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Stimmen der Auslandspresse "Deutschland erlebt gerade düstere Zeiten"

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Björn Höcke - AfD-Spitzenkandidat in Thüringen.

Björn Höcke - AfD-Spitzenkandidat in Thüringen.

(Foto: dpa)

Sachsen und Thüringen haben gewählt. Im Erfurter Landtag bildet erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik eine als rechtsextrem eingestufte Partei die Mehrheit. Die Regierungsbildung ist äußerst schwierig. In beiden Ländern fährt zudem das populistische BSW große Gewinne ein. Mehrere ausländische Zeitungen kommentieren die Wahlausgänge.

"Lägen Thüringen und Sachsen im Westen oder wäre am Sonntag in einem westdeutschen Bundesland abgestimmt worden - das Ergebnis für die Ampel hätte wohl auch nicht sehr viel besser ausgesehen", kommentiert der Wiener "Standard". "Die Koalition in Berlin gibt ein trauriges Bild ab. Man ist fertig miteinander, zusammen hält das unattraktive Dreierbündnis nur noch die Angst vor den Wählerinnen und Wählern. Und dann passierte kurz vor den Wahlen auch noch der schreckliche Anschlag von Solingen. Er legte nicht nur tatsächliche Versäumnisse offen, sondern auch Emotionen, die weder Ex-Kanzlerin Angela Merkel noch ihr Nachfolger Olaf Scholz begriffen haben: Die Menschen haben Angst", heißt es weiter. "Gegen die Furcht kommen die Zahlen, Fakten und Beteuerungen des Kanzlers immer weniger an. Wie Scholz aus diesem Dilemma herauskommen will, wie er wieder Vertrauen gewinnen will, ist unklar. Deutschland erlebt gerade düstere Zeiten. Nach diesen beiden Wahlen wird der Weg nicht leichter.

Die italienische "La Repubblica" schreibt: "Während sich der alte Kontinent auf dem schmalen Grat eines möglichen Kriegs und eines Infarkts der Demokratie bewegt, muss er sich zugleich mit einem inneren Feind auseinandersetzen. Die europäischen institutionellen Systeme sind infiltriert. In Italien, in Frankreich und nun immer unverhohlener in Deutschland." Der Keim des Putinismus wachse sogar in strukturierten Ländern mit einer soliden demokratischen Tradition. "Was in den beiden deutschen Regionen geschehen ist, ist der jüngste Beweis. Der Kreml hat jetzt seine Wortführer im Herzen Europas. Russlands Präsident hat einen außergewöhnlichen und beunruhigenden politischen Sieg errungen. Die 'faschistische' rechte AfD und die nostalgische Linke sind zusammen mit anderen europäischen Formationen wie dem Rassemblement National in Frankreich oder der Lega in Italien seine Vorposten in der EU." Die Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Krieg in der Ukraine werde durch ein scheinbares Streben nach Frieden kaschiert.

"Sie fühlen sich als Deutsche zweiter Klasse"

"Aus dem Wirbelsturm der beiden Landtagswahlen geht ein anderes Land hervor, ein anderes Deutschland", schreibt die italienische "Corriere della Sera". In Erfurt und Dresden vertraue eine Mehrheit der Bevölkerung ihre Enttäuschungen und Frustrationen zwei populistischen Parteien an, "der nationalistischen und fremdenfeindlichen Ultra-Rechtspartei AfD sowie der neo-peronistischen Hybridpartei BSW, der politischen Kreatur von Sahra Wagenknecht, die prorussischen Pazifismus, wirtschaftlichen Statismus und harte Anti-Einwanderungspolitik miteinander verbindet", heißt es weiter. "Das Ergebnis bestätigt, dass 34 Jahre nach der Wiedervereinigung und Tausender Milliarden Euro, die in die ehemalige DDR investiert wurden, eine Mehrheit der Bevölkerung in den beiden Bundesländern keine Loyalitätsbindungen zu den traditionellen Parteien hat. Deren Entscheidungen akzeptieren sie nicht, deren Codes verstehen sie nicht, vielleicht teilen sie nicht einmal deren Konzept der Demokratie. Sie fühlen sich als Deutsche zweiter Klasse oder, schlimmer noch, als Ausländer in ihrer Heimat."

Das "Wall Street Journal" aus New York schreibt zu den Landtagswahlen: "(...) Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag (...) sorgen für weitere Bestürzung auf einem Kontinent, der bereits durch den Niedergang der traditionellen Parteien und den Aufstieg der Aufständischen verunsichert ist. (...)" Das größere Problem sei, was der gemeinsame Aufstieg der AfD und der BSW über den Kollaps der Regierungsparteien in Deutschland aussage. "Es bestätigt, was nationale Umfragen schon seit einem Jahr oder länger sagen: Die Wähler haben die Nase voll von Olaf Scholz und einer Koalition, die Migration nicht steuern kann und sich trotz des greifbaren und wachsenden wirtschaftlichen Schadens an Klimazielen festklammert." Damit blieben als einzige Mainstream-Alternative zu den Aufständischen nur noch die Christdemokraten (die CDU und Bayerns CSU). "Man darf es den deutschen Wählern nicht vorwerfen, keine Geduld mehr mit ihren dysfunktionalen Regierungsparteien zu haben. Man sollte den Vorwurf den etablierten Politikern machen, die zu langsam sind und Nabelschau betreiben, während der Frust der Wähler steigt."

Der Schweizer "Tages-Anzeiger" kommentiert: "Breite Mehrheiten in Ostdeutschland wollen die irreguläre Einwanderung nicht bremsen, sondern stoppen - und die Lieferung von Waffen an die Ukraine ebenfalls. Beide Themen erklären den Triumph der rechtsextremistischen AfD und der neuen populistischen Querfront-Gruppe von Sahra Wagenknecht. Zusammen sammeln sie in Thüringen fast die Hälfte aller Stimmen ein." Beiden sei es gelungen, den Unmut über die Regierung in Berlin auf ihre Mühlen zu lenken - besser jedenfalls als der wichtigsten Oppositionspartei in Deutschland, der CDU. "Dennoch gehört auch sie zu den Siegern. Anders als die AfD, die in ihrem Extremismus isoliert bleibt, ist die CDU die letzte Partei der breiten Mitte, um die herum sich in solch konservativen Landstrichen überhaupt noch Regierungen bilden können: In Sachsen behauptet sich Ministerpräsident Michael Kretschmer gegen die AfD, in Thüringen winkt Mario Voigt die Staatskanzlei - schwierige Koalitionsverhandlungen vorbehalten." Für die SPD, die Kanzlerpartei, falle der erste Wahltag im Osten rabenschwarz aus. "Gehen die Sozialdemokraten in drei Wochen auch in Brandenburg unter und verliert ihr Ministerpräsident Dietmar Woidke dort seine Macht, wackelt auch Kanzler Olaf Scholz. In Hinblick auf die Bundestagswahlen in einem Jahr ist eine Revolte der Partei gegen ihn dann nicht mehr auszuschließen."

Quelle: ntv.de, mli/dpa

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