu Merz' Team, auch wenn er sie an diesem Abend einmal als Gesprächspartnerin in bildungspolitischen Fragen erwähnt. Aber ihre Sätze zeigen, dass Dinge in der CDU in Bewegung geraten sind.
Grundsatzprogramm bis 2024
Ein bisschen gibt es natürlich noch den alten Merz - nicht nur beim Thema Sozialstaat, auch bei der EZB, die jetzt erkennen müsse, dass der Zeitpunkt erreicht sei, aus der "Politik des leichten Geldes" auszusteigen. Oder wenn es um die EU-Außengrenzen geht: In dem Maß, wie Europa die Binnengrenzen beseitige, müssten die Außengrenzen geschützt - sprich: abgeriegelt - werden. Er bezeichnet sich als Freund der Bundeswehr und lobt den nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul für dessen Vorgehen gegen Clans.
Hauptsächlich geht es im "CDU Live" mit Merz jedoch um die Mitgliederbeteiligung, die Merz deutlich ausbauen möchte - mehr im Sinne eines Austausches, nicht unbedingt durch die Ausweitung von Mitgliederbefragungen. Bis 2024 will Merz ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten lassen; die von Kramp-Karrenbauer begonnene und wegen Corona nicht beendete Arbeit erwähnt er nicht.
Mehr als 2800 Mitglieder hätten sich über die "Event-Plattform" der CDU angemeldet, sagt die Moderatorin am Ende des Abends, über 7000 Zuschauer habe es im Livestream gegeben. Allerdings hat die CDU knapp 400.000 Mitglieder. Ein paar mehr dürften es sein, wenn am 1. Dezember alle drei Kandidaten gemeinsam auftreten. Das ist die letzte Hürde, die sie vor der Mitgliederbefragung alle zu nehmen haben. Die Chancen stehen gut, dass Merz dann keine Rede halten muss.
Quelle: ntv.de