Kann Trump machen, was er will? "Das klingt für Deutsche bedrohlich, für Amerikaner aber nicht"
02.02.2025, 08:23 Uhr Artikel anhören
Unterschrieb in den ersten zehn Tagen seiner Amtszeit bereits 38 Verordnungen: US-Präsident Donald Trump.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Donald Trump prägt seinen Amtsantritt mit einer Flut an Dekreten - und sendet ein unmissverständliches Signal von Tatendrang und Kompromisslosigkeit. Der US-Präsident geht schon jetzt bis an die Grenzen seiner Macht, möglicherweise bereits darüber hinaus. Auch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass er das stark kritisierte und extrem rechte "Project 2025" zur Blaupause seiner Regierung machen will. All das sei zwar besorgniserregend, aber nicht überraschend, sagt der US-Verfassungsrechtler Russell A. Miller im Gespräch mit ntv.de. "Wir hatten die Warnsignale, sie haben offensichtlich nicht gereicht." Damit komme es nun auf die amerikanische Justiz an, mahnt der Jurist. "Jetzt muss sie sich beweisen. (…) Jetzt wird sich entscheiden, ob wir uns auf sie verlassen können."
ntv.de: Fast 40 Dekrete mit teils weitreichenden Folgen, maximaler Druck auf Staaten wie Kolumbien oder die Umbenennung des Golfs von Mexiko - Donald Trump hat in den ersten Wochen seiner Amtszeit ein deutliches Signal gesendet: Ich kann machen, was ich will. Inwiefern hat er damit auch recht?
Russell A. Miller: Es ist vielleicht drastisch formuliert, aber der US-Präsident kann tatsächlich sehr, sehr viel tun. Ihm steht als Kopf der Exekutive enorm viel Kompetenz und Spielraum zu. Dazu hat er die Autorität über ein riesiges System an Bundesbehörden mit mehreren Millionen Menschen an Personal, deren leitende Positionen er nach seinem Belieben entlassen oder ersetzen kann. Der Schlüssel liegt in unserem Präsidialsystem: Das Volk wählt die Exekutive - und vertraut dem Oberhaupt dieser ausführenden Gewalt eben entsprechend viel Macht an. Das klingt für Deutsche, die an das parlamentarische System gewöhnt sind, oft ungewöhnlich und bedrohlich, für Amerikaner aber nicht. Denn auch das darf man nicht vergessen: Die Macht des Präsidenten ist natürlich nicht unbegrenzt. Es gibt zwei Säulen, zwischen denen er sich bewegen muss. Auf der einen Seite die Gesetze, die ihm Kompetenzen verleihen, und auf der anderen Seite die Grundsätze der Verfassung.
Das Regieren per Dekret löst hierzulande tatsächlich gemischte Gefühle aus. Was einerseits effektiv ist, wirkt andererseits stark autoritär. Trump selbst nannte sich im Wahlkampf "Diktator für einen Tag".
Ich will sein Handeln nicht verteidigen, aber alle Präsidenten - auch die Demokraten - haben dieses Werkzeug gerne und viel benutzt. In seiner ersten Amtszeit hat Trump sogar weniger Dekrete erlassen als Obama oder Biden. Executive Orders sind seit George Washington ein tief akzeptiertes Werkzeug des Präsidenten. Hier spielt der Rechtsstaatsgedanke im Sinne von einer begrenzten Macht für die Exekutive nicht so eine große Rolle wie in Deutschland. Mit all dem will ich nicht den Inhalt der jüngsten Dekrete Trumps rechtfertigen, sondern die Legitimität der Methode erklären.
Die "Washington Post" hat den Inhalt von Trumps bisherigen Dekreten genauer untersucht und festgestellt, dass zwei Dutzend von ihnen fast wortgleich mit dem "Project 2025" sind - ein Konzept der Rechten, von dem sich Trump eigentlich distanziert hatte, weil es den radikalen Staatsumbau vorsieht. Ist Trump gerade dabei, sich noch mehr Macht zu verschaffen?
Es gibt tatsächlich erste Anhaltspunkte dafür, dass er das Konzept als Skript für seine Regierungsführung nutzt. Dazu gehört, dass er das Diversitätsprogramm lahmgelegt hat und gerade dabei ist, den Staatsapparat mit all seinem Personal auf Linie zu bringen. Das zeigt auch, dass er besser vorbereitet ist als in seiner ersten Amtszeit, in der er häufig mit institutionellen Hindernissen konfrontiert war. Diese Schritte sind zwar besorgniserregend, allerdings alles andere als überraschend. Die Amerikaner kennen die Befugnisse des Präsidenten und es gab genug Zeichen dafür, dass das Project 2025 sein Programm sein wird. Anders gesagt: Wir hatten die Warnsignale, doch sie haben offensichtlich nicht gereicht. Trump wurde demokratisch gewählt, nun hat er die Legitimation für weitreichende Maßnahmen.
Allerdings sprachen Sie auch von Grenzen, die er nicht überschreiten darf. Wann sind die erreicht?
Wenn er gegen die Verfassung verstößt und grundsätzlich auch, wenn er ohne gesetzliche Ermächtigung handelt. Das ergibt sich aus einer Grundsatzentscheidung des Supreme Court von 1952, die am Rande sogar einen deutschen Bezug hat. Damals verstaatlichte Präsident Truman kurzerhand alle Stahlwerke, um einen drohenden Streik während des Koreakrieges abzuwenden und wollte das allein mit seiner verfassungsrechtlichen Macht rechtfertigen. Der Supreme Court entschied allerdings, dass er in diesem Fall zu weit ging, weil er gegen die Entscheidung des Kongresses gehandelt hatte. Diese Leitlinien gelten bis heute. Was der Supreme Court allerdings auch entschied, ist, dass es Ausnahmen gibt: In einigen Fällen darf der Präsident seine Macht sogar gegen das Gesetz ausüben. Dazu gehören vor allem Entscheidungen in der Außenpolitik, aber auch die Begnadigungen von Verurteilten, die Trump ausgesprochen hatte. Konkret definiert ist das allerdings nicht. Denn im Gegensatz zu Deutschland sind Executive Orders weder per Gesetz noch in der Verfassung geregelt. Sie sind einfach anerkannt.
Es mag wieder die europäische Brille sein, aber nicht klar definierte Grenzen wirken wie ein Einfallstor für Missbrauch.
Missbrauch wäre es vor allem, wenn Grenzen überschritten werden und das keiner kontrolliert. Das ist aber nicht so. Alle Maßnahmen des Präsidenten unterliegen der richterlichen Kontrolle. Gerichte kontrollieren, ob er seine Verfassungskompetenz gewahrt, Grundrechte beachtet und mit gesetzlicher Grundlage gehandelt hat. Das ist nicht anders als in Deutschland, wo Behörden auch Fehler machen und daher von Verwaltungsgerichten kontrolliert werden. Aber natürlich haben wir jetzt einen besonderen Fall, da Trump reihenweise bis an die Grenze seiner Macht geht. Und eben auch vielleicht darüber hinaus. Jetzt wird sich entscheiden, ob wir uns auf die amerikanische Justiz verlassen können.
Wie lautet Ihre Prognose?
Die USA haben seit jeher eine enorm starke Justiz mit beträchtlicher Integrität. Hier kommt der deutsche Teil der Truman-Geschichte ins Spiel: Der Richter, der die Leitentscheidung damals getroffen hat, ist Robert Jackson. Er war seinerzeit auch einer der Hauptankläger in den Nürnberger Prozessen - hat also mit seinen eigenen Augen gesehen, in welche diktatorischen Abgründe eine einstige Demokratie rutschen kann. Am Ende der Truman-Entscheidung 1952 sagte er: "Demokratische Institutionen könnten dem Untergang geweiht sein. Aber es ist die Pflicht des Gerichts, sie als Letzter und nicht als Erster aufzugeben." Er war von der Integrität der Justiz angesichts seiner überragenden Kontrollfunktion überzeugt, und das bin ich auch. Trotzdem kann man nicht leugnen, dass auch unsere Justiz von Trumps Bewegung beeinflusst wird. In seiner ersten Amtszeit hat er sehr viele Richter ernannt. Dazu gehört zum Beispiel auch jene Richterin aus Florida, die Trumps Prozess wegen seiner Dokumentenaffäre eingestellt hat. Viele sahen Trumps Einfluss auf die Justiz bereits bestätigt, vor allem weil die Begründung der Richterin nicht so ganz nachvollziehbar sei. Letzteres mag sein, allerdings gibt es noch einen Unterschied dazwischen und handfester Parteilichkeit eines Gerichts. Wir müssen also wachsam sein, aber bisher sind unsere Gerichte standfest.
Gerade der Supreme Court als Dreh- und Angelpunkt der Kontrolle bereitet vielen Sorgen. Sechs der neun Verfassungsrichter wurden von Konservativen ernannt, drei von Trump selbst, und in jüngster Zeit ergingen viele Entscheidungen wie etwa das Abtreibungs-Urteil zu seinen Gunsten. Wie unabhängig steht das Oberste Gericht Trump gegenüber?
Der Supreme Court ist auf jeden Fall deutlich konservativer geworden als noch in den 1960er-Jahren. Tatsächlich hat diese konservative Mehrheit Trump auch schon einige Siege beschert - im Abtreibungsfall wurde dafür sogar ein bedeutsamer Präzedenzfall gekippt. Daraus aber abzuleiten, dass der Supreme Court parteitreu ist, finde ich zu simpel, da kann ich nicht zustimmen. Die konservativen Richter folgen weniger Trump als einer besonders ideologischen Rechtswissenschaft, die seit Jahrzehnten im Spannungsfeld mit der progressiven Verfassungspolitik steht. Ab und zu stimmt diese Rechtslehre dann mit Trumps Willen überein. Das würde ich aber eher Zweckehe nennen als Unterwanderung oder Abhängigkeit wie etwa in Ungarn. Die konservative Besetzung wird Trump also sicherlich nützlich sein, er kann sich aber nicht auf sie verlassen.
Der erste große Lackmustest für die Verfassungsrichter dürfte Trumps Dekret zur Einschränkung des Geburtsrechts sein. Ein Bundesrichter hat die Anordnung als "eklatant verfassungswidrig" bezeichnet und auf Eis gelegt. Trump kündigte aber bereits an, in den juristischen Kampf zu ziehen.
Ja, das ist sogar ein sehr guter Test. Meiner Meinung nach ist die Lage so offensichtlich, dass die Entscheidung bei der Supreme Court 9 zu 0 gegen Trump ausfallen muss. Gerade auch für die konservativen Richter dürfte es keine Zweifel geben. Denn ein Merkmal der konservativen Lehre ist, die Verfassung ganz wörtlich zu nehmen. "Wer hier geboren ist, ist Staatsbürger", steht im 14. Zusatzartikel - es kann kaum eindeutiger geschrieben sein. Dazu kommt eine Leitentscheidung von 1898, in der noch einmal betont wurde, dass der Grundsatz unabhängig von der Herkunft gilt. Am Ende geht es bei dem Geburtsrecht sogar um den Geist der amerikanischen Geschichte.
Trump und sein Team sehen das Dekret allerdings verfassungsrechtlich gedeckt. Sie argumentieren, sie würden die Verfassung nur anders auslegen.
Sie argumentieren mit einer Qualifikation des 14. Zusatzartikels, in der es heißt: "Wer hier geboren wird und nicht unter der Souveränitätsmacht eines anderen Staates steht, wird Staatsbürger." Grundsätzlich steht jeder, der sich in einem Land aufhält, unter dessen Souveränität, er muss sich an die Gesetze des Landes halten. Deswegen galt die Regelung nur für ganz wenige Einzelfälle, zum Beispiel Kinder von Diplomaten, die Sonderrechte im Gastland genießen und weiterhin unter der Souveränität ihres Heimatlandes stehen. Trump will das nun auf eine riesige Gruppe beziehen - die Kinder von Menschen, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in den USA sind. Gedacht ist die Regel aber als Ausnahmeregelung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Supreme Court Richter das anders sehen würde.
Das wird Trump und seinen Juristen bewusst sein. Warum geht der US-Präsident, der bisher nicht als guter Verlierer bekannt war, das große Risiko einer Niederlage trotzdem ein?
Zum einen ist die Maßnahme und schon der Versuch natürlich ein großes Symbol für seine strenge Migrationspolitik. Zum anderen scheint es Teil seiner Taktik, unsere Institutionen, speziell die Gerichte, nun dauerhaft zu testen. Sollten die Gerichte tatsächlich mit einer Welle an extremen Maßnahmen überschwemmt werden, wird das zu einer enormen Herausforderung, auch was das Standhalten angeht. Denn wahrscheinlich sind nicht alle Fälle so offensichtlich wie das Geburtsrecht. Die Justiz wird ihre Verfassungstreue in den kommenden vier Jahren also etliche Male beweisen müssen. Ich gehe im Moment davon aus, dass ihr das grundlegend gelingen wird. Die Frage, die dann folgt, ist, ob Präsident Trump sich an die Entscheidungen halten wird.
Mit Russell Miller sprach Sarah Platz
Quelle: ntv.de