Rechtsextremismus im Osten "Die Entwicklung der Union macht mir Angst"
07.02.2025, 16:43 Uhr
Teilnehmer einer von der rechtsextremen Partei "Freie Sachsen" angemeldeten Demonstration im Januar in Chemnitz.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der 22-jährige Jakob Springfeld veröffentlicht mit "Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert" schon sein zweites Buch nach "Unter Nazis". Darin geht er der Frage nach, warum es Rechtsextremen im Osten besonders leicht fällt, Raum und Debatten zu kapern. Die Gefahr des sich ausbreitenden extremrechten Gedankenguts hält Springfeld für unterschätzt. Das gelte insbesondere für den Westen der Republik, der keinesfalls vor ähnlichen Entwicklungen gefeit sei. Im Interview mit ntv.de erzählt Springfeld von seinen Beobachtungen - und welche Rolle die CDU bei der Normalisierung extremrechten Gedankenguts spielt.
ntv.de: Herr Springfeld, ich bin selbst im Osten während der sogenannten Baseballschläger-Jahre aufgewachsen. Wer damals als Jugendlicher nicht rechts war, musste sich zu später Stunde auf der Straße in Acht nehmen, erst recht Migranten. Ist also alles wie immer im Osten?
Jakob Springfeld: Nein. Diese offene Straßengewalt der Baseballschläger-Jahre ist in Teilen zurückgegangen. Aber dafür ist das rechtsextreme Gedankengut mittlerweile so weit normalisiert, dass extremrechte Gedanken und Ideen den Diskurs bestimmen, oft auch ohne Gewaltanwendung. Wir dürfen bei Neonazis nicht nur an Männer mit Springerstiefeln und Glatze denken. Bei meinen Schul-Lesungen begegnen mir oft Jugendliche, denen man ihr rechtes Gedankengut nicht ansieht.
Und was machen die?
Sie sorgen für Einschüchterung, bis sich die demokratisch denkenden Mitschüler nicht mehr zu Wort trauen. Das halte ich für ein Hauptproblem: Dass die anderen Kids in Ostdeutschland und auch Teilen Westdeutschlands nicht mehr widersprechen, aus Angst vor Ausgrenzung oder Mobbing. So entsteht eine Stimmung, in der rechtes Gedankengut zur gefühlten Norm wird. In meinen Lesungen trauen sich Schüler selten, von ihren Erfahrungen zu berichten. Sie sprechen mich dann eher einzeln nach der Veranstaltung an. Das ist eine Zuspitzung, wie es sie vor fünf Jahren noch nicht gab, als ich in Zwickau das Gymnasium besucht habe.
Die Gründe für die hohen AfD-Werte und die vielen Rechtsextremisten in den ostdeutschen Flächenländern sind seit Jahren Gegenstand aufgeregter Debatten. Welche Faktoren halten Sie für maßgeblich?
Ich werde oft nach den vielen jungen AfD-Wählern gefragt. Ich glaube, da hat sich die Erfahrung meiner Elterngeneration auf die Kinder übertragen: Mein Vater hat beispielsweise nach der Wiedervereinigung seinen Job verloren, fand dann glücklicherweise Arbeit bei Volkswagen. Nun gilt die Zukunft des VW-Werkes in Zwickau als ungewiss. Es geht die Angst um, den schon einmal erfahrenen sozialen Abstieg erneut erleben zu müssen. Diese Ängste werden durch AfD und Co. zusätzlich geschürt. Hinzu kommt, dass der Rassismus auch schon zu DDR-Zeiten grassierte. Über die Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen der DDR-Gastarbeiter aus Mosambik, Vietnam oder Kuba wurde damals hinweggeschwiegen.
Tradierter Rassismus, Abstiegsängste, … was noch?
Die Ursachen sind vielfältig. Gerade bei jungen Männern gelingt es den Rechten besser, auf einer ganz niedrigschwelligen Ebene als cool zu gelten. Man kann da sehr leicht mitmachen, indem man zum Beispiel in ein rechtes Kampfsportstudio geht. Wenn man sich irgendwie für einen starken Mann hält, findet man bei denen schnell eine Gemeinschaft. Bei demokratischen, zivilgesellschaftlichen Initiativen ist die Zugangsschwelle oft höher und es fehlt auch oft an Räumlichkeiten.
Dass Rechtsradikale und Rechtsextreme in Nischen stoßen, die ihnen andere überlassen, wusste man schon in den späten 90er Jahren.
Und seither hat sich auch viel getan. Die löchrige Brandmauer zwischen AfD und CDU auf kommunaler Ebene führt aber dazu, dass Initiativen von Jugendlichen oder der Zivilgesellschaft die Mittel gekürzt werden. Auch der allgemeine Spardruck in den öffentlichen Haushalten hat den Rechtsruck der letzten Jahre befördert.
Haben Sie ein Beispiel für die löchrige Brandmauer?
In Zwickau gibt es seit wenigen Jahren einen Jugendbeirat. Das ist ein demokratisches Gremium, das dem Stadtrat beigeordnet ist und über das junge Menschen mitbestimmen können. Und in diesen Jugendbeirat haben junge Menschen tatsächlich den AfDler Julian Bader gewählt. Als der NDR aufdeckte, dass Bader Kontakte zu rechtsterroristischen Netzwerken pflegte, gab es im Stadtrat einen Antrag auf Baders Ausschluss. Zusammen mit der AfD stimmte ein Großteil der CDU-Fraktion dagegen. Bader ist zwar später freiwillig ausgeschieden, aber das Beispiel zeigt, wie weit die Normalisierung von Rechtsextremen und ihrem Gedankengut schon vorangeschritten ist.
Welche Rolle spielen die Pandemie-Jahre bei dieser Entwicklung?
Man konnte wirklich auf dem Marktplatz zusehen, wie junge Menschen erst mit sogenannten Querdenkern gesprochen haben, dann mit der AfD in Kontakt kamen und am Ende bei der Neonazi-Partei "Dritter Weg" gelandet sind. Sozialarbeiterstellen und andere Anlaufpunkte waren geschlossen, während rechte Kampfsportstudios heimlich geöffnet blieben. Zugleich verbrachten die Menschen mehr Zeit in den sozialen Medien, wo sie von rechter Propaganda regelrecht überflutet wurden. Dort wird auch ein Zerrbild von der demokratischen Zivilgesellschaft gezeichnet. Etwa, dass wir uns gar nicht um die sozialen Probleme kümmern, sondern nur um die Durchsetzung einer sogenannten Gender-Ideologie. Das ist Unsinn, aber diese simplen Botschaften dringen offensichtlich leichter durch.
Die Corona-Spaziergänge als Katalysator der Radikalisierung?
Gerade rechtsextreme Kräfte veranstalten nach wie vor wöchentlich Montagsproteste. Die sind seit Jahren beständig präsent, sind regelmäßig in kleinen Orten, Montag für Montag auf der Straße - auch wenn da manchmal nur 20, 30 Leute dabei sind. Wir als demokratische Kräfte schaffen es häufig erst dann, uns zu positionieren, wenn die nächste Grenzüberschreitung geschieht. Wir reagieren immer nur, löschen Brände. Wir sind aber nicht so regelmäßig präsent und ansprechbar wie die rechtsextremen Kräfte. Dabei wollen die Menschen oft nur irgendwie mit ihren Gefühlen umgehen. Und das Erste, was sie auf der Straße finden, sind von Rechtsextremen angemeldete Montagsproteste.
Aus den Demonstrationen gegen einen Rechtsruck, die vor einem Jahr auch in vielen kleineren Orten im Osten stattfanden, ist nichts Bleibendes entstanden?
Es sind neue Strukturen entstanden und in Sachsen hat eine Vernetzung zivilgesellschaftlicher Initiativen stattgefunden, wie ich es zuvor noch nicht erlebt habe. Zugleich ist die Zustimmung zur AfD seither nicht geringer geworden. Das lässt mich grübeln über die Sinnhaftigkeit von Massenprotesten, deren Kernbotschaft zugespitzt lautet: Wer AfD wählt, ist doof. Diese Proteste können Menschen zusammenbringen, aber sie sind keine Antwort auf die Ursachen des zunehmenden Rechtsextremismus.
Geht es denn tatsächlich um soziale Probleme? Westdeutsche wundern sich oft, wie schön die meisten Menschen in und um Zwickau, Bautzen, Cottbus und so weiter wohnen.
Ja, aber ob begründet oder nicht: Die Abstiegsängste der Menschen hier sind vorhanden und werden von der AfD befeuert. Das ist ähnlich wie mit der Furcht vor Migranten. Die ist im Erzgebirge enorm groß, obwohl der Ausländeranteil dort besonders niedrig ist.
Diese Antwort dürfte nicht für mehr Verständnis bei Westdeutschen sorgen.
Mich nervt das, wenn Westdeutsche alle Probleme auf den Osten projizieren, anstatt vor der eigenen Haustür zu kehren. Solche Verkürzungen helfen genauso wenig wie der im Osten populäre Autor Dirk Oschmann, der - verkürzt gesagt - den Westen für alle Probleme im Osten verantwortlich macht. Als ich nach einer Lesung in München gefragt wurde, wie die Bayern den Sachsen helfen könnten, habe ich von einer Hakenkreuz-Schmiererei an einer Kirche in Pfaffenhofen erzählt. Die Menschen dort kümmern sich besser zuerst einmal um rechtsextreme Umtriebe im Münchener Umland. Die demokratischen Akteure im Osten brauchen keine Westdeutschen, die ihnen die Demokratie beibringen, aber sie brauchen deren Unterstützung und Solidarität.
Friedrich Merz wollte in der vergangenen Woche der AfD das Wasser abgraben, indem er mit AfD-Stimmen eine andere Migrationspolitik durchsetzen wollte. Kann das funktionieren oder bestätigt er so nur AfD-Erzählungen?
Erst einmal sollte man festhalten, dass die Ampel-Parteien eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts durchgedrückt haben und dass die Zahl der Geflüchteten durch andere Maßnahmen zuletzt zurückgegangen ist. Den Vorwurf, dass nichts getan worden sei, finde ich verlogen. Auch die Kriminalitätsstatistik legt die Union einseitig aus. So ist beispielsweise die Zahl der Morde in Deutschland rückläufig. Deswegen würde ich Friedrich Merz schon vorwerfen, dass er in der Gesamtschau die Stigmatisierung von Menschen mit Migrationsgeschichte befördert. Es heißt immer, die Gruppe der Nicht-AfD-Wähler sei die Mehrheit im Land. Aber wenn es darum geht, rassistischen Behauptungen zu widersprechen und einzuschreiten, wenn jemand menschenverachtende Dinge sagt oder tut, ist auf die Union kein Verlass. Die demokratische Mehrheit gegen die Rechtsextremen ist wackelig.
Beobachten Sie denn im Osten, dass die CDU die Brandmauer weiter infrage stellt; eine Zusammenarbeit von CDU und AfD auf Landesebene mithin näher rückt?
Auf jeden Fall. Nach der gemeinsamen Mehrheit von AfD und Union für Merz‘ Fünf-Punkte-Plan forderten einige CDU-Politiker in Sachsen und Sachsen-Anhalt das Ende der Brandmauer auch in ihren Landesparlamenten. Mir persönlich fällt es schwer, nach Merz‘ Wortbruch seinen Beteuerungen zu glauben, die Union werde niemals mit der AfD zusammenarbeiten. Man darf aber auch nicht die ganze CDU in Geiselhaft nehmen für diesen Kurs. Ich denke etwa an den CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz, der sich für ein AfD-Verbot eingesetzt hat. Dennoch: Die Entwicklung der Union macht mir Angst.
Waren denn die mit teils schwerwiegenden Anschuldigungen gespickten Massenproteste gegen die Union hilfreich, um sie zurück ins Boot zu holen?
Die Steigbügelhalter-Vorwürfe muss sich Friedrich Merz jetzt gefallen lassen. Aber Faschismus-Vorwürfe in Richtung Union finde ich unangebracht. Das ist auch realitätsfern. In den Kommunalparlamenten müssen die anderen demokratischen Parteien und Akteure ja weiter mit der CDU in der Sache zusammenfinden.
Ihr neues Buch liest sich über weite Strecken sehr wütend. Ist es eine stellvertretende Wut für diejenigen, die Sie im Land vermissen angesichts des Vormarschs der Rechtsextremen?
Ich hatte mir nicht vorgenommen, ein total wütendes Buch zu schreiben. Das kommt wohl dabei heraus, wenn nach jeder Lesung mit meinem ersten Buch vier, fünf Leute zu mir kommen und mir ihre persönlichen Geschichten von Diskriminierung, Rassismus und Ausgrenzung erzählen. Diese Geschichten habe ich im Kopf, wenn ich im öffentlichen Diskurs eine verkürzte Migrationsdebatte nach der anderen erlebe, während beispielsweise die wachsende Zahl von Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte kaum besprochen wird. Ja, das macht mich wütend.
Mit Jakob Springfeld sprach Sebastian Huld
Quelle: ntv.de