Die seltsame Haltung zum Iran Europa hängt in der Vergangenheit fest
04.01.2020, 16:05 Uhr
Außenminister Heiko Maas
(Foto: REUTERS)
Nicht nur der deutsche Außenminister, ganz Europa wirkt mit der aktuellen Situation zwischen dem Iran und den USA überfordert. Dahinter steckt eine Strategie, die sinnlos ist.
Das Déjà-vu der deutschen Außenpolitik ist wieder da: Eine internationale Krise bricht aus, das Außenamt reagiert mit langem Schweigen, dann Appellen und Besorgnis. Gestern hat die US-Armee mit einem Raketenangriff am Flughafen Bagdad Ghassem Soleimani getötet, den bis dahin wichtigsten iranischen General. Seine Eliminierung könnte, das glauben nicht wenige Beobachter, deutlich größere Konsequenzen haben als die Beseitigung von Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden oder IS-Anführer Abu Bakr Al-Baghdadi. Die Furcht, Soleimanis Tod könnte zu einem regionalen Krieg, zu einer großen Eskalation führen, ist real.
Wie reagiert die Bundesregierung darauf? Der deutsche Außenminister Heiko Maas meldet sich erst rund 15 Stunden, nachdem die Raketen in Soleimanis Fahrzeug eingeschlagen sind, zu Wort. "Die US-Militäroperation folgte auf eine Reihe gefährlicher Provokationen Irans. Es ist durch die Aktion aber nicht einfacher geworden, Spannungen abzubauen", erklärt der SPD-Politiker. In einer Pressekonferenz ist das Wort der Stunde "Deeskalation". Die Regierungssprecherin und ihr Kollege vom Außenamt fordern "Besonnenheit und Zurückhaltung".
Wieder einmal drängt sich der Eindruck auf, dass im Außenamt vor allem Ratlosigkeit herrscht. Mehr als Appelle sind nicht zu hören. Dabei gäbe es wichtige Fragen zu klären: Haben die USA ihren Verbündeten Deutschland vorab über den Luftschlag informiert? Immerhin nutzt die US-Armee bei Drohneneinsätzen im Nahen Osten Relaisstationen auf deutschem Boden. Keine Antworten. Sollen die 430 deutschen Staatsbürger im Irak das Land verlassen, so wie es das State Department US-Bürgern dringend geraten hat? Man verweist auf das Internetangebot des Auswärtigen Amtes - Reisewarnungen würden "fortlaufend aktualisiert". Warum fordert Deutschland keine Sitzung des UN-Sicherheitsrates ein? Die Bundesrepublik ist derzeit für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied gewählt. Die ersten beiden Punkte in der Liste der Prioritäten, nachzulesen bei der deutschen Vertretung bei den Vereinten Nationen: "Bewältigung von Konflikten" und "Prävention von Konflikten". Doch Berlin äußert sich nicht zu einem möglichen Treffen des Sicherheitsrats.
Berlin geht auf vorsichtige Distanz zu Washington
Einzig zu den deutschen Soldaten im Land gibt es etwas Konkretes zu sagen: Die Sicherheitsvorkehrungen für 27 im Zentralirak stationierten Soldaten wurden erhöht. Drei Soldaten, die in der Nähe der US-Botschaft stationiert sind, dürfen das Sperrgebiet der Grünen Zone in Bagdad nicht mehr verlassen. 90 Bundeswehrangehörige, die im Norden kurdische Truppen trainieren, unterbrechen vorerst die Ausbildung.
Um zu verstehen, warum die deutsche Außenpolitik auch trotz dieses Großereignisses erneut in Lethargie zu versinken scheint, sind mehrere andere Zitate hilfreich, die gestern ebenfalls aus dem Auswärtigen Amt kamen. Maas sagte, er habe dem US-Außenminister Mike Pompeo "mit Nachdruck" gesagt, dass die Auswirkungen für die Region "schwer absehbar" seien. Und auch wenn Berlin grundsätzlich der Argumentation Washingtons folgt, bei dem Luftschlag habe es sich um eine Reaktion auf Provokationen des Irans gehandelt, machte die Sprecherin des Außenamts auch klar: "Wir haben uns nicht dem Vorgehen des harten Drucks der USA angeschlossen." Zudem wurde gestern mehrfach betont, dass der Angriff nicht Teil des Anti-IS-Einsatzes gewesen sei, an dem sich auch Deutschland beteiligt. Für Deutschland scheint nachvollziehbar, dass die USA pro-iranische Kräfte im Irak bekämpfen. Bei der Art und Weise geht Berlin auf vorsichtige Distanz.
Mit dieser Haltung ist Deutschland in Europa nicht allein. Noch bevor Maas sich zu Soleimanis Tötung äußerte, tat dies EU-Ratspräsident Charles Michel mit bemerkenswert kryptischen Worten. "Der Kreislauf von Gewalt, Provokationen und Gegenschlägen, den wir in den vergangenen Wochen im Irak erlebt haben, muss aufhören", sagte er und vermied damit komplett einen Bezug zum konkret vorliegenden Fall. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian telefonierte gestern ebenfalls mit Pompeo und ließ in einer Mitteilung wissen, dass er "Besorgnis" zum Ausdruck gebracht habe und sich von allen Seiten Anstrengungen zur "Deeskalation" wünsche. Es klingt fast wie bei Maas. Doch bei den Franzosen geht es noch um ein anderes Thema. Und damit lässt sich der europäische Sonderweg in der Frage erklären. "Insbesondere" das Wiener Abkommen müsse eingehalten werden, damit der Iran seine "nuklearen Verpflichtungen rasch wieder vollständig" erfülle, heißt es.
Europa hängt an den Trümmern der JCPOA-Idee
So wirkt die europäische Position plötzlich nicht mehr ratlos, sondern konsequent. Denn die EU hält immer noch an dem unter US-Präsident Barack Obama ausgehandelten Atom-Deal JCPOA fest, der zweifelsohne wie einer der größten diplomatischen Erfolge Europas aussieht. In einem kurzen Augenblick der Geschichte stand Europa da wie ein außenpolitisches Schwergewicht, das die Mullahs mit Geschick und Augenmaß in letzter Sekunde davon abhielt, Atomwaffen zu entwickeln und die ganze Region in ein nukleares Wettrüsten zu stürzen. Dass diejenigen, die deren Einsatz am meisten zu fürchten haben, von Beginn an mit dem Abkommen nicht einverstanden waren, rückte damals in den Hintergrund. Aus Israel kam von Beginn an vor allem Kritik an JCPOA. Donald Trump entschied schließlich im Mai 2018, dass die USA aus dem Deal austreten werden.
Seither versuchen die Europäer, das Bestmögliche aus dem verstümmelten Abkommen zu machen. Der Optimismus von einst, zwischen dem Iran und der EU könnten gewaltige Handelsströme entstehen, ist längst fort. Die Idee, das Mullah-Regime durch Integration zu besänftigen, ist gescheitert. Die USA, die es als erwiesen ansehen, dass der Iran trotz des Abkommens weiter an Atomwaffen gearbeitet habe, drohen europäischen Unternehmen mit Sanktionen, falls die Geschäfte mit dem Iran machen. Seither stürzen die Reste von JCPOA weiter in sich zusammen. Europäische Unternehmen halten sich seit dem Ausstieg der USA zurück. Komplizierte Dreiecksgeschäfte, die Großbritannien, Frankreich und Deutschland etablieren wollten, um Sanktionen zu umgehen und den Handel mit dem Iran irgendwie am Laufen zu halten, werden nicht nachgefragt.
Nur vor dem Hintergrund, dass Europa immer noch daran glaubt, dass JCPOA irgendwie doch noch ein Erfolg werden könnte, lässt sich die seltsame Haltung zur aktuellen Situation erklären. Dabei riskiert auch Deutschland eine klare Haltung für ein in Trümmern liegendes Projekt von 2015. Der Iran reichert seit dem November wieder Uran an, wenige Wochen später berichteten ausgerechnet die Uno-Botschafter von den JCPOA-Verfechtern Frankreich, Großbritannien und Deutschland, dass Teheran wieder begonnen habe, gleich mehrere Trägerraketen für Atomwaffen weiterzuentwickeln. Und dass der Iran als Reaktion auf den Luftschlag im Irak seine Atomwaffenproduktion wieder auf volle Touren bringt, ist derzeit ein Szenario, dass nicht wenige Beobachter für wahrscheinlich halten.
Quelle: ntv.de