Radikale Kriegsbefürworter Der Vorschlaghammer ist ihr neues "Z"
29.01.2023, 16:13 Uhr
Sergei Mironow, Vorsitzender der Partei "Gerechtes Russland" posiert mit einem makaberen Geschenk.
(Foto: via REUTERS)
Seit dem Mord an einem Wagner-Deserteur etabliert sich der Vorschlaghammer unter radikalen Kriegsunterstützern als Instrument zur Einschüchterung von Andersdenkenden. Selbst in höchsten politischen Kreisen ist das Folterwerkzeug plötzlich hoffähig - mit möglichen Folgen für die gesamte russische Zivilgesellschaft.
Kurz nach der Explosion auf der Krim-Brücke kritisiert die 19-jährige Studentin Olesya Krivtsova in einer Instagram-Story den russischen Angriff auf die Ukraine. Kommilitonen ihrer Universität in der Hafenstadt Archangelsk machen einen Screenshot und melden Olesya den Behörden. Drei Monate später steht die Studentin auf einer Terrorliste - gemeinsam mit Extremisten von Al-Qaida und dem Islamischen Staat. Das Staatsfernsehen sendet eine Talkshow, in der sie von einem Lokalpolitiker als Idiotin beschimpft wird, die sich im Donbass die Gräber der gefallenen Soldaten anschauen sollte. Ende Dezember wird Olesya in ihrem Apartment verhaftet. Ihrer Mutter berichtet sie später, einer der Beamten habe einen Vorschlaghammer dabeigehabt. "Ein Gruß von Wagner", habe er gesagt.
Olesya Krivtsova ist das, was man ein Exempel nennt. Ihr Fall illustriert, wie stark jeder kritische Ton innerhalb der russischen Zivilgesellschaft inzwischen unterdrückt wird - und das mit Methoden eines Mafiastaates. Der Vorschlaghammer ist eine Drohung, die in Russland jeder versteht. Dafür hat ein Telegram-Video gesorgt, das die Exekution eines desertierten Söldners der Gruppe Wagner mit eben diesem Vorschlaghammer zeigt. Die Bilder sind an Grausamkeit kaum zu überbieten, auch deshalb dienen sie inzwischen nicht nur Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin als Instrument zur Disziplinierung der eigenen Kämpfer. Auch politische Hardliner, Kriegsunterstützer und Ordnungskräfte haben den Vorschlaghammer als Symbol für sich entdeckt. In radikalen Kreisen hat er das "Z" abgelöst.
Galt zu Beginn des Krieges das "Z" als niedrigschwellige Möglichkeit, seine Unterstützung für den Krieg in der Ukraine zu zeigen, reicht das einigen nun nicht mehr, um ihrer Kriegslust Ausdruck zu verleihen. Sergei Mironow, Vorsitzender der Partei "Gerechtes Russland" und deren Fraktionschef in der Duma, posierte vergangene Woche mit einem Vorschlaghammer, auf dem das Wagner-Logo eingraviert war, und veröffentlichte das Bild auf Telegram. Dazu schrieb er, dies sei ein "nützliches Werkzeug, um der Nazi-Ideologie, die unser Land zerstören will, einen Strich durch die Rechnung zu machen". Mironow forderte, die Aktivitäten der Wagner-Gruppe auch innerhalb des Landes zu legalisieren. Offiziell sind private Militärorganisationen, sogenannte PMCs, in Russland verboten.
Instrument der Kriegspropaganda
Wozu die Legalisierung einer für ihre Brutalität bekannten Privatarmee führen könnte, zeigte sich Ende Dezember vor der finnischen Botschaft in Moskau: Knapp ein Dutzend vermummte Männer warfen mehrere Vorschlaghämmer über den Zaun vor dem Botschaftsgebäude - ein klares Signal an den nördlichen Nachbarn, der seit dem Überfall auf die Ukraine in die NATO drängt und seine Grenze zu Russland dichtgemacht hat. Ob die Maskierten aus eigenem Antrieb handelten oder beauftragt wurden, ist unklar. Doch solche Versuche der Einschüchterung haben einen klaren Impulsgeber: Prigoschin.
Der Wagner-Chef hatte zuvor selbst ein Video in russischen Propaganda-Kanälen verbreiten lassen, das angeblich die Übergabe eines mit Kunstblut verschmierten Vorschlaghammers ans EU-Parlament zeigen soll. Bestätigt wurde das nie, dennoch verfehlte es bei einigen Kriegsbefürwortern in Russland seine Wirkung nicht. Deren Aktionen beweisen, dass die grausamen Methoden der Söldner, über die in früheren Konflikten nur gemutmaßt wurde, in bestimmten Kreisen legitimiert werden. Bei Wagner ist der Vorschlaghammer nicht erst seit der Ukraine-Invasion ein Werkzeug der Bestrafung für Verräter und Deserteure. Schon im Syrien-Krieg gab es Exekutionen dieser Art.
"Totale Entwürdigung russischer Politik"
Wagner-Söldner sind seit Jahren in vielen Konfliktgebieten zum Einsatz gekommen - auch im Krieg des von Russland unterstützten syrischen Machthabers Baschar al-Assad gegen das eigene Volk. Bereits 2017 sorgten Videoaufnahmen für internationales Entsetzen, die russische Söldner bei der Folter des syrischen Gefangenen Hamdi Bouta mit einem Vorschlaghammer zeigen sollen. Bouta überlebte die Tortur nicht. Prigoschin selbst hat den Vorschlaghammer einst als "Symbol der Rache" bezeichnet, doch die Verantwortung für die Taten seiner Kämpfer übernahm er nie. Erst im vergangenen Herbst räumte er überhaupt ein, Wagner gegründet zu haben. Seither versucht er, seine Kampftruppe im öffentlichen Ansehen aufzuwerten.
In einem offenen Brief, den er vergangene Woche an russische Medien und Militärblogger richtete, beschwerte sich Prigoschin über die Diskreditierung seiner Kämpfer als "Bösewichte und Kriminelle" und forderte, dass Kritik an Wagner - ebenso wie es bereits für die konventionelle russische Armee der Fall ist - unter Strafe gestellt werden soll. Dazu müsse lediglich der entsprechende Paragraf 280.5 im Gesetz erweitert werden. Befürworter eines solchen Schrittes gibt es. Nicht nur Duma-Politiker Mironow sieht in den barbarischen Methoden von Wagner und dem russischen Strafgesetz offenbar keinen Widerspruch. Zu Mironows Pose mit dem Vorschlaghammer schrieb der Regimekritiker und Exil-Russe Michail Chodorkowski, so sehe die "totale Entwürdigung der russischen Politik" aus.
Quelle: ntv.de