In Abhängigkeit gewirtschaftet Der Kanzler ist neu, aber nicht seine China-Strategie
04.11.2022, 19:21 Uhr
Scholz traf in Peking Xi - als erster westlicher Regierungschef seit dem Parteitag auf dem der Chinese eine dritte Amtszeit bekam.
(Foto: dpa)
Schon im Vorfeld von Olaf Scholz' China-Reise hagelt es Kritik an einem zu unkritischen Kurs Deutschlands. Dennoch reist der Bundeskanzler mit einer zwölfköpfigen Wirtschaftsdelegation an. Eine Abkehr von gefährlichen Abhängigkeiten ist nicht erkennbar.
Erst ein halbes Jahr war Bundeskanzlerin Angela Merkel im Amt, als sie der Volksrepublik China 2006 einen dreitägigen Besuch abstattete. Für einen Besuch der Chinesischen Mauer war trotzdem keine Zeit, Stationen ihrer Reise waren Peking und Shanghai, deren Skyline nachts in bunten Lichtern erstrahlt. Ein Leuchtfeuer chinesischer Innovationsfreude, das aus der dunklen Wassermasse des Flusses Huangpu ragt.
Im Rahmen des Zeremoniells war auch ein Treffen mit dem damaligen Staatspräsidenten Hu Jintao in Peking anberaumt. Im Gespräch mit Hu äußerte Merkel die Hoffnung, dass es zwischen China und Deutschland in wichtigen geopolitischen Fragen wie Energiesicherheit und der effizienteren Energienutzung zu einer engen Zusammenarbeit kommen werde. In ihrer Rede vor der Deutschen Handelskammer in Shanghai betonte die Kanzlerin allerdings, dass man von deutscher Seite aus sehr hart gegen das Kopieren von Hochtechnologien vorgehen werde, damals eines der zentralen Themen zwischen Deutschland und China. "Weil natürlich vollkommen klar ist, dass unser technologisches Know-how auch das ist, was unseren Wohlstand sichert", so Merkel.
Die Zeiten haben sich geändert. Für Deutschland geht es im Verhältnis zu China nicht mehr um Technologietransfer, sondern um eine zu große, gefährliche Abhängigkeit. 2012 rief Hus Nachfolger Xi Jinping den "chinesischen Traum von der großen nationalen Renaissance" aus. Wie sehr Xi die Macht seither auf sich allein zugeschnitten hat, war unlängst auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei zu beobachten, als er Hu eine öffentliche Demütigung zufügte. Wer erwartete, dass die veränderte Situation Folgen hat für den elfstündigen Antrittsbesuch, den Merkels Nachfolger Olaf Scholz an diesem Freitag in China absolviert, sieht sich eines Besseren belehrt.
Scholz: Wir wollen keine Entkopplung von China
In einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sprach Scholz sich am Mittwoch gegen eine Loslösung von China als Wirtschafts- und Handelspartner aus. Gleichzeitig riet er zwar an, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden, etwa bei "bestimmten Zukunftstechnologien". Aber diese Abhängigkeit besteht längst: Deutschland war einmal im Bereich der Solarenergie führend, nun ist es bei Solarzellen zu 95 Prozent von China abhängig. Wichtige Komponenten der Windenergie wie Turbinen werden aus Kostengründen mittlerweile überwiegend aus chinesischer Herstellung bezogen, denn von den 15 größten Herstellern von Windturbinen sind 10 in China ansässig. Die Rohstoffe für Elektromotoren werden zu 65 Prozent aus China importiert.
Zu den Zukunftstechnologien zählt auch die Informationstechnologie, eine kritische Infrastruktur, die besonderen Schutz benötigt. In diesem Zusammenhang ist Huawei vielen Experten rotes Tuch. US-Geheimdienste warnten Deutschland bereits 2019, dass der Technologiekonzern mit chinesischen Sicherheitsbehörden zusammenarbeite. Beim Aufbau eines deutschen 5G-Netzes Netzwerktechnik von Huawei einzubinden, hieße, bewusst eine Sicherheitslücke für chinesische Spionage zu integrieren. In Europa haben deswegen bereits Großbritannien, Schweden, Estland und Rumänien eine Huawei-Beteiligung an den 5G-Netzen ausgeschlossen. Ganz anders Merkel, die sich trotz Widerstands aus dem Auswärtigen Amt und in den eigenen CDU-Reihen gegen einen Auschluss von Huawei beim 5G-Ausbau aussprach.
Mehr als 100 Unternehmen und ihre CEOs hatten sich auf die Chance beworben, zusammen mit Scholz im Regierungsflieger nach Peking aufzubrechen. Unter den zwölf Auserwählten, die den Kanzler nun nach China begleiten, sind deutsche Autobauer wie Volkswagen und BMW, Chemie- und Pharmakonzerne wie Wacker, BASF, Merck, die Bayer AG und Biontech SE, aber auch Siemens, die Deutsche Bank, Adidas, der Hersteller für Säuglingsnahrung Hipp Holding und das Heiztechnikunternehmen Geo Clima Design vertreten.
China hat nur noch Interesse an Mr. Science
Mr. Science und Mr. Democracy sind Inbegriff der westlichen Ideale, die chinesische Studenten in den 1910er und 1920er Jahren für sich einforderten und anstrebten. Bereits am Ende des alten Kaiserreichs hatten die Machthaber in China den Wert westlicher Wissenschaft entdeckt. Nur konnten oder wollten sie das politisch-kulturelle System nicht rechtzeitig von der konfuzianischen Ausrichtung loslösen, um nach westlichem Vorbild der Gesellschaft technologischen Fortschritt zu bringen.
Ganz anders nun unter Xi Jinping: Wissenschaft und Tech-Unternehmen müssen ihren Beitrag zu Chinas Aufstieg als Weltmacht leisten. Weltpolitisch gesehen ist längst ein Krieg um die technologische Vorherrschaft in der Halbleiterindustrie entbrannt. Hier versuchen die USA mit Exportbeschränkungen den chinesischen Konkurrenten auszubremsen. Das Verbot, US-amerikanische Nvidia-KI-Chips nach China zu exportieren, bremst Bemühungen chinesischer Firmen ein, Hochleistungssysteme zur Gesichtserkennung zu bauen und damit China zum totalen Überwachungsstaat zu machen.
Ein unberechenbarer Partner
Dennoch wollen die Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Wirtschaftsdelegation weiter nicht auf das China-Geschäft verzichten. Trotz Chinas unveränderter Haltung zur Zero-Covid-Strategie mit all ihren wirtschaftlichen Folgen und einer zunehmenden Verschärfung des Taiwankonflikts, der eines Tages in offenen Kriegshandlungen eskalieren könnte. Scholz hat offensichtlich nicht vor, die Unternehmen in ihrem Expansionsvorhaben einzuschränken. Richtungsweisend erscheint in diesem Zusammenhang die Ankündigung eines Kanzlermachtworts, um den Einstieg der chinesischen Staatsreederei Cosco bei einem Hamburger Hafenterminal zu erlauben. Auch hier geht es um kritische Infrastruktur, wenn auch nach Darstellung des Kanzlers nur um einen kleinen Teil in einem großen Hafen.
Als wichtiger Verbündeter wird China zunehmend unberechenbar. Das zeigt sich insbesondere bei der Hochtechnologie, wenn China entgegen internationalen Gepflogenheiten eine Raketenstufe am Samstag unkontrolliert auf die Erde stürzen lässt. Dass dabei Trümmerteile Millionenstädte treffen könnten, ist ein Risiko, das Peking im Kampf um eine chinesische Vorrangstellung in Kauf nimmt.
Quelle: ntv.de