Bußprozession stiftet Identität Deutschland tut zu wenig für den Klimaschutz? Falsch!


Der CO2-Ausstoß ist in den Jahren 2022 und 2023 in Deutschland gesunken.
(Foto: picture alliance / Daniel Kubirski)
Was wurde erreicht? Wie wird darauf reagiert? Und was passiert dann politisch? Am deutschen Klimaschutz zeigt sich, dass Framing alles ist.
Wer - ehrlich oder vorgeblich - überzeugt ist, dass vom eigenen Handeln der Fortbestand des Planeten abhängt, kann keine Kompromisse machen. Der darf sie nicht eingehen, denn sie lassen ihn neuerlich schuldig werden. Wer darum sich selbst und andere immerfort zu größtmöglichen Anstrengungen bewegen will, der muss die Aufgabe immerfort größtmöglich darstellen - und jedweden Erfolg so klein, wie es nur geht. So weit ist das alles Politik und der Mechanismus aus unzähligen anderen Zusammenhängen bekannt. Beim Klimaschutz treten freilich das Glaubenshafte und Religiöse hinzu, die dem Untergang der Welt oder der Rettung der sündigen Menschheit seit jeher innewohnen. Klimaschutz in Deutschland ist für tonangebende Milieus eine niemals endende, immer neu Identität stiftende Bußprozession. Dieses Framing hat Folgen.
Ein möglicher Befund, es sei in Deutschland genug Aufwand betrieben worden und die gesteckten Etappenziele seien erreicht, muss medial und emotional konkurrieren mit den Nachrichten zur globalen Erderwärmung. Der karge Abgleich zwischen deutschem Anspruch und deutscher Wirklichkeit steht im Wettbewerb mit jedem großen Buschfeuer, jedem Hurrikan und jeder Überschwemmung auf dem Planeten. Sie scheinen den Glaubenssatz stets neu zu bestätigen, wonach auch hierzulande nicht genug getan und nicht genug erreicht wird. Das führt geradewegs zu politischen, gesetzgeberischen Übertreibungen und diese geradewegs zu gesellschaftlichen Überforderungen. Oder wie der Klempner sagt, wenn er eine Schraube andreht: Nach fest kommt ab.
Damit kein Missverständnis entsteht: Der Sommer 2023 war auch auf der Nordhalbkugel der heißeste seit Menschengedenken, der Sommer 2024 war mindestens so heiß, wenngleich in Deutschland zugleich ziemlich verregnet. Die Erderwärmung ist real, sie ist menschengemacht und die Gutachten-Schlacht der 70er- und 80er-Jahre vorbei. CO2- Neutralität ist als das richtige globale Ziel auserkoren. Reiche, früh industrialisierte Länder wie Deutschland haben dabei eine besondere Bringschuld, weil sie ihren Wohlstand zu großen Teilen mit der Verbrennung fossiler Rohstoffe erlangt haben. Kurzum: Ich bin kein Klimawandelleugner. Ich bin auch kein großer Klimaschutzskeptiker. Ich bin bloß sauer. Denn in vielen Diskussionen fällt mir immer wieder auf: Macht der deutsche Klimaschutz Fortschritte, werden sie von jenen Gruppen, die ihn am lautesten fordern, entweder relativiert oder geleugnet.
Es werden derzeit Hunderte Milliarden bewegt und am Wirtschaftsstandort Deutschland Weichen auf Jahrzehnte für Arbeit, Wachstum und Wohlstand gestellt - oder für das Gegenteil. Hält man die Bevölkerung da wirklich am besten bei der Stange, indem man ihre Anstrengungen und deren Erfolge ignoriert? Ich denke, nein. Aber viele der einschlägigen Politiker und Experten machen es anders: Wenn gute Nachrichten der eigenen, höheren Sache zu schaden drohen, sind es keine guten Nachrichten mehr.
In den vergangenen Jahren konnte man minutiös verfolgen, was passiert, wenn die Kennzahlen des deutschen Klimaschutzes nicht (mehr) in die große Untergangs- und Schulderzählung passen. Darum kurz zur Vergewisserung: Werden die mehrfach verschärften deutschen Klimaschutzziele bis 2045 tatsächlich erreicht und würden sich global alle Akteure ebenso verhalten, wäre das hochgerechnet ausreichend, um die Erderwärmung knapp oberhalb plus 1,5 Grad zu stabilisieren und gegen Mitte des Jahrhunderts unterhalb dieser Marke zu bleiben.
Anfang Januar 2023 schätzten die bestens beleumundeten Experten von Agora Energiewende wie jedes Jahr den CO2-Ausstoß und verkündeten, er sei 2022 merklich gestiegen. In Wahrheit, so kam einige Monate später heraus, war der Gesamtausstoß aber gesunken - und hatte die Jahresetappe auf dem beschlossenen Weg bis 2030 erfolgreich passiert. "Follow the science", rufen Experten und Aktivisten gern. "Follow the figures", möchte man zurückrufen. Guckt euch die Zahlen doch an. Während die deutsche Wirtschaft 2022 um 1,8 Prozent wuchs, schrumpfte der CO2-Ausstoß um 1,9 Prozent. Trotzdem kam die Erfolgsbilanz bei vielen Medien und Politikern schlecht weg: Verkehr und Gebäudeenergie hätten ihre "Sektorziele" verfehlt, das sei Grund zu großer Sorge, so der triste Tenor. Das sollte wohl den Aktions-erheischenden Mythos vom säumigen CO2-Sünder Deutschland retten, dem sich auch manche Medien verpflichtet fühlen, die in Sachen Klimaschutz nicht neutral bleiben.
Auch 2023 sank der CO2-Ausstoß in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr, sogar um zehn Prozent auf 673 Millionen Tonnen, es ist der stärkste Jahresrückgang seit 1990. Als Gründe nennt das Umweltbundesamt, dass die Kraftwerke deutlich weniger Kohle verstromten, der Import von billigem Ökostrom zunahm, in Deutschland Sonnen- und Windenergie schneller ausgebaut wurden sowie einzelne energieintensive Industrien die Produktion um rund zehn Prozent drosselten. Das jährliche Klimaschutzziel sei um knapp 50 Millionen Tonnen unterboten worden und Deutschland mit Blick auf das nächste Etappenziel im Jahr 2030 gut unterwegs. (Auch 2024 erreichte Deutschland das Gesamtziel der vorgesehenen CO-Reduzierung, Anm. d. Red.)
Die Reaktionen der einschlägigen Verbandsvertreter und Experten fallen erneut ziemlich ungnädig aus. Sie tun, was sonst nur die AfD mit Zahlen macht, die ihr nicht in den Kram passen: Sie erklären, warum sie angeblich nichts wert seien. Die DIW-Umweltexpertin Claudia Kemfert erläutert in den ARD-"Tagesthemen" fünf Minuten lang, dass Deutschland die Klimaziele zwar erreiche, aber dass es eigentlich nichts bedeute, weil sie in Zukunft ja vielleicht nicht mehr erreicht würden. Darum brauche es, ceterum censeo, eine drastische Verschärfung des Klimaschutzes. Die Gegenwart sei allein deshalb unbefriedigend, weil die Zukunft es sein könnte - das ist eine Logik, die zum Himmel schreit.
Klimaschutz findet nicht im luftleeren oder demokratiefreien Raum statt. Im Gegenteil, Klimaschutz ist inzwischen eine Polarisierungswaffe größten Kalibers, denn es geht um viel Geld der Bürger und um die Identität großer Gruppen von ihnen. Obwohl sich der Mythos von den komplett ungenügenden deutschen Klimaschutzanstrengungen wie gesehen widerlegen lässt, hat er von seiner Lenkungskraft kaum etwas eingebüßt. Die falschen Wahrheiten vom vermeintlichen deutschen Versagen vor der Menschheit haben die Ampel-Regierung in ein sträflich überhastetes Heizungsgesetz getrieben. Im Rückblick markiert das Gesetz den Anfang vom Ende der Bundesregierung, es hat in vielfacher Hinsicht Schaden angerichtet.
Rund 30 Millionen Haushalte, die mit Gas oder Öl heizen, sind damals potenziell betroffen. Es sind sage und schreibe drei Viertel aller Haushalte in Deutschland. Ihnen soll im Falle des Falles kaum Zeit gelassen werden, eine neue Heizung einzubauen, meist zu fünfstelligen Preisen. Doch es fehlen Information, Transparenz, Förderung, Handwerker, Material, eigentlich alles. Gerechtfertigt wird der Druck mit der dringenden Notwendigkeit, weniger Gas zu verbrauchen - und damit, dass Deutschland im Kampf gegen die CO2-verursachte Erderwärmung angeblich im Verzug sei. Dieser Verzug habe sich noch verschärft, so heißt es, weil das Jahr 2022 vollständig von der Energieversorgungskrise und dem Ukraine-Krieg absorbiert war und damit, so die politische Grundierung durch die Grünen, für den Klimaschutz verloren.
Wer diese Darstellung der damaligen Abläufe für eine Verschwörungserzählung der extremen Rechten hält, soll sich anhören, was Klimaschutzminister Robert Habeck bei den Feiern zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes dazu sagte: "Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja ehrlicherweise auch ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz - wenn er konkret wird - zu tragen." Und: "Ich bin zu weit gegangen."
Inzwischen ist es ruhig geworden um das Gesetz, doch viele Umfragen zeigen, wie sehr das Ansehen des Klimaschutzes unter diesem Eingriff des Staates in die millionenfache Lebensführung der Einzelnen leidet. Die jeweiligen Gruppen von Betroffenen und ohne Not vor den Kopf Gestoßenen umfassen auf Millionen. Sie sind mehrheitsfähig und politisch ansprechbar, wenn sie das Gefühl nicht mehr loswerden: Genug ist genug.
Darüber freuen darf sich vor allem die AfD und inzwischen auch das Bündnis Sahra Wagenknecht. Beide Populisten können das Portemonnaie der Leute mit deren Identitätsbedürfnis verbinden, die bezifferbare Belastung ihres Kontos mit der gefühlten Geringschätzung ihrer Gewohnheiten und ihres Lebenswandels. Bei der Europawahl 2024 wird die AfD sogar unter den 16- bis 24-jährigen Wählern zweitstärkste Kraft, die Grünen büßen spektakuläre 23 Punkte im Vergleich zu 2019 ein. Generation "Greta" hat Greta in die Wüste geschickt.
Quelle: ntv.de