Mexiko-Experte zum Drogenkrieg "Die Verhaftung des El-Chapo-Sohns ist ein Geschenk an die USA"
13.01.2023, 18:56 Uhr
Soldaten vor dem Gefängnis, in dem Ovidio Guzmán untergebracht ist.
(Foto: REUTERS)
Anfang der Woche reiste US-Präsident Joe Biden nach Mexiko, um sich mit seinem Amtskollegen Andrés Manuel López Obrador zu treffen. Biden steht wegen der steigenden Zahl illegaler Einwanderer aus Mittel- und Südamerika innenpolitisch unter Druck. Gleichzeitig ist Washington wegen der Zunahme des Schmuggels von Fentanyl in die USA besorgt. Die Droge wird vor allem in illegalen Laboren in Mexiko hergestellt. Experte Falko Ernst von der Denkfabrik International Crisis Group äußert sich skeptisch über Bidens Plan zur Lösung der Migrationskrise. Die jüngste Festnahme eines Sohnes des früheren Drogenbosses "El Chapo" hält er für einen "PR-Erfolg".
ntv.de: Beim Staatsbesuch von US-Präsident Biden in Mexiko ließ sein Amtskollege López Obrador aufhorchen, als er ein Ende "der Geringschätzung Lateinamerikas" forderte. Sind die amerikanisch-mexikanischen Beziehungen so schlecht?
Falko Ernst: Die Beziehung zwischen Washington und Mexiko-Stadt ist pragmatisch, aber lieblos. Beide Seiten wissen, dass sie einander brauchen. Das Weiße Haus braucht Mexiko zur Migrationskontrolle. Mexiko nutzt das geschickt aus, lässt seine Soldaten als Barriere für die USA agieren und schafft sich dadurch Spielraum etwa in der Sicherheitspolitik, wo der Fingerabdruck der USA viel weniger erkennbar ist als unter früheren Präsidenten. Damals wurde von Mexiko weitestgehend das umgesetzt, was vom nördlichen Nachbarn gefordert wurde. Dadurch hat sich die Sicherheitslage im Land deutlich verschlechtert. Das hat auch zu Obradors scharfem Nichteinmischungskurs in innere Angelegenheiten geführt.

Falko Ernst ist Senior Analyst bei der International Crisis Group und arbeitet zu bewaffnetem Konflikt und organisierter Kriminalität in Mexiko.
(Foto: Falko Ernst)
Inwiefern hat Mexiko umgesetzt, was die USA wollten?
Vor allen Dingen dadurch, den Krieg gegen die Drogen wesentlich zuzuspitzen, also weit mehr als zuvor das Militär einzusetzen.
Die Visite Bidens in Mexiko-Stadt haben Sie auf Twitter mit den Worten "Lächeln und Stillstand" zusammengefasst. Was ist darunter zu verstehen?
Insbesondere in der Sicherheitspolitik haben weder Washington noch Mexiko-Stadt ein Konzept, wie es besser laufen könnte. Das Schlüsselpersonal der US-Botschaft in Mexiko sagt hinter vorgehaltener Hand, dass das Vertrauen auf beiden Seiten verloren gegangen und kurz- bis mittelfristig kein Fortschritt möglich ist. Es werden also medienwirksame Nachrichten produziert: Zusicherungen etwa, dass fortan gemeinsam entschlossen gegen den Drogenschmuggel vorgegangen wird. Dass sich dadurch strategisch und operativ in mexikanischen Sicherheitsbehörden etwa in puncto Korruption etwas ändert, darf man jedoch bezweifeln.
Biden hat vor einigen Tagen einen Plan verkündet, wonach monatlich bis zu 30.000 Einwanderer aus einzelnen Ländern unter strengen Auflagen legal in die USA einreisen dürfen. Im Gegenzug sollen 30.000 illegal eingereiste Migranten nach Mexiko abgeschoben werden. Was bringt das?
Lösen lässt sich die Migrationskrise damit nicht. Es entlastet bestenfalls kurzfristig das US-Einwanderungssystem und verschafft zumindest denen, die es in die USA schaffen, Zugang zu humaneren Bedingungen. Allerdings erwartet diejenigen, die nach Mexiko abgeschoben werden, eine wesentlich düstere Zukunft. Hier gibt es kaum systematische Unterstützung, etwa durch humanitäre Hilfe, und Flüchtlinge sind oft schutzlos kriminellen Gruppen ausgesetzt.
Im Endeffekt lässt sich das Problem nicht lösen, wenn die Treiber der Migration in den Fluchtländern - Armut, soziale Ungleichheit, Korruption - nicht angepackt werden. Dafür fehlt momentan allerdings der Wille zur länderübergreifenden Zusammenarbeit.
Welche Rolle spielen die mexikanischen Kartelle in diesem Zusammenhang?
Sie sind die großen Gewinner der Migrationskrise, sie verdienen am Menschenschmuggel, auch an Kidnapping und Schutzgelderpressung. Mehr verarmte und perspektivlose Menschen, insbesondere an der Grenze zu den USA, sind für sie zudem mehr potenzielle Rekruten.
Biden beklagte bei seinem Besuch in Mexiko, Zehntausende Amerikaner seien durch Fentanyl ums Leben gekommen. Die USA fordern, dass Mexiko mehr gegen den Schmuggel unternimmt. Wie sah die Zusammenarbeit auf dem Gebiet bislang aus?
Die Geschichte der US-geführten Drogenbekämpfung in Mexiko und dem Rest Lateinamerikas ist eine Geschichte des Scheiterns und eskalierender Gewaltspiralen. Seit Ende 2006 in Mexiko wieder der Krieg gegen die Drogen ausgerufen wurde, sind etwa eine halbe Million Menschen getötet worden oder verschwunden. Kriminelle Gruppen - damals waren es eine Handvoll, heute sind es etwa 200 - kontrollieren mittlerweile weite Teile des Landes, der legalen Wirtschaft und der Politik. Das alles ist ein inakzeptabler Preis dafür, dass gleichzeitig der Drogenschmuggel in die USA in keiner Weise abgeebbt ist und die Zukunft der mexikanischen Demokratie an einem seidenen Faden hängt.
Ist der Kampf gegen die Drogen also aussichtslos?
Bislang wurde zu sehr auf militärische Macht gesetzt. Dadurch enthauptet man lediglich kriminelle Gruppen, löst aber in keiner Weise die sozialen und ökomischen Probleme, die dazu führen, dass diese weit entfernt von Nachwuchsproblemen sind. Zudem wurde nie das grundlegende Problem angegangen, dass keine klare Trennlinie zwischen Staat und Kriminalität existiert. Denn oft werden die kriminellen Handlungen aus staatlichen Institutionen, etwa dem Militär, heraus betrieben.
Wenige Tagen vor Bidens Besuch haben mexikanische Sicherheitskräfte Ovidio Guzmán, einen der Söhne des früheren Drogenbosses "El Chapo", gefasst. Wie ist diese Operation gegen das Sinaloa-Kartell zu bewerten?
Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Die Verhaftung ist ein Geschenk an die USA und damit Teil weiterer Verhandlungen in den bilateralen Beziehungen. Sie schwächt weder das Sinaloa-Kartell noch die Untergruppierung, der Ovidio angehört. Wir sprechen hier von einer sehr breit aufgestellten Struktur der organisierten Kriminalität, die solche Lücken leicht schließt. Die Verhaftung wird nicht dazu führen, dass der Schmuggel von Fentanyl in die USA nachhaltig abnimmt.
Die US-Behörden bezeichnen die Festnahme als bedeutenden Schritt …
Der Drogenschmuggel hängt nicht von einem Individuum ab, sondern wird aus einer Vielzahl kleiner Quellen gespeist. In diesem Sinne ist die Festnahme im besten Fall ein PR-Erfolg. Im schlimmsten Fall kann sie weitere Gewalt und Instabilität nach sich ziehen. Das Sinaloa-Kartell bewertet die Festnahme als Verrat, und es gibt intern Stimmen, die Rache fordern. Man wird sehen, ob sie ihren Willen durchsetzen.
Mit Falko Ernst sprach Janis Peitsch
Quelle: ntv.de