Als Klinik-Clown in der Ukraine"Es ist besser, Krieg zu spielen als darüber zu reden"
Maryna Bratchyk
Igor Narovski ist von Beruf Clown. Und er arbeitet, wo es eigentlich nichts zu lachen gibt: in ukrainischen Krankenhäusern. Mit ntv.de spricht er über die besondere Wirkung der Clown-Magie - und darüber, wie es Clowns aus der Ukraine im Krieg ergangen ist.
Igor Narovski ist von Beruf Clown. Und er arbeitet, wo es eigentlich nichts zu lachen gibt: in ukrainischen Krankenhäusern. Mit ntv.de spricht er über die besondere Wirkung der Clown-Magie - und darüber, wie es Clowns aus der Ukraine im Krieg ergangen ist." Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen, die in der Ukraine geblieben sind, weniger Unterstützung bekommen als die Flüchtlinge, die ins Ausland gegangen sind", sagt der künstlerische Leiter der lettischen Organisation Dr. Klauns. "In diesem Moment habe ich meine eigene Sicherheit zurückgestellt und wollte die Menschen unterstützen."
ntv.de: Was ist Ihre Aufgabe als Clown-Doktor?
Igor Narovski: Ein Krankenhaus ist ein System. Wenn ein Mensch dieses System betritt, ist er nicht nur wegen der Krise seines Körpers, seiner Schmerzen und der bevorstehenden Operation ängstlich, sondern es kommen viele Emotionen hoch. Im Krankenhaus ist für diese Gefühle kein Platz vorgesehen. Das Kind und seine Eltern ziehen sich deshalb zurück. Als Clown komme ich ins Krankenhaus und schaffe eine Insel der Freiheit von diesem System. Diese Freiheit drückt sich in der Improvisation aus. Außerdem gibt ein Clown Kindern die Möglichkeit, etwas über sich selbst und die Welt zu lernen. Es ist ein sicherer Raum, um mit sich selbst, mit dem Leben, mit Beziehungen zu experimentieren.
Ist das eine Art psychologische Therapie?
Eine Clown-Therapie. Die verbale Sprache wirft die Logik über Bord. Clowns kommunizieren durch den Körper. Deshalb ist es mir egal, welche Sprache jemand spricht. Ich kann in jedem Land arbeiten. Ein Clown ist ein absurdes Wesen. Der Kontakt findet deshalb auf einer emotionalen Ebene statt. Wir sprechen aber nicht von diesen Klischee-Clowns, die mit Perücken auftreten, sondern von einem sehr fein konstruierten Bild. Keine Schminke, sondern ein zartes und verletzliches Wesen. Ansprechbar. Und manchmal amüsant, witzig, rührend. Wenn man den Clown sieht, spürt man Neugier. Und Neugier ist das Gegengift zur Angst. Man kann nicht gleichzeitig neugierig und ängstlich sein.
Sind Sie eher ein Doktor oder ein Clown?
Der Clown ist ein Teil des Krankenhaussystems. Obwohl ich eine psychologische Ausbildung habe, gefällt mir der Clown als Figur. Ich verstehe, wie Humor, Dramaturgie und Körperarbeit aufgebaut sind.
Was dachten Sie, als der Krieg in der Ukraine ausbrach?
Ich erfuhr vom Ausbruch des Krieges, als ich auf einer Reise in Indien war. Damals wusste ich nicht, was ich damit anfangen sollte, aber ich wollte helfen. Dann schrieb mir Irena Goluba, meine Psychotherapeutin, dass sie eine psychologische Online-Gruppe für Kinder aus der Ukraine gründen wollten. Kinder, die in Bunkern waren, konnten sich diesen Gruppen zusammenfinden und mit Psychologen darüber reden, wie es ihnen geht. Und bei diesen Online-Gruppen gab es einen großen Bedarf an Clowns. Ich erklärte mich bereit zu helfen. Zum Glück hatte ich in Indien meine Clownnase als Talisman dabei.
Wie ist es gelaufen?
Es war ein Zoom-Videotelefonat und hat gut funktioniert. Es gab eine sehr starke Verbindung mit den Kindern: Spiel, Spontaneität, Freiheit, Emotionen, Leichtigkeit. Ich hatte das Gefühl, dass das Fenster im Computer für die Kinder wichtiger wurde als das reale Fenster, hinter dem eine ankommende Rakete lauert.
Hatten Sie auch Kontakt mit Clowns in der Ukraine?
Da ich schon vor dem großen Krieg in der Ukraine mit einem Workshop in Charkiw war, kannte ich einige ukrainische Clowns und habe mit ihnen telefoniert. Ihre Geschichten haben mich sehr berührt. Zum Beispiel, dass alle Clowns eine rote Nase in ihren Pass steckten, wenn sie Charkiw verließen. Eine Bekannte sagte mir: "Als ich Charkiw verließ, dachte ich nur daran, dass die Schnur der Clownsnase nicht reißen sollte, denn ich wusste nicht, wo ich eine neue in einer anderen Stadt finden könnte." Ich wollte die Clowns zusammenbringen, damit sie den Kontakt zu ihrem Beruf nicht verlieren. Nach einigen Monaten regelmäßiger Telefonate wussten sie genau, was sie tun wollten: Sie fingen an, in Krankenhäusern in Uzhgorod und in Lwiw zu arbeiten.
Deshalb wollten Sie auch in die Ukraine gehen?
Zu Beginn der Invasion gab es eine Welle der Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge. Aber es gab nicht viele Menschen, die zu den in der Ukraine gebliebenen Menschen gegangen sind. Die wollte ich unterstützen.
Ganz allein?
Von März bis Mai 2022 war ich mit einem Team von lettischen Clown-Doktoren regelmäßig an der polnisch-ukrainischen Grenze und habe auch in Flüchtlingszentren in Riga gearbeitet. Damals war klar, dass wir nicht als Team in die Ukraine fahren konnten, weil die Risiken zu groß waren.
Auf einer Weltclown-Konferenz habe ich Suzie Ferguson getroffen, eine schottische Clownin. Ich fragte sie, ob sie mitkommen wolle, und sie sagte zu. Ende Juni fuhren wir zum ersten Mal in die Ukraine, um einen Meisterkurs für ukrainische Clowns zu geben und in Krankenhäusern und Zentren für Binnenflüchtlinge in Lwiw zu arbeiten.
Waren Sie noch in anderen Städten?
Ja, ich war noch später in Kiew.
Und Sie hatten keine Angst?
Doch. Aber mir wurde klar, dass es mir viel mehr schaden würde, nichts zu tun, als das Risiko einzugehen. Der Gedanke war, dass die Wahrscheinlichkeit gering war, in den zwei Wochen, die ich dort war, in der Ukraine getötet zu werden. Das hat mich überzeugt.
Wie lief die Arbeit in den Krankenhäusern ab?
Eine Koordinatorin hat eine Gruppe von Familien zusammengestellt, in der sie die Möglichkeit hatten, alles nachzuspielen, was ihnen widerfahren war. Unser erstes Spiel fand in einem Bunker statt. Viele Kinder spielen Kriegsspiele. In der Ukraine ist das ein Thema, über das die Eltern vielleicht nicht sprechen können, aber das Kind nimmt einen Spielzeug-Panzer und greift mit diesem Panzer an oder fliegt mit einem Kampfflugzeug auf einen Clown zu. Der Clown fängt an zu rennen, es holt ihn ein und tötet den Clown. Dann taucht ein neues Thema auf, als das Kind diesen Clown rettet. Am Ende durchläuft das Kind das ganze Gefühlsspektrum von großer Wut bis zu "ich will, dass du am Leben bleibst". Man kann über diese Dinge schwer reden. Man muss sie spielen.
Unser erstes Treffen fand in einem Luftschutzbunker statt. Am Ende des Workshops sagte eine Frau: "Wissen Sie, ich habe durch das Spiel völlig vergessen, wo ich war, dass es eine Bedrohung gab und die Sirene ertönte. Ich hatte einfach eine tolle Zeit mit euch."
Die Clowntherapie ist auch für Erwachsene geeignet?
Natürlich. Ein Kinderkrankenhaus besteht aus Kindern, Eltern und Personal. Ud wir Clowns arbeiten mit dem ganzen System. Wir bringen humanistische Werte wie Freiheit ein, Wahlmöglichkeiten, das Gefühl, Kontrolle über das Leben und sich selbst zu haben.
Gab es auch schwierige Momente?
Ja, als wir unter Beschuss gerieten. Das war wirklich beängstigend. Ich spürte, wie eine Anspannung entstand, gegen die ich nichts tun konnte. Das hat sich erst gelöst, als ich die Grenze zurück nach Polen überquerte. Dort scheint der Himmel nicht so beängstigend zu sein.
Wie gehen Sie emotional damit um?
Hier ist es wichtig zu erkennen, dass es meine Figur ist, die wirkt. Aber ich verstecke mich nicht hinter einer Maske. Im Gegenteil: Ich öffne mich den Menschen und das macht sie neugierig. Auch wenn es schwierige Umstände sind: Die Leute sind unglaublich stark, sie können spielen und fühlen. Am Ende sehe ich glückliche und fröhliche Menschen und das gibt mir die Zuversicht, dass alles gut wird.
Mit Igor Narovski sprach Maryna Bratchyk