Politik

Hilljes Wahlkampfcheck Die roten Socken sind löchrig

Plakate von SPD, FDP und Grünen stehen einträchtig an einer Straße. Dass Christian Lindner sagt, für die Ampel fehle ihm die Fantasie, ist strategisch klug - was nach dem 26. September daraus wird, ist allerdings offen.

Plakate von SPD, FDP und Grünen stehen einträchtig an einer Straße. Dass Christian Lindner sagt, für die Ampel fehle ihm die Fantasie, ist strategisch klug - was nach dem 26. September daraus wird, ist allerdings offen.

(Foto: picture alliance / Goldmann)

Koalitionsmodelle stehen plötzlich im Zentrum der Wahlkampfdebatte. Aus guten Gründen: Die Deutschen wählen strategisch und beziehen Koalitionsvorlieben in ihre Wahlentscheidung ein.

Sprechpausen verraten häufig den Redenden: Das Innehalten von Armin Laschet gegen Ende des TV-Triells diente ihm einerseits als kurze Erinnerungspause, denn den anschließenden Satz hatte er fraglos vorher eingeübt. Andererseits fungierte sie als dramaturgisches Mittel, das die Aufmerksamkeit des Publikums zu fortgeschrittener Stunde noch einmal für eine wichtige Mitteilung disziplinieren sollte.

Dann blaffte er Olaf Scholz an: "Sie können nicht spielen wie Angela Merkel und reden wie Saskia Esken." Sekunden zuvor hatte Scholz die Linkspartei zwar durch ein Kurzreferat faktisch als Koalitionspartner ausgeschlossen, aber praktisch dann eben doch nicht. Den einen klärenden Satz zur Absage an ein Linksbündnis brachte er nicht über die Lippen. Die "Linken-Frage" veranlasste am Dienstag selbst die wahlkampfmüde Angela Merkel, sich in die Debatte einzuschalten. Nicht mit der langersehnten Lobeshymne auf Laschet, aber immerhin mit einer Erbunwürdigkeitserklärung zu Scholz.

Doch nützt der CDU tatsächlich das Hochkochen eines letztlich unwahrscheinlichen Linksbündnisses in Form einer "Rote Socken 2.0"-Kampagne? Oder ist andersrum der Nicht-Ausschluss dieser Konstellation gar eine kluge Strategie von Scholz?

Der Reihe nach. Zunächst steht fest, dass im Wahlkampf nun kräftig mit Farben gespielt, ja man sollte sagen, geworfen wird. Vier Koalitionsmodelle sind derzeit mindestens zahlenmäßig möglich. Für die Wochen bis zur Wahl wirft das zwei wichtige Fragen auf: Erstens, welche Rolle spielen Koalitionsüberlegungen im Wahlverhalten der Menschen? Und zweitens, wie sollten die Parteien folglich mit Koalitionsoptionen im Wahlkampf umgehen?

Wer die Ampel will, wählt eher SPD

Zu Frage eins: Ja, die Wählerinnen und Wähler beziehen Koalitionsmöglichkeiten in ihre Wahlentscheidung ein. Zwei Erwägungen spielen dabei eine Rolle: Die Vorliebe für eine bestimmte Koalition und die persönliche Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, dass diese Koalition tatsächlich zu Stande kommt. Grundsätzlich gilt also: In Deutschland wird strategisch gewählt.

Für die Bundestagswahl 2017 haben Wahlforscher im Rahmen der German Election Longitudinal Study dazu Interessantes herausgefunden, das auch für die Parteien bei dieser Wahl informativ ist. So galt 2017 für die SPD: Wer für die Ampelkoalition war, hat mit höherer Wahrscheinlichkeit für die SPD gestimmt (wohingegen für FDP und Grüne die "Ampel" kein Stimmenfänger war). Wählende, die Rot-Rot-Grün (R2G) wollten, stimmten 2017 eher nicht für die SPD, sondern - Trommelwirbel - für die Linkspartei.

Auch die Daten zur Wahl der CDU von 2017 sind aufschlussreich: Eine Präferenz des Wählers für Schwarz-Grün oder die Große Koalition hat eher zu einer Stimme für die Merkel-CDU geführt als eine Vorliebe für Schwarz-Gelb. 2013 war Schwarz-Gelb hingegen noch ein Kassenschlager für die Union. Auch die Grünen können von der letzten Wahl lernen. Positive Effekte auf ihr Wahlergebnis hatte 2017 eine positive Einstellung zu Rot-Grün, noch mehr aber zu Schwarz-Grün. An diesem Beispiel der Grünen zeigt sich auch, wie Präferenz für und Wahrscheinlichkeit von einer Koalition gemeinsam einen Einfluss auf den Wähler haben: Weil Rot-Grün 2017 keine Aussicht auf eine Mehrheit hatte - anders sieht es mittlerweile in den derzeitigen Umfragen aus - hatte dieses Modell einen kleineren Effekt auf die Stimmabgabe für die Grünen als die schwarz-grüne Option, die damals zumindest nicht unerreichbar schien.

Die menschgewordene Ampel

Stellt sich nun die zweite Frage: Welche Strategie ist für die Parteien mit Blick auf Koalitionsaussagen vor der Wahl ratsam? Zunächst zurück zur SPD: Die oben geschilderten Daten zeigen, dass wenn R2G als realistische Perspektive gehandelt wird, in erster Linie die Linke davon profitiert. Warum schließt Scholz dann diese Variante nicht klipp und klar aus? Ein paar Anhänger würde er damit vermutlich schon vergraulen, zumal der SPD-Parteitag nach der Bundestagswahl 2013 beschloss, keine Koalition vor Wahlen (außer mit rechtspopulistischen Parteien) mehr auszuschließen.

Entscheidender ist aber etwas anderes: Politisch ist Scholz die menschgewordene Ampel. Sich vom Architekten von Hartz IV zum Anführer eines Linksbündnisses zu wandeln - das übersteigt dann doch die Vorstellungskraft. Lässt Scholz aber dennoch die Tür zu R2G auch nur einen Spalt weit offen, dann stärkt das ganz massiv seine Verhandlungsposition gegenüber der FDP in etwaigen Ampel-Verhandlungen. Würde die Ampel an der FDP scheitern, könnten die Liberalen für das Zustandekommen des Linksbündnisses haftbar gemacht werden.

Unterm Strich muss Scholz also tun, was er im Triell tat: R2G zu, sagen wir, 95 Prozent auszuschließen, auch um die mühsam von der CDU erkämpften Merkel-Stimmen nicht wieder zu verlieren. Aber eben nicht zu 100 Prozent, um ein Druckmittel gegen die FDP zu behalten. Nicht viel anders dürfte die Rechnung der Grünen sein, die in ihrer aktuellen Formel den Spieß umdrehen, indem sie der Linken vorwerfen "sich selbst auszuschließen". Eine klare Absage wird es aber auch von ihnen nicht geben.

Rot-Grün-Rot ist die zweitbeliebteste Option

Auch die FDP macht aus ihrer Sicht mit zur Schau gestellter Zuneigung zu Jamaika und übertriebener Distanz zur Ampel gegenüber der eigenen Wählerschaft prinzipiell nichts falsch. Und die Union? Mittlerweile stellt sich die Frage, ob sie auch als Juniorpartner bei der einst von ihr selbst ins Spiel gebrachten und von Laschet mutmaßlich favorisierten "Deutschland-Koalition" mitmachen würde. Eine solche Debatte will sie natürlich gar nicht erst anfangen.

Mit aller Hingabe führt die Union stattdessen einen negativen Koalitionswahlkampf. Schwerpunkt ist derzeit, eine rot-grün-rote Bundesregierung als Expressticket in den Sozialismus (one way, versteht sich) darzustellen. Ein paar müde gewordene Stammwähler mag der Lagerwahlkampf der Union in Wallung bringen, doch insgesamt ist die Strategie wenig erfolgsversprechend. Denn auch negativ gewendet werden die Wähler in erster Linie von den als realistisch empfundenen Koalitionsoptionen beeindruckt. Und Scholz steht eben für die Ampel, nicht für R2G. Zudem ist das Ansehen von Rot-Grün-Rot in der Bevölkerung erstaunlich positiv: Im ZDF-Politbarometer ist es hinter der Ampel die zweitbeliebteste Koalitionsvariante und liegt damit vor allen Konstellationen, die CDU und CSU einbeziehen.

Jenseits strategischer Erwägungen ist die derzeitige "Anti-Sozialismus"-Kampagne, mit der die Union durch die sozialen Netzwerke irrlichtert, zudem gefährlich geschichtsvergessen: Olaf Scholz mit Lenin zu vergleichen, dessen "Roter Terror" Millionen Menschen das Leben kostete, ist eine Verhöhnung der Opfer. Wem solche Grenzüberschreitungen letztlich nutzen, wollte die CSU ja eigentlich aus dem bayerischen Landtagswahlkampf 2018 gelernt haben. Hat sie offenbar nicht. Es bedankt sich die AfD, deren Entgleisungen ein Stück mehr normalisiert werden, wenn demokratische Parteien in ähnlichem Duktus daherreden.

Quelle: ntv.de

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