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Abläufe im Voraus geplant? Die lange Liste der Merkwürdigkeiten um Nawalnys Tod

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Hochrangige internationale Politiker und auch viele Menschen in Russland sind überzeugt, dass Nawalny ermordet wurde.

Hochrangige internationale Politiker und auch viele Menschen in Russland sind überzeugt, dass Nawalny ermordet wurde.

(Foto: IMAGO/greatif)

Als die Meldung um die Welt geht, dass der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in einem russischen Straflager gestorben ist, steht für viele sofort fest: Es war Mord. Eine russische Menschenrechtsgruppe trägt nun einige Punkte zusammen, die auf ein geplantes Vorgehen schließen lassen.

Eine russische Menschenrechtsgruppe hat viele Indizien zusammengetragen, die den Verdacht erhärten, dass der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in einem Straflager im Norden Russlands ermordet wurde. Laut einer Mitteilung von Gulagu.net, einer Gruppe, die sich auf die Rechte von Strafgefangenen in Russland konzentriert, gibt es einige Merkwürdigkeiten kurz vor und unmittelbar nach Nawalnys Tod.

Der Organisation zufolge besuchten zwei Tage vor dem Tod des Dissidenten Beamte des russischen Geheimdienstes FSB das Straflager Nummer drei in Charp im Norden Russlands. Dorthin war Nawalny im Dezember verlegt worden. Gulagu.net mutmaßt, dass die FSB-Leute Abhörgeräte und versteckte Kameras abschalteten oder demontierten, die "hätten aufzeichnen können, was am 15. Februar mit Alexej Nawalny passiert ist". Der Besuch sei in einem Bericht einer Zweigstelle des Bundesstrafvollzugsdienstes des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen erwähnt worden.

In einem Telegram-Eintrag stellte Gulagu.net außerdem eine Chronologie der Ereignisse an Nawalnys Todestag zusammen. Laut der offiziellen russischen Mitteilung soll der Tod des 47-Jährigen um 14.17 Uhr Ortszeit (10.17 Uhr MEZ) eingetreten sein. Bereits zwei Minuten später habe der Föderale Strafvollzugsdienst für den Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen eine Pressemitteilung dazu auf der offiziellen Website veröffentlicht. Darin ist die Rede davon, dass sich Nawalny nach einem Spaziergang unwohl gefühlt und dann das Bewusstsein verloren habe.

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Um 14.20 Uhr verbreiten die staatlichen Agenturen RIA Novosti und ITAR-TASS die Meldung von Nawalnys Tod. Beim "Sträfling Nawalny" wurden demnach "alle notwendigen Wiederbelebungsmaßnahmen ohne positive Ergebnisse durchgeführt. Die Rettungswagenbesatzung erklärte den Verurteilten für tot", zitiert TASS aus der Mitteilung des Strafvollzugsdienstes. Auf dem staatlich kontrollierten Telegramkanal 112 wird um 14.23 Uhr als wahrscheinliche Todesursache des Dissidenten ein Blutgerinnsel angegeben. Zu diesem Zeitpunkt könne der Organisation zufolge eigentlich noch keine Autopsie stattgefunden haben. Das für die Strafkolonie zuständige Leichenschauhaus liegt im knapp 50 Kilometer entfernten Salechard. Weniger als eine Viertelstunde nach Nawalnys Tod bestätigt Kremlsprecher Dmitri Peskow um 14.30 Uhr, dass Präsident Wladimir Putin über Nawalnys Tod informiert worden sei.

Aus der schnellen Reaktion der offiziellen russischen Stellen schließt die Organisation, dass diese Abläufe im Voraus geplant gewesen seien. Gulagu.net formuliert in dem Telegram-Eintrag auch einige Fragen, die Nawalnys letzte Stunden betreffen. Unter anderem wird gefragt, wie lange Nawalny sich bei um die minus 20 Grad Celsius auf dem Gefängnishof aufhielt und warum er dort war, obwohl er in dieser Zeit sein Mittagessen in der Zelle hätte bekommen müssen.

Unklar ist der Organisation zufolge auch, warum es über den fraglichen Zeitraum keine Aufzeichnungen aus den Überwachungskameras des Lagers gibt und wie Nawalny in seine Zelle zurückkehrte. "Kam er allein dorthin oder wurde er auf einer Decke vom Übungsplatz getragen?" Der Menschenrechtsgruppe zufolge soll der Sachverständige, der schließlich die Autopsie durchführte, am Abend des 16. Februar mündlich angewiesen worden sein, an Nawalnys Körper vorhandene Blutergüsse als postmortal zu beschreiben. Demnach wären sie erst nach seinem Tod entstanden. Angenommen wird jedoch, dass der Dissident in der Haft misshandelt worden ist.

Wo ist der Leichnam?

In früheren Fällen waren die Informationen von Gulagu.net nicht immer korrekt, die Webseite berichtete aber als Erste darüber, dass Wagner-Anführer Jewgeni Prigoschin Söldner in russischen Gefängnissen rekrutierte. Das wurde später bestätigt.

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Auch nach Nawalnys Tod gibt es einige Ungereimtheiten. So erhielt Nawalnys Mutter Ljudmila Nawalnaja zwar im Straflager auch offiziell die Nachricht, dass ihr Sohn tot ist. Allerdings fehlte zunächst vom Leichnam Nawalnys jede Spur. Ein Mitarbeiter des Straflagers jenseits des Polarkreises habe mitgeteilt, dass sich Nawalnys Leichnam in der Stadt Salechard zur Untersuchung befinde, teilte seine Sprecherin Kira Jarmysch mit. Die Mutter konnte die Leiche deshalb nicht persönlich identifizieren. Auch die Todesursache ist weiter unklar.

Das Leichenschauhaus in Salechard macht offenbar widersprüchliche Angaben. Einem Anwalt Nawalnys wurde demnach gesagt, dass sich der Leichnam nicht in Salechard befindet, einem anderen, dass die Todesursache noch nicht bekannt und eine weitere histologische Untersuchung erfolgt sei, deren Ergebnisse in der nächsten Woche zu erwarten seien, so Jarmysch.

Quelle: ntv.de

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