Kanzlerkandidat Robert Habeck Der Insta-Kanzler hat keine Chance - und will sie nutzen
08.11.2024, 18:25 Uhr
Habeck spricht oft und gerne zu seinen Zuschauern auf Instagram.
(Foto: picture alliance/dpa)
Jetzt ist offiziell, was längst alle wussten: Robert Habeck will Kanzler werden. Die Art und Weise der Verkündung verrät viel über das, was Habeck und sein Team zu tun gedenken. Das planvolle Vorgehen ändert aber nichts daran, dass sich die Bedingungen für seine Kampagne noch einmal verschlechtert haben.
Die Kanzler-Kampagne von Robert Habeck startet auf Instagram. Wo sonst? Das bilderbunte Netzwerk ist so etwas wie die letzte Hochburg des Grünen-Kanzlerkandidaten. Hier kann er, was ihm im Ministeramt bestenfalls teilweise gelungen ist: abliefern. Habecks auf Instagram verbreitete Video-Ansprachen gehören zu den glanzvollsten Momenten seiner Zeit als Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister. Gerade seine Stellungnahme zum Nahost-Konflikt und dem aufflammenden Antisemitismus in Deutschland bleibt in Erinnerung. Darin erreichte Habeck mit so klaren wie einfachen Worten ein Publikum weit über die Blase seiner Sympathisanten hinaus.
In seinen besten Momenten kann Habeck noch immer Politik so gut erklären, wie kein anderer Spitzenpolitiker im Land. Wenig überraschend kündigt er nun auch auf Instagram und Co. seine Kanzlerkandidatur für die Grünen an. "Ich bin bereit, meine Erfahrung, meine Kraft und meine Verantwortung anzubieten. Wenn Sie wollen, auch als Kanzler", sagt Habeck und blickt dem Zuschauer scheinbar ins Gesicht. Er sitzt in schwarzem Pullover "bei Freunden in der Küche", sagt Habeck und unterbreitet sein Angebot. "Wir dürfen nicht davon ausgehen, unsere liberale Demokratie sei auf ewig garantiert. Wir müssen um und für sie kämpfen", sagt Habeck. "Dieser Kampf ist nicht irgendwann, sondern jetzt."
"Ich kenne die Umfragen"
Wer in den vergangenen Monaten gelegentlich Habecks Überlegungen bei abgeschalteten Mikrofonen und Kameras lauschen durfte, weiß: Er ist schon lange Zeit entschlossen, das Unmögliche zu versuchen. Das Kanzleramt für eine Partei zu erobern, die mehr Menschen als je zuvor nicht einmal im Bundestag sehen wollen. "Ich kenne die Umfragen", sagt Habeck dazu in seinem Video. "Ich weiß, einen Führungsanspruch muss man sich erarbeiten. Ich will ihn mir erarbeiten." Habeck bietet an, sich mit ihm zum Gespräch an einen Küchentisch zu setzen, mit dem er offenbar demnächst durchs Land touren wird.
Der Grüne setzt in seiner Kommunikationsstrategie auf Ehrlichkeit, Authentizität. Er kann sie zur Not sogar sehr gut schauspielern, muss das aber nicht. "Ich habe Probleme gelöst, Rückschläge erlebt und mich daran gemacht, das nächste Problem zu lösen", sagt Habeck über seine Zeit als Bundesminister. "Ich habe Fehler gemacht, ich habe daraus gelernt." Und er sagt: "Die letzten drei Jahre waren schwierige Jahre." Weitere dieser Art könnten folgen. "Ich verspreche niemandem das Blaue vom Himmel", so der Norddeutsche, der einst als Landesminister in Schleswig-Holstein begann. "Ich verspreche, die Dinge offen und ehrlich anzusprechen", sagt Habeck und fordert: "Gewinnen wir unsere Zuversicht zurück."
Auf die Ampel-Ära folgt die Kanzler-Ära
Schon das erste Instagram-Video, eine Art Appetithappen vor der eigentlichen Erklärung, gab einen Vorgeschmack darauf, wie Habeck und seine Berater den grünen Kanzlerkandidaten positionieren wollen im Ringen mit den Bewerbern Olaf Scholz, Friedrich Merz und Alice Weidel: als den modernen, coolen Kandidaten. Entsprechend trägt er schon im ersten Kurzvideo seines neu angelegten Instagram-Profils - das bisherige Profil ist dem Minister vorbehalten, nicht dem Grünen-Politiker - weder Anzug noch Krawatte. Er ist dort in einem hellen flauschigen Pullover zu sehen. Im zweiten trägt er einen schwarzen. Privat ist es auch gerne mal ein Hoodie mit Kapuze.
Am Arm trägt Habeck im ersten Video ein Bändchen mit der Aufschrift "Kanzler Era". Das ist eine Anspielung auf US-Megasuperstar Taylor Swift. Die Fans der Folk-Pop-Gigantin tauschen auf Konzerten solche Bändchen. Jedes Album ist in diesem Universum eine neue "era" - eine Ära, ein Zeitalter. Nach dem krachenden Koalitions-Aus in dieser Woche lässt Habeck also die Ampel-Ära hinter sich und ruft die Kanzler-Ära aus. Muss er auch: Beim Bundesparteitag seiner Partei Mitte November in Wiesbaden soll schließlich seine inoffiziell längst bekannte Kandidatur durch ein Delegiertenvotum besiegelt werden. Es wird ein Krönungsparteitag - auf dem sich nebenbei die gesamte Führungsmannschaft der Partei austauscht.
Habeck will nicht zerrieben werden
Habeck hat sich im Sommer Hausmacht in der Partei und Beinfreiheit außerhalb ausbedungen als Voraussetzung für seine Kandidatur. Er war dabei in starker Position: Seit der einseitigen Verzichtserklärung der ohnehin in die Sphären der internationalen Politik entschwundenen Annalena Baerbock ist er letztes Zugpferd seiner Partei. Die läuft mit schwachen Zustimmungswerten nahe der Einstelligkeit Gefahr, in einem Kanzlerduell von Amtsinhaber Olaf Scholz und Unionskandidat Friedrich Merz zerrieben zu werden. Allein schon deshalb wird Habeck nicht nur Spitzen- sondern Kanzlerkandidat: In den relevanten TV-Runden will auch er mit am Tisch stehen, ungeachtet aller Aussichtslosigkeit seines Unterfangens, das Kanzleramt zu erobern.
Denn es sind ja nicht nur die schlechten Umfragewerte, die die Perspektive auf das oberste Regierungsamt versperren: Die Grünen haben auch keine Koalitionsoptionen. Selbst wenn sie stärkste Partei würden, wofür es mehr als nur ein politisches Erdbeben bräuchte, fehlte es den Grünen an Partnern. Allein mit der SPD wird es nicht reichen. Union und BSW werden in keinem denkbaren Szenario unter einem Kanzler Habeck mitregieren. Umso mehr gilt: Als Kanzlerkandidat bekommt man zumindest Plattformen und Aufmerksamkeit, um die eigenen Positionen stark zu machen. Und Habeck ist erst 55 Jahre alt, es wird auch eine übernächste Bundestagswahl geben. Bis dahin winkt ihm ja immerhin ein erneutes Ministeramt oder die Rolle eines Oppositionsführers.
Scholz wird zum Gegner
Der verhunzte Baerbock-Wahlkampf von 2021 gilt in der Partei in vielerlei Hinsicht als Beispiel dafür, wie es diesmal nicht laufen soll. Baerbocks Claim "radikal staatstragend" dürfte dennoch auf die eine oder andere Art einfließen in die Kampagne: An den Schlammschlachten der anderen will sich Habeck nicht beteiligen. Als der Bundeskanzler den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner mit Schimpf und Schande vom Hof des Bundeskanzleramts jagte, hielt sich Habeck auffallend zurück. Er dürfte Lindners Charakter nicht groß anders einschätzen als Scholz. Doch die Grünen wollen auf ein positives Auftreten setzen; eines, das sich abhebt von den Schmutzspielen und Negativkampagnen der Mitbewerber.
Und: Aus Sicht der Grünen ist Scholz erster Gegner im Bundestagswahlkampf, nicht Merz. Meint die Partei es auch nur halbwegs ernst mit der Kanzlerkandidatur, muss sie zuerst die in Schlagdistanz liegende SPD überholen. Dann könnte sie die Bundestagswahl auf die Frage "Habeck oder Merz?" zuspitzen. Programmatische Reibungspunkte mit Scholz sind genügend vorhanden, sei es bei der militärischen Unterstützung der Ukraine oder beim Klimaschutz.
Zugleich werden die Grünen bei aller Merz-Kritik versuchen, Brücken zur Union zu bauen. Schwarz-Grün gilt der Partei nicht als Schreckgespenst. Die funktionierenden Landesregierungen in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein machen es vor: Schwarz-Grün geht, wenn es denn alle Beteiligten wollen - und nicht so resolut ausschließen wie derzeit CSU-Chef Markus Söder. Dabei gilt auch das Scheitern einer CDU-Regierung unter Einbeziehung des BSW in Sachsen als Hoffnungsträger: Die Union müsse angesichts der Schwierigkeiten mit der Wagenknecht-Partei doch endlich ein Einsehen haben, dass nicht die Grünen der Hauptgegner sind.
Der Wirtschaftsminister mit der Rezession
Modern, positiv und anschlussfähig nach links wie rechts: Das spricht aus Grünen-Sicht für einen aussichtsreichen Bundestagswahlkampf. Was dagegen spricht: Robert Habecks ganz persönliche Regierungsbilanz. Der designierte Kanzlerkandidat mag nicht der Grund dafür sein, dass die Bundesrepublik das zweite Jahr in Folge eine schrumpfende Wirtschaftsleistung verzeichnet. Abwenden konnte Habeck diese Entwicklung allerdings auch nicht.
Derweil sind Leuchtturmprojekte wie die Ansiedlung großer Chipfabriken gescheitert oder auf die lange Bank geschoben. Auch die Umstellung auf grüne Energie beim Stahlgiganten ThyssenKrupp kommt nicht voran, genauso wenig wie Deutschlands Umstieg auf Elektro-Mobilität. Immerhin, die immense Beschleunigung des Ausbaus Erneuerbarer Energien kann sich Habeck zugute schreiben. Doch die positiven Folgeeffekte treten verzögert ein. Das versprochene grüne Wirtschaftswunder ist bisher eindeutig nicht eingetreten, während viele Immobilienbesitzer bis heute den Eindruck haben, Heizen werde für sie allein wegen der Grünen zum Kostenproblem.
Neuwahlen zur Unzeit
Das hartnäckige Image-Problem der Grünen und damit die verbundenen Niederlagen bei der Europa- und den Landtagswahlen im Osten hatten zum vorzeitigen Aus des scheidenden Bundesvorstands geführt. Mit Franziska Brantner, Staatssekretärin in Habecks Ministerium, übernimmt eine seiner wichtigsten Vertrauten die Parteiführung. In der Grünen-Spitze hofft man, dass sich angesichts der rasant näher rückenden Bundestagswahl die Partei hinter Habeck versammeln wird - sowie hinter der neuen Führungsmannschaft um Brantner und den designierten Co-Parteichef Felix Banaszak, als Vertreter des linken Flügels.
Das könnte sogar funktionieren, auch wenn insbesondere die neuen Vorsitzenden der Grünen Jugend Profilierungsdruck spüren dürften nach dem Parteiaustritt des bisherigen Jugend-Vorstands. Das Problem: Der neue Bundesparteivorstand muss nach dem Parteitag schnellstmöglich arbeitsfähig werden. In allen anderen Parteien bereiten gerade eingespielte Führungsteams den Bundestagswahlkampf vor.
Das vorzeitige Koalitions-Aus hat die Grünen zur Unzeit erwischt, auch wenn das dort niemand so drastisch sagen möchte. Die Unfähigkeit von Scholz und Lindner, noch einmal zueinanderzukommen, hat Habeck seiner Chance beraubt, die eigene Wahlkampagne gründlich vorzubereiten. Zumal es Hoffnung gab, dass die wirtschaftlichen Vorzeichen im September 2025 bessere sein würden als im Februar oder März, wenn die nun vorgezogenen Wahlen stattfinden.
Doch das ist vergossene Milch, wie Habeck sagen würde. Der Blick ist nach vorn gerichtet - in die Instagram-Kamera und wo immer man ihm sonst zuhören möchte. Am portablen Küchentisch zum Beispiel. Bundeskanzler zu werden, daraus hat Habeck schon 2021 keinen Hehl gemacht, ist ein Traumziel. Damals kam ihm Baerbock zuvor, als die Chancen für die Grünen so gut wie nie waren. 2025 haben sich die Vorzeichen ins Gegenteil verkehrt. Für Habeck kein Grund, es nicht wenigstens zu versuchen.
Quelle: ntv.de