
Pressekonferenz zum neuen Haushaltsgesetz: Nach der dritten Frage wollte Meloni sich verabschieden.
(Foto: REUTERS)
Der politische Ton in Italien wird schärfer, gegenüber Migranten, Journalisten und sogar Schülern. Die meisten Italiener kümmert das aber nicht. Sie haben andere Sorgen und sind im Moment mit der neuen Rechtsregierung zufrieden.
Auf europäischer Ebene versucht Italiens neue Regierung, so gut sie es kann, einen gemäßigten Ton an den Tag zu legen. Das Land braucht die EU, vor allem die EU-Gelder. Trotzdem kommt es gelegentlich zu Konfrontationen mit europäischen Partnern, wie der Fall der Seenotrettungsschiffe vor ein paar Wochen zeigte. Im Großen und Ganzen gibt sich aber Rom kooperationswillig.
Ganz anders steht es um die innenpolitische Rhetorik. Die klingt zum Beispiel so: "Die Demütigung ist ein wichtiger Wachstumsfaktor und trägt zur Bildung der Persönlichkeit bei." Diese Behauptung stammt nicht von irgendjemanden, sondern von Giuseppe Valditara, dem neuen Chef des "Ministeriums für Bildung und Verdienst"; letztere Bezeichnung wurde dem Ressort von Valditaras Partei, der nationalpopulistischen Lega hinzugefügt.
Demütigung für Jugendliche gut?
Der neue Bildungsminister findet es also gut, wenn Kinder und Jugendliche gedemütigt werden. Seine Stellungnahme erfolgte im Rahmen einer Tagung Anfang dieser Woche in Mailand, in der unter anderem über einen Fausthieb diskutiert wurde, den ein Schüler einer Lehrerin verabreicht hatte. Der Minister forderte, solche Taten mit Sozialstunden zu bestrafen, was grundsätzlich ja nicht abwegig ist. Weniger plausibel klang allerdings die Begründung: "Denn nur durch die gemeinnützliche Arbeit, die Demütigung vor seinen Klassenkameraden, übernimmt der Schüler die Verantwortung für seine Tat." Valditara schlug außerdem vor, das Bürgergeld jenen zu streichen, die ihrer Schulpflicht nicht nachgekommen sind.
Der Bildungsminister ist nicht der einzige Politiker der jetzigen Rechtsregierung, der mit rauen Methoden das Land zurechtbiegen will. Im Radio sagte Lucio Malan, Fraktionschef der postfaschistischen Fratelli d'Italia im Senat, vor ein paar Tagen: "In der Bibel steht, dass Homosexualität eine Abscheulichkeit ist. Das steht sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament."
Sowohl Malan als auch Valditara versuchten später zurückzurudern, beklagten, man habe sie missverstanden. Der Bildungsminister behauptete, er habe sich versprochen, er habe "Demut" gemeint und nicht "Demütigung", zwei Begriffe - "umiliazione" und "umiltà" - die einander im Italienischen auf ähnliche Weise ähneln wie im Deutschen.
Politische Grenzverschiebungen
Mag sein, dass er wirklich "Demut" meinte. Wirklich glaubhaft ist das allerdings nicht, wenn man der Rhetorik dieser Regierung genau zuhört. Es wirkt nämlich so, als würden sich die Minister und die Abgeordneten, vor allem die der Fratelli d’Italia und der Lega, vorantasten. Im Moment begnügen sie sich mit provozierenden Aussagen, warten die Reaktion der Öffentlichkeit ab und beschwichtigen sie, wenn nötig. Es ist der klassische Weg, um rhetorische und politische Grenzverschiebungen durchzusetzen.
Die Reaktion der italienischen Öffentlichkeit darauf ist derzeit sehr zurückhaltend oder, besser gesagt, von Desinteresse geprägt. Es scheint, als würde die Mehrheit denken: "Sind sowieso nur Ankündigungen, warten wir ab, wie es wirklich kommt."
Außerdem hat man zurzeit ganz andere Sorgen. Zum Beispiel, wie man die Gas- und Stromrechnungen bezahlen soll, die für normale Haushalte im Durchschnitt um 600 beziehungsweise 880 Euro gestiegen sind. Viele Italiener versuchen zu sparen, wo immer es geht. In einer soeben veröffentlichten Studie heißt es, dass 50 Prozent der Italiener ihre Backöfen nicht anstellen und 30 Prozent den Gebrauch des Gasherds reduziert haben.
Meloni ist die beliebteste Politikerin
Immerhin versuche die Regierung, etwas für die Not der Bürger zu machen, meint so mancher. Das Haushaltsgesetz 2023 sieht Mehrausgaben in Höhe von 32 Milliarden Euro vor, davon sollen zwei Drittel die Bürger, zumindest ein wenig, von den Energiekosten und der Inflation entlasten. Auch das harte Durchgreifen gegen die Migranten findet Beifall. Dass die Menschen auf den Seenotrettungsschiffen vor ein paar Wochen "aussortiert" wurden und Innenminister Matteo Piantedosi jene, die nicht gleich an Land durften, als "Restladung" bezeichnete, hat nur bei den Hilfsorganisationen und der Opposition für Entrüstung gesorgt. Der Großteil der Bevölkerung hat es nicht registriert.
Das erklärt auch, warum die Regierung in den Umfragen, nach 30 Tagen im Amt, einen Beliebtheitsgrad von 42 Prozent hat. Premierministerin Giorgia Meloni ist mit 48 Prozent die beliebteste Politikerin im Land, ihre Partei Fratelli d’Italia erreicht 29 Prozent - drei Prozentpunkte mehr als bei den Wahlen - und ist damit weiterhin die stärkste Partei. Interessant ist, dass stattdessen der Lega-Chef und jetzige Vizepremier und Infrastrukturminister, Matteo Salvini, weiter absteigt. Er muss sich im Ranking der beliebtesten Politiker mit 29 Prozent den fünften Platz mit Silvio Berlusconi teilen. Die Italiener scheinen vom polternden "Capitano" genug zu haben.
Pampig bei der Presse
Und es sind nicht nur die Anhänger der Regierungsparteien, die Meloni ein positives Zeugnis ausstellen. Unlängst meinte bei einem Abendessen ein eindeutig linker Journalist: "Mir ist Meloni tausendmal lieber als [ihr Vorgänger] Mario Draghi. Sie hat das Zeug zum Regieren." Dass sie bei den Pressekonferenzen den Fragen der Journalisten so wenig Platz wie möglich einräumt, bewertete er als Anfängerfehler, der sich mit der Zeit erledigen werde.
Was dringend notwendig wäre. Bei den Pressekonferenzen hat bis jetzt immer versucht, die Zeit für die Fragen so knapp wie möglich zu halten. Am Dienstag kam es deswegen zu einer Konfrontation mit den Medien. Thema der Pressekonferenz war das Haushaltsgesetz. Meloni wollte sich schon nach der dritten Frage verabschieden, sie habe ein weiteres Treffen, sagte sie mit um Verständnis bittendem Ton. Der kam bei den Journalisten aber nicht an, worauf Meloni gereizt antwortete: "Bei den anderen Regierungschefs seid ihr nicht so fordernd gewesen", und fügte dann noch die Bemerkung hinzu: "Wenn ihr in anderen Situationen auch so mutig gewesen wärt." Auf die Frage, was sie damit meine, antwortete sie nebulös: "Ich weiß, worauf ich mich beziehe."
Es ist der Ton, der die Musik macht, und die hört sich im Moment für diejenigen, die hinhören, zunehmend kreischend an.
Quelle: ntv.de