
Der Ausschnitt aus dem Video zeigt Jewgenij Nuschin wenige Momente vor seinem Tod.
(Foto: Screenshot Telegram)
Seit Tagen kursiert in sozialen Medien ein verstörendes Video, in dem Kämpfer der Wagner-Gruppe einen Überläufer mit einem Vorschlaghammer ermorden. Doch wie kam es dazu, dass der einstige Söldner aus der ukrainischen Gefangenschaft in die Gewalt seiner späteren Mörder fiel? Kiew liefert eine Erklärung. Doch es bleiben mehr Fragen als Antworten.
Der ehemalige Kämpfer der Wagner-Söldnergruppe, dessen Exekutionsvideo seit Tagen im Internet kursiert, ist nach Angaben der Ukraine vor seinem Tod im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freiwillig nach Russland zurückgekehrt. Russische Menschenrechtler zweifeln daran und fordern von Kiew Beweise. Ein russischer Oppositionspolitiker sieht hinter dem Fall gar eine gescheiterte Aktion des russischen Geheimdienstes.
Am vergangenen Wochenende hatte ein der Söldnergruppe nahestehender Telegram-Kanal ein Video veröffentlicht, in dem mutmaßliche Wagner-Kämpfer einen Mann brutal ermorden, der einst an ihrer Seite in den Krieg gegen die Ukraine zog. Bevor sie ihm vor laufender Kamera mit einem Vorschlaghammer den Kopf zerschmettern, stellt sich der Mann als Jewgenij Nuschin vor und sagt, er habe sich im Laufe des Krieges dazu entschieden, gegen Russland zu kämpfen.
Wagner-Chef Prigoschin begrüßt den Mord an "Verräter"
Jewgenij Prigoschin, Chef der Söldnergruppe, zeigte sich erfreut über die verstörenden Szenen. Das Video müsse den Titel "Ein Hund verdient den Tod eines Hundes" tragen, schrieb der Vertraute des Kremlchefs Wladimir Putin bei Telegram. "Nuschin hat sein Volk verraten, seine Kameraden verraten, bewusst verraten", so Prigoschin.
In einem Interview, das er Mitte September in der ukrainischen Kriegsgefangenschaft gab, erzählte Nuschin seine Geschichte: Demnach saß er in einem russischen Gefängnis eine Haftstrafe wegen Mordes ab und wurde dort von der Wagner-Gruppe für den Krieg rekrutiert. Im Kampfgebiet angekommen, habe er sich ergeben, um fortan auf der Seite der Ukraine zu kämpfen.
Wurde Nuschin gegen seinen Willen zurück nach Russland geschickt?
Nach dem Auftauchen des Videos kam die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, dass Nuschin aus der ukrainischen Gefangenschaft in die Hände der Wagner-Kämpfer geraten war. Laut Mychajlo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, kehrte der Mann im Rahmen eines Gefangenenaustauschs in seine Heimat zurück. Dabei habe Nuschin in Übereinstimmung mit allen gesetzlichen Vorschriften eine freiwillige Zustimmung zu dem Austausch unterzeichnet, erklärte Podoljak dem oppositionellen russischen TV-Sender Doschd.
Die exil-russische Menschenrechtsorganisation "Gulagu.net" zweifelt jedoch daran, dass Nuschin freiwillig überstellt wurde. Die Aktivisten fordern ukrainische Behörden auf, Aufnahmen der Überwachungskameras der Einrichtung, in der Nuschin festgehalten wurde, zu veröffentlichen. Von besonderem Interesse ist für die Menschenrechtler dabei der Moment, in dem der Mann zur Auslieferung an Russland aus seiner Zelle geführt wird. "Es besteht der begründete Verdacht, dass Jewgenij Nuschin nicht freiwillig, sondern unter Zwang an die russischen Sicherheitsdienste und Prigoschin, Chef der Gruppe Wagner, übergeben wurde", schrieb die Organisation auf Telegram.
Kiews Taktik gerät in Gefahr
Sollte Nuschin tatsächlich gegen seinen Willen ausgeliefert worden sein, könnte der Fall unangenehme Folgen für die Ukraine haben. Denn die Regierung in Kiew bemüht sich, Russen dazu zu bringen, sich freiwillig zu ergeben. Nach der Ausrufung der Mobilisierung in Russland forderte Selenskyj die Eingezogenen auf, sich nach der Ankunft in der Ukraine in die Gefangenschaft zu begeben, um sich das Leben zu retten. Die Behörden ließen eine Website und eine Hotline einrichten, die die russischen Soldaten Schritt für Schritt durch den Prozess führen sollen. Der Präsident versprach den Überläufern, dass sie nicht zurück nach Russland geschickt würden, falls sie es nicht wünschten.
Selenskyjs Berater Podoljak vermutet, Russland hätte mit der Exekution Nuschins ein Exempel statuieren wollen, um russische Soldaten, die sich freiwillig ergeben wollen, einzuschüchtern. Auch Ilja Ponomarjow, ehemaliger Abgeordneter des russischen Parlaments, führt den Mord an Nuschin auf "Propagandazwecke" zurück. Der Politiker, der im ukrainischen Exil lebt, hat jedoch eine andere Erklärung für den Vorfall.
War Nuschin ein Geheimdienstagent?
Ponomarjow zufolge soll Nuschin ein Agent der russischen Geheimdienste gewesen sein, der die Legion Freiheit Russlands infiltrieren sollte. Bei dieser Legion handelt es sich um einen Verband der ukrainischen Streitkräfte, der aus russischen Überläufern besteht, die auf Seite der Ukraine kämpfen. Demnach scheiterte Nuschin aber an einem Lügendetektortest vor der Aufnahme in die Legion, wurde daraufhin verhaftet und gegen ukrainische Gefangene ausgetauscht.
Medienberichten zufolge leitet Ponomarjow seit Ende August ein politisches Zentrum, dem neben der Legion russischer Überläufer auch die "Nationale Republikanische Armee" angehört - eine Gruppe, die nach Ponomarjows Angaben hinter dem Mordanschlag auf die Kreml-Propagandstin Darja Dugina steht. Die Tochter des rechtsradikalen Ideologen Alexander Dugin war bei einem Autobombenanschlag am 20. August bei Moskau getötet worden.
Quelle: ntv.de